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Prozess um Niels Högel: Ex-Krankenpfleger gesteht 100 Morde ein


Größte Mordserie der Nachkriegszeit
Ex-Pfleger Niels Högel gesteht 100 Giftmorde

Von dpa, afp, dru, df

Aktualisiert am 01.11.2018Lesedauer: 3 Min.
Angeklagter Niels Högel: 100 Morde aus Langeweile und Geltungssucht.Vergrößern des BildesAngeklagter Niels Högel: 100 Morde aus Langeweile und Geltungssucht. (Quelle: Julian Stratenschulte/dpa Pool/dpa)
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Es ist ein Verbrechen von unfassbarer Dimension: Mehr als 100 Patienten soll der Krankenpfleger Niels Högel ermordet haben, zu Tode gespritzt mit einem Medikamentencocktail. Beim Prozess in Oldenburg räumte er alle Taten ein.

Im Prozess um die vermutlich größte Mordserie der Nachkriegsgeschichte hat der angeklagte frühere Krankenpfleger Niels Högel alle 100 ihm zur Last gelegten Morde gestanden. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters am Landgericht Oldenburg, ob die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zuträfen, antwortete Högel mit "ja". "Das was zugegeben worden ist, so ist es auch", fügte der 41-Jährige hinzu.

Högel war zuvor vom Gericht ausführlich zu den Anfängen seines beruflichen Werdegangs befragt worden. Er berichtete, er habe bereits zu diesem Zeitpunkt unter Leistungsdruck gestanden und angefangen, Schmerzmittel zu nehmen. "Es war der Stress." Er hätte bereits damals erkennen müssen, dass die Arbeit nichts für ihn gewesen sei.

Mit Medikamenten zu Tode gespritzt

Der bereits wegen anderer Fälle zu lebenslanger Haft verurteilte Högel soll von 2000 bis 2005 an Kliniken in Delmenhorst und Oldenburg in Niedersachsen Patienten im Alter von 34 bis 96 Jahren mit Medikamenten zu Tode gespritzt haben. Die Taten seien aus niederen Beweggründen und heimtückisch begangen worden, sagte Oberstaatsanwältin Daniela Schiereck-Bohlmann zum Auftakt der Verhandlung. Der neue Prozess gegen den Ex-Krankenpfleger wurde wegen der großen Zahl an Prozessbeteiligten in eine Kongresshalle verlegt.

Die Verhandlung begann am Dienstag mit einer Schweigeminute für die Opfer. Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann bat alle Anwesenden, sich von ihren Sitzen zu erheben. "Alle ihre Angehörigen haben es verdient, dass man ihnen in Ehren gedenkt", sagte Bührmann. Dies sei unabhängig davon, ob Högel etwas mit deren Tod zu tun habe oder nicht. "Wir werden uns bemühen und mit allen Kräften nach der Wahrheit suchen", versprach Bührmann. An Högel gerichtet sagte er: "Ich werde mit Ihnen fair verhandeln, ich werde mit Ihnen offen verhandeln in guten Sachen wie in schlechten Dingen."

Oberstaatsanwältin Schiereck-Bohlmann ging in ihrer eineinhalbstündigen Anklageverlesung auf jeden der 100 Fälle ein. Högel wurde bereits 2015 wegen des Todes von sechs Patienten auf der Delmenhorster Intensivstation zur Höchststrafe verurteilt. Der Richterspruch lautete auf lebenslange Haft und besondere Schwere der Schuld. Daran wird auch der Prozess nichts ändern. Allerdings könnte das Urteil Folgen haben, wann und ob überhaupt die Strafe jemals ausgesetzt wird.

Motiv: Langeweile und Geltungssucht

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft spritzte Högel seinen Opfern ein Medikament mit tödlichen Nebenwirkungen. Anschließend versuchte er, die Patienten wiederzubeleben – was in vielen Fällen misslang. Das Motiv: Langeweile und Geltungssucht vor den Kollegen. Der Prozess ist komplex und aufwendig. Die Staatsanwaltschaft benannte 23 Zeugen und 11 toxikologische und rechtsmedizinische Sachverständige.

"Wir haben vier Jahre für diesen Prozess gekämpft und erwarten, dass Högel wegen weiterer 100 Morde verurteilt wird", sagte Christian Marbach, der Sprecher der Angehörigen, dessen Großvater von Högel getötet wurde. "Das Ziel ist, dass Högel so lange wie möglich in Haft bleibt." Am Dienstag erschienen nicht alle der über 120 Nebenkläger. In den reservierten Platzreihen blieben viele Stühle leer.

Der unfassbare Fall Högel

Viele Fragen um diesen in der deutschen Kriminalgeschichte einmaligen Fall sind bis heute ungeklärt. Högel war bereits im Sommer 2001 in Verdacht geraten. Auf der Intensivstation im Klinikum Oldenburg hatten sich Todesfälle und Reanimationen gehäuft. Sie traten besonders dann auf, wenn Högel Dienst hatte. Eine Strichliste dokumentierte das. Högel wurde aber nicht etwa angezeigt. Stattdessen versetzte man ihn, drängte ihn später zum Wechsel an eine andere Klinik. Warum wurde die Polizei nicht informiert?

Högel, inzwischen fast drei Jahre in Delmenhorst tätig, wurde im Sommer 2005 bei einem Mordversuch auf frischer Tat ertappt. Die Leitung des Klinikums war kurz zuvor an Oldenburg übertragen worden. Die Geschäftsführung wusste also um die Causa Högel. Doch davon erzählte sie nichts, als Högel erstmals von der Polizei vernommen wurde. Warum aber schwiegen die Verantwortlichen?

Högel wurde in einem ersten Prozess 2008 verurteilt, ein zweites Verfahren wegen fünf weiterer Fälle folgte 2014 bis 2015. Dabei gestand er überraschend weitere Morde. Erst danach kamen systematische Ermittlungen in Gang, drei Jahre lang nahm eine Sonderkommission alle Todesfälle während seiner Tätigkeit an den beiden Kliniken unter die Lupe. Zahlreiche Verstorbene wurden exhumiert und auf Medikamentenrückstände untersucht. Das Ergebnis der Ermittlungen ist der nun beginnende dritte Prozess.

Ob Högel eventuell noch weitere Morde beging, lässt sich nach Einschätzung der Ermittler nicht abschließend sagen. Viele verstorbene frühere Klinikpatienten wurden feuerbestattet. Mehrere Verantwortliche der Krankenhäuser sind inzwischen separat angeklagt. Der Prozess gegen Högel ist bis Mai 2019 terminiert. Seine Haft sitzt der Ex-Pfleger in der JVA in Oldenburg ab.

Verwendete Quellen
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