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Klingbeils Herausforderungen: Zwischen Litauen-Besuch und Haushaltskrise


Tagesanbruch
Das wird brutal

  • Daniel Mützel
MeinungVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 30.07.2025 - 08:57 UhrLesedauer: 7 Min.
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Klingbeil (r.) mit Kommandeur Malte Bolanz beim multinationalen Nato-Gefechtsverband in Rukla. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wer kennt das nicht: Zu Hause ist dicke Luft, Gerangel an allen Ecken und Enden, kleinste Probleme werden zu Staatsaffären, die Nachbarn lärmen, der Chef ist unerbittlich, das Wetter sowieso doof. Es ist, wie es ist, manchmal hat man einfach keinen guten Lauf. Was meistens hilft: Einfach mal rausgehen, den bleiernen Alltag hinter sich lassen, neue Leute, andere Themen, und sei es nur für einen Tag.

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So oder so ähnlich dürfte es Lars Klingbeil momentan gehen. Der Vizekanzler hat gerade keine glückliche Hand.

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Der Wachstums-"Booster" und die Stromsteuersenkung, mit der die Regierung ein Signal der Entlastung senden wollte – ein PR-Desaster.

Dann der Eklat um eine abgeblasene Richterwahl, der fast in eine handfeste Regierungskrise mündete und bei dem nun keiner so recht weiß, wie man gesichtswahrend wieder herauskommt.

Auch Klingbeils radikaler Umbau der SPD hinterließ mehr Wunden als erwartet: Beim Parteitag der Sozialdemokraten im Juni wurde der Parteichef so heftig abgestraft, dass man ihm den Rückschlag förmlich ansah.

Nicht zu vergessen: Auch Klingbeils Kerngeschäft als Finanzminister – die Aufstellung eines soliden Haushalts – taugt nicht unbedingt als Beliebtheits-Booster. Angetreten, um Deutschlands "Investitionsminister" zu werden – und damit das Gesicht der Modernisierung des Landes –, macht er derzeit eher als Verwalter von Rekordschulden und Milliardenlöchern von sich reden.

Kurzum: Klingbeil hat gleich mehrere Gründe, um Deutschland mal eben zu entfliehen, und sei es nur für anderthalb Tage. Auf seiner Operation Tapetenwechsel reiste Klingbeil am Montag und Dienstag nach Litauen, traf seine baltischen Amtskollegen, den litauischen Staatspräsidenten und besuchte die deutsche Litauen-Brigade.

Die Panzerbrigade 45, wie der Kampfverband offiziell heißt, gilt als das Leuchtturmprojekt der deutschen Zeitenwende. Bis Ende 2027 soll die Brigade voll einsatzfähig sein. Dann sollen 4.800 Soldaten, 200 zivile Kräfte, und über 100 Kampf-, Schützen- und Spähpanzer und Haubitzen das kleine baltische Land vor Russland schützen.

Ob im Ernstfall die 5.000 Deutschen, zusammen mit der nur 17.000-Mann-starken Armee Litauens, einer einfallenden russischen Streitmacht lange etwas entgegensetzen könnten, ist unklar. Umso wichtiger ist es aus deutsch-litauischer Sicht, den Verband möglichst schnell und möglichst robust aufzustellen: für eine glaubwürdige Abschreckung, damit der Ernstfall gar nicht erst eintritt.

Für Klingbeil, der aus einer Soldatenfamilie stammt und nahe dem Heeresstandort Munster aufwuchs, war der Besuch bei der Truppe ein Heimspiel. Zunächst ging es zum Stab der Litauen-Brigade. Ein schickes Bürogebäude in der litauischen Hauptstadt Vilnius, das eher Start-Up-Charme statt Kriegstüchtigkeit versprüht. Rund 400 Frauen und Männer tun dort bereits ihren Dienst, bis nächstes Jahr sollen es 1.800 werden.

Der Kommandeur der Brigade, Christoph Huber, empfing Klingbeil überschwänglich. Bei einem Rundgang durch die Räumlichkeiten präsentierte der Brigadegeneral dem Vizekanzler ein litauisches Schulbuch, in dem Zehntklässler etwas über den historischen deutschen Beitrag für die Sicherheit Litauens erfahren und das sogar ein Zitat von Huber enthält.

Das Buch dient dem Kommandeur als Beleg dafür, wie dankbar die Litauer darüber sind, dass die Deutschen hier sind. Dass sie sich ein wenig sicherer fühlen können vor der russischen Kriegsmaschine, die in der Nachbarschaft wütet. Der Aufstellungsappell im Mai, als auch Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor Ort waren, habe fast "Volksfestcharakter" gehabt, erzählte Huber bei seiner Bürotour. Tausende Litauer hätten der feierlichen Indienststellung der Brigade auf dem Kathedralenplatz in Vilnius beigewohnt, ein "ganz wichtiger Tag für die Sicherheit unserer beiden Länder".

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Der deutlich kleinere Brigadegeneral führte den zwei Meter großen Klingbeil durch den Raum. Huber redete schnell, stakkatohaft, schien dabei fast ein wenig aufgekratzt. Klingbeil wirkte dagegen wie die Ruhe selbst, unterbrach Hubers Wortsturm mal mit "hm", "aha" oder einem abschließenden "gut", wenn er zur nächsten Station wollte.

