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Einkommen in Deutschland: Superreiche immer reicher – Abstieg der Mitte?


Tagesanbruch
Das ist einfach ungerecht

MeinungVon Florian Harms

Aktualisiert am 30.01.2024Lesedauer: 6 Min.
Meinung
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In einer deutschen Werft gebaute Milliardärs-Yacht.Vergrößern des Bildes
In einer deutschen Werft gebaute Milliardärsjacht. (Quelle: imago images)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die Welt ist voller Krisen, und Krisen hinterlassen Spuren. Ich verschone Sie heute Morgen mit detaillierten Schilderungen zur Lage in der Ukraine, in Gaza, in der Atmosphäre und in der Ampel, denn das können Sie überall lesen. Ich möchte Ihnen auch nicht zum x-ten Mal berichten, dass viele Menschen unzufrieden, frustriert oder besorgt sind, auch das wissen Sie selbst. Die Schockwellen von Corona-Pandemie, Kriegsangst, Preisanstieg, internationalem Daueralarm und allgemeiner Klimasorge sind allerorten zu spüren. Manche Leute werden leise und ziehen sich zurück, andere werden laut und radikal, was wiederum andere zu Protesten auf die Straße treibt. Es ist nur wenig überspitzt, wenn man Deutschland einen Unruhepuls diagnostiziert. Und bevor manche besonders empörte Leser um die Ecke biegen und schimpfen, dass die da oben wirklich wahnsinnig viel falsch machen, schiebe ich schnell hinterher: Jawohl, die Regierenden haben Fehler gemacht; allerdings nicht nur die gegenwärtigen, auch die davor. Und das ist beileibe nicht der einzige Grund für die Malaise.

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Wut und Verdruss, Radikalisierung und Resignation: Die Krisenfolgen stehen vielen Zeitgenossen ins Gesicht geschrieben. Schönreden lässt die Lage sich nicht, und selbst der beherzteste Resilienz-Appell, den Kopf doch bitte nicht hängen zu lassen, sondern zwischen all dem Dunkel auch das Helle zu sehen, fruchtet nurmehr bei grundoptimistischen Menschen. Wenngleich es von denen immer noch eine Menge gibt, zum Glück.

Vielleicht könnten es mehr werden, wenn mehr Leute die tieferen Gründe der Krisenerfahrung verstünden? Dieser Gedanke will mir nicht mehr aus dem Kopf, seit ich vor einigen Tagen eine Meldung gelesen habe, die mir naheging: Einer Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam zufolge haben die Krisen und Kriege der vergangenen Jahre die Schere zwischen Arm und Reich noch viel weiter auseinandergetrieben. Demnach haben die fünf reichsten Männer der Welt ihr Vermögen seit 2020 mehr als verdoppelt. Gleichzeitig wurden die ärmsten 60 Prozent der Menschheit, also fast fünf Milliarden Menschen, noch ärmer. Niemals zuvor habe es eine solche Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen gegeben, schreiben die Autoren. Die zugrunde liegende Gier, Arroganz und Verantwortungslosigkeit seien beispiellos.

Video | Deutsche reden über ihr Gehalt
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Quelle: t-online

Auch in Deutschland zeigt sich dieses Bild: Hierzulande ist demnach das Gesamtvermögen der fünf reichsten Bürger seit 2020 inflationsbereinigt um 73 Prozent gewachsen, nämlich umgerechnet von 89 auf 155 Milliarden US-Dollar. "Die Ungleichheit untergräbt die Demokratie und trägt maßgeblich dazu bei, dass die Klimakrise sich zu einer Katastrophe ausweitet", sagt Serap Altinisik, die Vorsitzende von Oxfam Deutschland.

Deutschland hat einen vergleichsweise starken Sozialstaat – doch noch nicht einmal hier können die Gesetze den Raubtierkapitalismus bändigen: So kann man die Studie lesen, selbst wenn man nicht "Das Kapital" vom alten Marx studiert hat und kein Parteibuch von Sahra Wagenknecht in der Tasche hat. Andernorts schreitet die Entwicklung noch schneller voran. In Irland, Italien, Spanien, Frankreich, Belgien und Schweden ist das Risiko für John, Giovanni, Pablo, Jean und Björn Normalverbraucher, in die Armut abzurutschen, noch größer. Alle diese Länder haben etwas gemeinsam: Populisten erstarken, verlässliches Regieren wird immer schwieriger. "Die EU-weit ungleiche Einkommensverteilung und die relativ hohe Armutsquote stellen mit ihren tiefgreifenden Folgen für den sozialen Zusammenhalt einen wichtigen möglichen Risikofaktor für eine weitere Destabilisierung Europas dar", schrieb die Friedrich-Ebert-Studie schon im Jahr 2019. Das war vor Corona. Seither hat die Schere sich weiter geöffnet.

Die Abstiegsangst der Mittelschicht verbindet sich mit dem Eindruck, dass der Staat Superreiche bevorzugt, statt für gleiche Chancen zu sorgen: Wenig gefährdet die Stabilität der Bürgergesellschaft so sehr wie diese kollektive Wahrnehmung. Sie verdunkelt den Blick auf die Entscheider in Politik, Wirtschaft und Medien, sie nährt Frust und Neid, die sich irgendwann in Hass entladen können.

