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Boris Pistorius: Verliert der Verteidigungsminister die Nerven?


Verteidigungsminister Pistorius
Verliert er die Nerven?

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

29.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius vor einer Kabinettssitzung im Kanzleramt in Berlin.Vergrößern des Bildes
Bundesverteidigungsminister Pistorius: Jetzt knöpft er sich die Industrie vor. (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)

Boris Pistorius hat versprochen, die Rüstungsbeschaffung zu beschleunigen. Doch noch hakt es an vielen Stellen, der Minister wirkt zunehmend ungeduldig. Kann er seine Versprechen halten?

Boris Pistorius ist sichtlich genervt, als er nach der fehlenden Ausstattung der deutschen Litauen-Brigade gefragt wird. "Nee, das ist nicht ganz richtig", kontert er die Frage von ZDF-Journalistin Marietta Slomka und führt aus, dass es in Wahrheit doch ganz anders sei: Dass man gerade "im großen Stil" bei der Rüstungsindustrie einkaufe, das Tempo bei der Auftragsvergabe deutlich erhöht habe und in allen zentralen Bereichen der Beschaffung "richtig Gas" gebe.

Der Verteidigungsminister im Selbstverteidigungsmodus. Seit Monaten segelt Pistorius als beliebtester Politiker durch die Umfragen. Er pflegt ein Macher-Image, ist beliebt bei der Truppe, gilt als bodenständig und nahbar. "Boris ist der Beste", sagt ein altgedienter Parteikollege aus der SPD-Bundestagsfraktion. Seine Ankündigungen, den schwerfälligen Wehrapparat zu reformieren, finden auch bei der Opposition Anklang.

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Doch Pistorius ist nun über ein Jahr im Amt. Der Druck steigt, nicht nur vollmundige Versprechen zu geben, sondern auch Ergebnisse zu liefern. Die Angriffe der Opposition nehmen zu, der Minister muss sich zunehmend kritischen Fragen stellen. Warum dauern die Nachbestellungen so lange? Schafft er die Wende in der Rüstungsbeschaffung? Oder wird Pistorius wie so viele seiner Vorgängerinnen und Vorgänger am Ende politisch scheitern?

Blame Game

Die Ausgangslage für Pistorius ein Jahr nach Amtsantritt ist weiterhin bescheiden. Die Bundeswehr ist blanker denn je: Trotz des 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens ist die Truppe derzeit schlechter ausgerüstet als noch vor zwei Jahren. Der Grund sind die Waffenlieferungen an die Ukraine, die die Bestände der Truppe weiter geschröpft haben.

In dem ZDF-Interview vor gut einer Woche machte Pistorius das, worauf er schon häufiger zurückgriff, wenn er angefasst war: Er gibt anderen die Schuld. Auf die Frage nach der schleppenden Nachbestellung sagte der Minister: "Gleichzeitig gehört eben dann auch dazu, sich einzugestehen: Wir können schneller bestellen, aber der zweite Schritt ist, die Industrie muss schneller produzieren." Ein Giftpfeil in Richtung Rheinmetall, Hensoldt und Co.

Dass plötzlich die Hersteller die Verursacher der deutschen Beschaffungskrise sein sollen, ist ein neuer Zungenschlag in der Kommunikation des Ministers. Zwar fordert der die Unternehmen schon seit Monaten auf, ihre Produktion hochzufahren. Doch bisher zeigte er eher Verständnis für die fehlenden Kapazitäten, und sah die Hersteller mehr als Verbündete denn als Bremse.

Das scheint sich nun zu drehen. Die Geduld des Ministers neigt sich, so wirkt es jedenfalls, ihrem Ende zu. Verliert er die Nerven? Schon im vergangenen Herbst beim Skandal um die neu beschafften digitalen Funkgeräte, die mit vielen Bundeswehr-Fahrzeugen nicht kompatibel sind, reagierte Pistorius im ersten Moment wenig souverän, gab seinen Mitarbeitern die Schuld, ihn nicht informiert zu haben.

Und auch jetzt, in der Rüstungsfrage, wirkt er getrieben – so als spürte er den Erfolgsdruck, als wisse er, dass ihm die Zeit davonläuft. Denn das Zeitfenster, in dem Pistorius messbare Erfolge präsentieren kann, wird kleiner. Die Legislatur dauert noch gut anderthalb Jahre. Spätestens im Wahlkampf 2025 wird die Opposition versuchen, Pistorius' Bilanz zu zerlegen, jedes seiner Versprechen wird sie peinlich genau überprüfen.

Rekord bei Auftragsvergabe

Dabei hat Pistorius bei Lichte betrachtet keinen Grund, seinen Kurs zu ändern oder in Hektik zu verfallen. Gemessen an seinen Vorgängerinnen und Vorgängern kann der Minister schon jetzt etwas vorweisen: Bei den sogenannten 25-Millionen-Euro-Vorlagen (alle Rüstungsaufträge über 25 Millionen Euro müssen vom Haushaltsausschuss bewilligt werden) erzielte sein Haus im vergangenen Jahr einen historischen Rekord von 55 Vorlagen. Für das laufende Jahr will Pistorius sogar eine "dreistellige" Zahl an Vorlagen durch den Ausschuss bringen.

Auch die Auftragsvergabe beim Sondervermögen für die Bundeswehr, das der Bundestag bereits 2022 im Grundgesetz verankert hat, kommt voran. Laut Verteidigungsministerium sind rund zwei Drittel des Topfes, mehr als 60 Milliarden Euro, vertraglich gebunden. Nur: Dass Verträge bereits unterschrieben wurden, heißt nicht, dass die Produktion schon angelaufen ist, geschweige denn, dass das Geld auch abfließt.

