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Corona-Sommer in Deutschland: Spaß am Strand mit Maske? Der Badesee-Report


Corona-Sommer in Deutschland
Spaß am Strand mit Maske? Der Badesee-Report

Von Madeleine Janssen

Aktualisiert am 08.08.2020Lesedauer: 4 Min.
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Badefans am See (Symbolfoto): Die Menschenmassen schüren die Sorge vor weiteren großen Corona-Ausbrüchen – und einem erneuten Lockdown.Vergrößern des Bildes
Badefans am See (Symbolfoto): Die Menschenmassen schüren die Sorge vor weiteren großen Corona-Ausbrüchen – und einem erneuten Lockdown. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Keiner will einen zweiten Lockdown. Und doch befürchten viele, dass er kommt. Jetzt, bei der Hitze, drängen sich alle an den Badeseen. Kann das funktionieren?

Norman Rogala ist wütend. Der Mann mit Glatze sitzt in einer Strandmuschel am Strand des Berliner Orankesees und schimpft. "Da müsste viel härter durchgegriffen werden", sagt er. Vor der Kasse des Strandbades drängen sich sich die Menschen. Die Schlange ist gut 50 Meter lang. Es ist Freitagnachmittag, viele wollen bei den heißen Temperaturen erstmal in den See springen.

Maske trägt hier niemand

Den Abstand halten sie erst ein, als die roten Markierungen auf dem Boden sie darauf hinweisen – kurz vor der Kasse. Maske trägt hier niemand. Norman Rogala berichtet, nur er und noch ein weiterer Mann hätten eine getragen. Drinnen riecht es nach Pommes, Kinder kreischen vergnügt. Coronavirus? Hier scheint es nur noch eine ferne Erinnerung an den gefährlichen Erreger zu geben.

"Das ist doch unverantwortlich", sagt Rogala bitter. Er ist 40 Jahre alt – und Risikopatient. Er hatte Krebs. Erst am 20. Juli hat er seine letzte Chemo-Behandlung bekommen. Sein Immunsystem war geschwächt, er verbrachte die Zeit im Krankenhaus alleine, in einem Einzelzimmer. Nun ist er wieder draußen und will ein wenig die letzten Ferientage mit seiner Tochter genießen. Wie das Strandbad den Besucheransturm handhabt, regt Rogala auf. Trotzdem sagt er: "Ich habe keine solche Angst, dass ich nicht mehr auf die Straße gehen würde." Man dürfe keine Panik schieben.

Das Strandbad Orankesee liegt im Stadtteil Hohenschönhausen. Ringsherum liegen Einfamilienhäuser, eine große Parkanlage verbindet den Oranke- mit dem Obersee. Es gibt weitläufige Liegewiesen im Strandbad, einen Strandabschnitt mit ein paar Strandkörben und – vielleicht das Highlight für Kinder – eine riesige Rutsche ins Wasser. Corona soll den Spaß nicht trüben.

Deshalb verkauft das Bad wie bisher Tickets an der Tageskasse. Jeder darf solange bleiben, wie er möchte. Eine Maskenpflicht gibt es nirgends. Nur den Aufruf, auf die Hygiene zu achten und Abstand zu wahren. "Wir dürfen aktuell noch rund tausend Badegäste reinlassen", sagt Chefin Alexandra Barnewski. Für mehr Fragen hat sie keine Zeit. Sie muss weiter Tickets verkaufen.

Risikopatient Norman Rogala ist skeptisch. Er blickt sich von seiner Strandmuschel aus um. Überall ist es voll, die Plätze auf den Liegewiesen sind gut belegt. "Das Bad ist vier Hektar groß. Ich glaube nicht, dass hier gerade nur tausend Menschen drin sind."

Eine Frau geht mit ihrer kleinen Tochter vorbei, sie wirft einen Blick auf die Menschenmassen am Strand und im Wasser. "Ist ja ganz schön voll", sagt sie. Ob ihr das Sorgen macht? "Ja, ich versuche mich davon abzuschirmen."