Der Staat kann Geld umverteilen, aber er kann nur umverteilen, was er hat. Legt das Verfassungsgericht ihm Fesseln an, ist Schluss mit weiteren Wohltaten auf Pump. Dann muss man an die Regeln ran, nach denen Reichtum vermehrt wird. Die Oxfam-Studienautoren schlagen dementsprechend eine Vermögensteuer vor: zwei Prozent auf Vermögen von mehr als fünf Millionen US-Dollar, drei Prozent auf Vermögen von mehr als 50 Millionen Dollar, fünf Prozent auf Vermögen, die eine Milliarde Dollar überschreiten. Allein in Deutschland könnte der Staat so 85 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuern einnehmen – Jahr für Jahr. Bezahlen müssten sie rund 200.000 Reiche, das sind 0,24 Prozent der Bevölkerung.

Bevor nun mancher Vermögende, den es auch in der Tagesanbruch-Leserschaft geben mag, aufschreit, sei rasch hinzugefügt: Eine Vermögensteuer einzuführen, ist alles andere als trivial. Wie veranschlagt man beispielsweise Immobilienbesitz, Boote, Gemälde, Schmuck und so weiter? Die Berechnung ist aufwendig und umstritten, weshalb die Steuer seit 1997 hierzulande nicht mehr erhoben wird. Damals waren die Finanzämter allerdings noch nicht durchdigitalisiert. Das ist heute überwiegend anders. Deshalb mehren sich die Forderungen, außergewöhnlich reiche Menschen stärker für das Gemeinwohl in Verantwortung zu nehmen. Das mag den einen oder anderen schmerzen. Aber wer vermeiden will, dass der Frust im Land weiterwächst, sollte zumindest die Debatte darüber nicht scheuen.


Ohrenschmaus


Die da oben

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Der Abwärtsstrudel um die Signa-Gruppe des österreichischen Ex-Milliardärs und Ex-Ehrenmanns René Benko reißt immer mehr Firmen in den Abgrund. Was sich seit Tagen andeutete, ist nun Gewissheit: Die Kaufhauskette KaDeWe Group, zu der neben dem traditionsreichen Kaufhaus des Westens an der Berliner Tauentzienstraße auch das Alsterhaus in Hamburg und das Oberpollinger in München gehören, hat ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung beantragt.

Schuld an der Schieflage sind nicht etwa schlechte Geschäfte: Mit Erlösen von knapp 728 Millionen Euro verzeichnete die KaDeWe Group zuletzt das umsatzstärkste Jahr ihrer Geschichte. Vielmehr besteht das Problem in den horrend hohen Mieten, die Signa den Kaufhäusern abknöpfte. In den kommenden Jahren sollen sie sogar weiter steigen. Wie es nun für die drei Luxushäuser weitergeht, dürfte vom thailändischen Miteigentümer Central Group abhängen. Branchenexperten vermuten, dass dieses Familienunternehmen die Signa-Insolvenz nutzen will, um deren Anteile zu übernehmen und ihren eigenen Reichtum zu mehren. Und was geschieht mit den 1.700 Beschäftigten der Kaufhäuser? Ungewiss. Auch hier also: Die da oben und die da unten.


Die da draußen

Wer in einer Großstadt wie Hamburg lebt, konnte gestern einmal mehr erfahren, welche Macht die Bauern haben. Fahren ging da nämlich nicht mehr, der Verkehr in der Hansestadt stand stundenlang still. Ihren Protest haben die Landwirte pünktlich vor die Haushaltsdebatte gesetzt. Die beginnt heute Morgen im Bundestag und dauert bis Freitag. Dann wollen die Ampelparlamentarier die schrittweise Abschaffung der Agrardiesel-Subventionen beschließen – vermutlich begleitet von viel Stillstand im ganzen Land. Zumal dann auch noch die Angestellten des Nahverkehrs streiken.


Die da drüben

Seine erste Regierungserklärung fällt in eine Krisensituation: Wenn der neue französische Premierminister Gabriel Attal heute in der Nationalversammlung die großen Linien seiner Amtszeit vorstellt, befindet sich Paris "im Belagerungszustand", und zwar, Sie ahnen es wohl, durch Traktorkolonnen protestierender Bauern. Obwohl der 34-jährige Premier den Landwirten schon zahlreiche Zugeständnisse gemacht hat – unter anderem, auf eine geplante Steuererhöhung für Agrardiesel zu verzichten –, mussten gestern landesweit 15.000 Polizisten mit Panzerwagen und Helikoptern dafür sorgen, dass die Hauptstadt, ihre beiden Flughäfen und der Großmarkt erreichbar blieben. Während die deutsche Bundesregierung den Bauern keine weiteren Zugeständnisse machen will und dabei die Mehrheit der Bevölkerung auf ihrer Seite meint, munkelt man in Paris, dass Monsieur Attal einknicken könnte. Denn vor der Europawahl werden die Landwirte von der rechtsextremen Partei Rassemblement National umworben. Standhaft zu bleiben wäre wohl trotzdem klüger.


Lesetipps

Ziehen die USA in einen Krieg gegen den Iran? Mein Kollege Patrick Diekmann hat die Hintergründe.


Boris Pistorius hat versprochen, Waffenkäufe zu beschleunigen. Muss er sein Versprechen brechen? Unser Reporter Daniel Mützel hat nachgehorcht.



Die "Letzte Generation" hat einen Strategiewechsel angekündigt: Festkleben war gestern, stattdessen suchen die Klimaaktivisten nun die direkte Konfrontation.


Zum Schluss

Kennen Sie die Teenager Tommy und Matthew aus Wisconsin? Bis vor Kurzem waren sie mir auch kein Begriff, aber seit ich ihre Videos gesehen habe, zähle ich zu ihren Fans.

Ich wünsche Ihnen einen gelungenen Tag. Morgen kommt der Tagesanbruch wieder von Johannes Bebermeier.

Herzliche Grüße

Ihr

Florian Harms
Chefredakteur t-online
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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