"Das fällt uns jetzt auf die Füße"

So kam es im vergangenen Jahr laut "Südwest Presse" lediglich zu Entnahmen in Höhe von 5,81 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen, statt wie geplant 8,4 Milliarden Euro. 2024 sollen rund 19 Milliarden Euro für neues Material ausgegeben werden. Doch ob das klappt, hängt vor allem von der Industrie ab: Denn das Geld fließt erst, wenn die Ausrüstung auch produziert und geliefert wurde.

Hatte Pistorius vielleicht doch recht, trödelt die Industrie? Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, weist das zurück: "Die Bundesrepublik Deutschland war jahrelang der schlechteste Kunde der Industrie", so die FDP-Politikerin zu t-online. In der Folge seien Produktionskapazitäten heruntergefahren und Arbeitsplätze gestrichen worden. "Das fällt uns jetzt, wo wir einen riesigen Bedarf haben, auf die Füße."

Industrie wehrt sich gegen Vorwurf

Auch die Rüstungsunternehmen wehren sich gegen den Vorwurf des Verteidigungsministers. Als Pistorius wenige Tage später in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung nachlegte und den Firmen vorwarf, "in einem Modus in der Zeit vor Beginn des Krieges" zu sein, hagelte es Kritik. Der Kommunikationschef des Rüstungskonzerns Hensoldt, Joachim Schranzhofer, schrieb kurz darauf auf der Plattform X (vormals Twitter):

"Als Mitarbeiter in der Rüstungsindustrie würde ich dem Minister da widersprechen: Unser Mindset hat sich seit dem 24.2.2022 schnell und grundlegend geändert. Wir sind in der Lage, schnell und in großen Stückzahlen zu liefern. Dafür müssen einfach nur Aufträge erteilt werden!" Hensoldt stellt unter anderem Radargeräte des Flugabwehrsystems Iris-T SLM her.

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Auch der Chef des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV), Hans Christoph Atzpodien, widerspricht Pistorius. Viele Unternehmen hätten infolge des russischen Angriffskrieges teilweise auf eigenes Risiko investiert, "um die Ausrüstung der Bundeswehr schnellstmöglich zu verbessern", so Atzpodien zur "Bild". Doch leider sei zunächst "aus Haushaltsgründen fast gar nichts" bestellt worden.

"Wie eine komplizierte Dreiecksbeziehung"

Pistorius' Kritik – ein Bumerang, den er jetzt wieder einfangen muss. Offen bleibt dabei die Frage, wer tatsächlich Schuld trägt an der Rüstungsmisere. Das sei nicht immer so leicht zu klären, sagt der SPD-Verteidigungspolitiker Kevin Leiser. "Es ist manchmal wie eine komplizierte Dreiecksbeziehung: Die Regierung, das Parlament und die Industrie haben ihre jeweils berechtigten Bedarfe." Diese in Einklang zu bringen, sei kompliziert.

Leiser erklärt das am Beispiel der Munition: Vor dem russischen Angriffskrieg habe die Bundesregierung in der Regel dann Munition gekauft, wenn noch Geld übrig war. Die Firmen hätten daher ihre Kapazitäten abgebaut. Um das umzukehren, brauche die Industrie Planungssicherheit, so Leiser. Konkret: Rahmenverträge mit großen Abnahmezahlen, damit sich der Aufbau neuer Fertigungslinien lohne.

Überproduktion verhindern

Andererseits könne die Regierung natürlich nicht beliebig Aufträge vergeben, sagt der SPD-Politiker. Leitlinien seien der Bedarf der Bundeswehr und die zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel. Die pauschale Forderung der Firmen, der Staat müsse mehr Abnahmegarantien geben, damit sie endlich ihre Kapazitäten erweitern könnten, weist Leiser zurück. "Durch Rahmenverträge und Abnahmegarantien geben wir den Firmen bereits mehr Sicherheit. Der Staat sollte das betriebswirtschaftliche Risiko der Firmen allerdings nicht auf null senken."

Der Teufel stecke im Detail: Man wolle keine "Überproduktion" von Militärgütern, die die Bundeswehr oder ihre Verbündeten am Ende gar nicht brauchen, nur weil die Industrie sage, man fange erst ab einer gewissen Stückzahl an zu produzieren. Das sei gerade die größte Herausforderung, so Leiser: "Einerseits den Firmen Planungssicherheit zu geben, andererseits nur das zu produzieren, was für unsere Sicherheit gebraucht wird."

Mini-Aussetzer schlagen nicht auf Beliebtheit

Doch die komplizierte Beschaffung lässt sich in der politischen Kommunikation manchmal nur schwer vermitteln. Verteidigungsminister Pistorius scheint ohnehin gewillt, künftig stärker in die rhetorische Offensivverteidigung zu gehen. Kritiker sagen, der Minister steht sich mit seinem Tatendrang manchmal selbst im Weg: Wenn Dinge nicht so laufen, wie er sich das wünscht, oder der Apparat nicht wie vorgeschrieben läuft, kann der Minister durchaus mal säuerlich werden.

Andererseits: Wäre das so schlimm? Bisher haben Pistorius' Mini-Ausfälle ihm jedenfalls nicht geschadet. In den Beliebtheits-Rankings führt Pistorius seit Monaten unangefochten. Die Deutschen scheinen es ihrem Anpacker-Minister zu verzeihen, wenn der auch mal bei seinen Beamten oder Rüstungsindustriellen rhetorisch zupackt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Interview mit Marie-Agnes Strack-Zimmermann
  • Interview mit Kevin Leiser
  • bild.de: "Sind Deutschlands Waffen-Fabriken zu lahm?"
  • zdf.de: 'Pistorius: "Man muss glaubhaft abschrecken"'
  • Anfrage an das BMVg
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