Laut einer "Spiegel"-Umfrage rechnen rund 80 Prozent der Deutschen mit einem zweiten Lockdown. Niemand dürfte das ernsthaft wollen. Trotzdem zieht es die Leute nach draußen, in die Cafés, an den Strand. Flugreisen sind dieses Jahr unbeliebt. Reisen in Deutschland dagegen umso mehr. Das wäre alles nicht schlimm, solange die Abstandsregeln beachtet werden. Und daran hapert es mancherorts. Risikopatienten wie Norman Rogala haben einen besonders scharfen Sinn dafür.

Auch Jürgen Wolff hat schon Krebs gehabt. Darmkrebs, zweimal, unter anderem. Sein Herz macht auch nicht mehr richtig mit, Stents und Bypässe unterstützen es, ein Herzschrittmacher hilft ihm. Eine lange Narbe ist auf seinem braungebrannten Bauch zu sehen. Trotzdem – oder wegen der langen Krankengeschichte? – lässt sich der 79-Jährige nicht aus der Ruhe bringen. Zusammen mit seiner Frau sitzt er auf der Liegewiese. "Wir fühlen uns hier sicher", sagt Gisela Wolff. "Die Familien bleiben unter sich, wir haben kaum Berührungspunkte mit anderen Leuten."

"Manche sagen, sie hätten gern immer so viel Platz"

Während am Orankesee schönste Berliner Anarchie herrscht, müssen die Gäste im Strandbad Weißensee strukturierter an den Strand. Am Eingang gilt Maskenpflicht. Wer denkt, er könne sich niederlassen, wo er möchte, liegt falsch: Jeder Besucher bekommt einen festen Platz zugewiesen. Ob auf der Terrasse oder unter den fest platzierten Sonnenschirmen am Strand: Jeder Platz ist nummeriert. Wenn er belegt ist, wird das im Kassensystem erfasst. "So haben wir jederzeit einen Überblick, wie viele Menschen sich gerade im Strandbad aufhalten", sagt Pächter Alexander Schüller. Er ist stolz auf sein Konzept. "99 Prozent der Besucher loben uns für das Prinzip der Platzvergabe. Manche sagen, sie hätten gerne immer so viel Platz."

Am Freitagnachmittag ist wenig los. Ein paar Rentner, ein paar Jugendliche, ein paar Mütter mit kleinen Kindern. Normalerweise hat das Strandbad Weißensee Platz für 1.200 Besucher. In Corona-Zeiten dürfen nur 350 Menschen gleichzeitig rein.

Um zwei Uhr nachmittags schließt das Strandbad für eine Stunde: Putzaktion! Dann greifen sich Schüllers Mitarbeiter die Flaschen mit dem Desinfektionsmittel und reinigen Tische und Stühle. "Wir können es uns nicht leisten, zusätzliche Reinigungskräfte einzustellen, die den ganzen Tag im laufenden Betrieb putzen", sagt Schüller.

Der 36-Jährige verzichtet deshalb auch bei Vorgaben, die ihm völlig unsinnig erscheinen: "Wir haben dieses Jahr keine Liegestühle", sagt er. Die müssten nämlich 48 Stunden in eine sogenannte Liegestuhl-Quarantäne – das Gesundheitsamt geht davon aus, dass sich das Coronavirus im Holz festsetzen könnte. Jetzt muss er aber Schluss machen – die Putzstunde beginnt gleich.

Auch Badegast June Steinhöfel packt ihre Sachen zusammen. Ihre beiden Enkelkinder bekommen noch ein Paar Wiener zum Mitnehmen. Steinhöfel hat die Ruhe im Strandbad Weißensee genossen. "Denken Sie nur an die Ostsee. Da drängen sich die Leute wie verrückt."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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