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Coronavirus in Deutschland: Wie uns die Krankheit zusätzlich fertigmacht


Angst in Deutschland
Wie uns das Coronavirus zusätzlich fertigmacht

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 07.02.2020Lesedauer: 4 Min.
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Frau mit Mundschutz: Lamya Kaddor warnt davor, dass das Coronavirus auch gefährliche Auswirkungen auf die Gesellschaft hat.Vergrößern des Bildes
Frau mit Mundschutz: Lamya Kaddor warnt davor, dass das Coronavirus auch gefährliche Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. (Quelle: Fabian Strauch/dpa)

Wir werden alle sterben! Oder doch nicht? Ja, was denn nun? Das neuartige Coronavirus lehrt uns viel über unsere Gesellschaft – und ihre Probleme. Eine Kolumne von Lamya Kaddor.

Das Coronavirus zeigt die Malaise unseres Zeitalters auf – und das gleich anhand von drei Symptomen: unsere wachsende Ungeduld, unsere Überforderung durch mediale Informationsfluten und unsere Angst vor Fremdem.

Kaum zog die mediale Corona-Berichterstattung an, müssen auch schon alle Fragen geklärt sein. Wie gefährlich ist das Virus? Droht eine Epidemie in Deutschland? Wird es wieder verschwinden und wenn ja, wann? Gibt es schon wirksame Impfstoffe und Medikamente? Virologinnen und Virologen rund um den Planeten dürften sich derzeit vor Anfragen kaum retten können.

Menschen müssen lernen, mit Unsicherheit zu leben

So berechtigt die Fragen sein mögen, so wenig kann es jetzt schon auf solche Fragen konkrete und belastbare Antworten geben. Wer das erwartet, hat keinerlei Vorstellung von Wissenschaft. Forschung braucht Zeit – manchmal Wochen, Monate, Jahre. Erst recht, wenn es um etwas Neuartiges geht wie diesen Stamm der Coronaviren, der bislang nicht einmal einen Namen hat, sondern vorläufig unter "2019-nCoV" firmiert. Es hilft alles nichts, Menschen müssen unbedingt lernen, mit Unsicherheiten zu leben.

Leider fällt ihnen das so schwer, dass sich das nächste Problem nahtlos anschließt. Um die Unsicherheit auszumerzen, stürzen sie sich in die Informationsfluten des Internets. Es wird gegoogelt und gesurft, bis man auf irgendetwas stößt, was eindeutig klingt oder sensationell oder skandalös. Das ist der Stoff, aus dem die Albträume von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des Robert Koch-Instituts und sonstigen Fachinstitutionen, wo man sich tatsächlich mit der Materie auskennt, gemacht sind. Weil die Beschäftigten dort jedoch dem Fluch von Sachlichkeit und Objektivität unterliegen, können sie nichts anderes tun als differenzieren, um Geduld bitten, allenfalls Vermutungen anstellen oder Zweifel äußern.

Der "homo interneticus" leidet unter "Infodemie"

Da sich ein "homo interneticus" aber mit so viel Vernunft nicht abspeisen lässt, gerät er auf Abwegen geradewegs hinab zu den Scharlatanen, Verschwörungstheoretikern, politischen Verführern dieser Welt. Dort liest er dann abenteuerliche Geschichten, dass das Coronavirus angeblich in Laboren gezüchtet worden sei, um der Impfindustrie zu Gewinn zu verhelfen. Oder er schaut obskure YouTube-Videos, wonach der Ausbruch weitaus schlimmer sei, als Staat und Medien zugeben würden, und das Virus längst in der eigenen Stadt aufgetaucht sei, was der Bevölkerung jedoch verschwiegen werde. Oder er hört von vermeintlichen Vorbeugungsmaßnahmen wie einem regelmäßigen Benutzen von Nasentropfen, einem Einnehmen von Antibiotika oder gar einem Verzehr von Knoblauch oder Sesamöl. Millionenfach wird so ein Unsinn weiterverbreitet. Die WHO spricht bereits von "Infodemie".

Deshalb: Vorsicht bei irgendwelchen YouTube-Videos, Blogs oder "Informationen" von Menschen und Institutionen, die man selbst nicht kennt. Wer sich informieren will, muss sich an etablierte Einrichtungen und klassische Medien halten, denen die Schwarmintelligenz über längere Zeit ein grundsätzliches Maß Zuverlässigkeit attestiert hat. Das Coronavirus zeigt, wie wichtig sie sind, um nicht in Panik zu verfallen und Panik nicht zu verstärken.

Unschuldige Menschen ausgrenzen?

Jüngst stand ich um 7 Uhr in der Warteschlange vor dem Security Check am Flughafen Berlin. Vor mir standen drei Männer aus Ostasien, eingekleidet in langen Mänteln, Aktentasche und sonstigem Businesslook. Die drei unterhielten sich fröhlich und fielen nicht sonderlich auf. Dachte ich. Bis ich den Herrn vor ihnen in der Schlange erblickte, der die drei geradezu anstarrte und sich abrupt seinen Schal vor den Mund hielt. Er konnte sein angstverzogenes Gesicht kaum verbergen.

Am frühen Morgen hatte ich im Radio einen Beitrag zum Coronavirus gehört. Darin wurden O-Töne von Menschen eingefangen, die offen zugaben, Angst zu empfinden, wenn sie auf "Chinesen" treffen. Das Virus stamme schließlich aus der chinesischen Großstadt Wuhan. Abgesehen davon, dass die drei Männer vermutlich eher aus Japan stammten, fühlte selbst ich mich unangenehm berührt von der offenkundigen Panik des Herrn, und ich war mir in dem Moment sehr sicher, dass die drei Männer dessen Blicke inzwischen auch bemerkt hatten.

Mir machen solche kognitiven Verknüpfungen bei Menschen Angst: Aussehen gleich Virusträger? Geht’s noch? Auf Twitter berichtete die Journalistin Elsa Koester von einer Freundin, die in der Notaufnahme eines Berliner Krankenhauses arbeitet. Dort hätten sich Patienten geweigert, von einer Ärztin mit vietnamesischem Migrationshintergrund behandelt zu werden. Unter Hashtags wie #IAmNotaVirus (Ich bin kein Virus) oder #CoronaRassismus gibt es noch weitere solcher Erfahrungsberichte. Das Erschütternde an solchen Schilderungen jenseits einer persönlichen Betroffenheit ist, wie wenig es braucht, um völlig unschuldige Menschen auszugrenzen.

Lamya Kaddor ist Islamwissenschaftlerin, Religionspädagogin, Publizistin und Gründerin des Liberal Islamischen Bunds e. V. (LIB). Derzeit leitet sie ein Forschungsprojekt an der Universität Duisburg-Essen. Ihr aktuelles Buch heißt "Die Sache mit der Bratwurst. Mein etwas anderes deutsches Leben" und ist bei Piper erschienen. Sie können unserer Kolumnistin auch auf Facebook oder Twitter folgen.

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