Bei den anschließenden Gesprächen mit den Soldaten wollte Klingbeil vor allem zuhören. In seinem kurzen Grußwort dankte er den Soldaten für ihren Einsatz, versuchte, Nähe herzustellen. Dann sagte er einen Satz, den er noch mehrmals am Dienstag sagen würde: Selten habe er in Gesprächen über deutsche Soldaten so viel Funkeln in den Augen erlebt, so sehr würdigten die Litauer das deutsche Engagement in ihrem Land.

Das kam gut an bei den Soldaten, Klingbeil erntete zugewandte Blicke. Dann mischte er sich unter sie, wollte wissen, wo der Schuh drückt. "Erzählen Sie mal. Wünsche, Anliegen, Probleme, Feuer frei", sagte er zu einer uniformierten Viergruppe an einem Stehtisch. In deren Begeisterung über die litauische Gastfreundschaft mischten sich nach wenigen Minuten Plausch jedoch auch Zweifel. Darüber, ob man wirklich Ende 2027 mit Mann und Maus einsatzbereit sei, oder ob die Brigade nicht vorher, wenn nicht vom Russen, von deutschen Vorschriften zermürbt werde.

Ein großes Ärgernis ist für die Soldaten etwa die EU-Arbeitszeitrichtlinie (die Logistikerin am Tisch nennt sie bloß "Geißel"), die wohl gut gemeint sei, aber letztlich dazu führe, dass die Planer mit ihrer Vorbereitung nicht hinkämen, weil sie Überstunden abbummeln müssten. Klingbeil konnte das Problem natürlich nicht sofort am Tisch lösen, entschuldigte sich, ging an den nächsten. Immerhin zuhören wollte er.

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Nach dem Besuch beim Stab ging es weiter nach Rukla. Dort sind die rund 1.400 Soldaten der Multinational Battle Group (MBG) stationiert, eines Nato-Verbands unter deutscher Führung, der nächstes Jahr mit der Brigade verschmelzen soll. Auf dem Kasernenhof in Rukla ließ sich Klingbeil die schweren Waffen vorführen, mit denen die Deutschen Russlands imperialen Donnersturm vom Baltikum ablenken sollen.

Eine einzige Brigade als Blitzableiter, reicht das? Es muss reichen.

Bei der Waffenschau wurde Klingbeil vom Schützen- zum Spähpanzer gelotst, vom Transport- zum Kampfpanzer. Sie alle standen blitzblank gesäubert in der Sonne, herausgeputzt für die Beschau durch den deutschen Vizekanzler. Vom Kampfpanzer Leopard-2 ist Klingbeil besonders angetan. Der Kommandant des Monstrums mit der 120-Millimeter-Kanone nennt ihn das "Herzstück des Heeres", das nicht Spaß mache, sondern auch "ordentlich Action". Klingbeil grinst. Einmal durfte er auch schon in einem Leo mitfahren, erzählte er, "beeindruckend" sei das gewesen. Ein Sozialdemokrat ohne Berührungsängste mit Waffen oder Soldaten – das sollte die Botschaft an dieser Stelle sein. Sie kam an.

Man musste in diesem Moment kurz an Olaf Scholz denken, der im Februar 2024 beim Spatenstich einer neuen Munitionsfabrik von Rheinmetall mit verzogener Miene eine Artilleriegranate berührte. Er tat das ohne Not, und es wirkte, als würde ihm gleich die Hand abfallen.

Klingbeil schien in Rukla bewusst einen Sozialdemokraten neuen Typs verkörpern zu wollen (manche würden sagen alten Typs), einer, der sich in der Truppe wohlfühlt und da auch zeigen will. Beim Thema Verteidigung gibt Klingbeil den Anti-Scholz.

Doch Dienstagabend war Schluss. Klingbeil musste zurück nach Berlin. Zu Hause wartete auf ihn ein Haushalt voller Risiken.


Heimatfront Haushalt

Eben noch an der Nato-Ostflanke, jetzt wieder in der deutschen Innenpolitik. Am Vormittag legt Finanzminister Klingbeil dem Kabinett seinen Haushaltsentwurf für 2026 zur Abstimmung vor. Und er hat sich noch eine kleine Gemeinheit für die Kollegen überlegt.

Obwohl die Koalition angesichts von Rekordschulden in Saus und Braus zu leben scheint, ist das Gegenteil richtig: Die Regierung muss sparen, und zwar richtig. Bis 2029 klafft ein Haushaltsloch von 172 Milliarden Euro. Diesen kommunikativen Grundwiderspruch – Sondertopf-Prasserei versus Sparsamkeit – muss vor allem der Finanzminister ausbaden.

Klingbeil will daher den Kabinettstermin zum Anlass nehmen, seinen Kollegen ins Gewissen zu reden. Die schwarz-rote Kampfgemeinschaft funktioniert noch nicht so, wie Klingbeil sich das wünscht. "Es gilt, in allen Ressorts eine strikte Ausgabendisziplin walten zu lassen", heißt es in der Vorlage zum Haushaltsentwurf. "Neue Vorhaben stehen unter Finanzierungsvorbehalt."

Doch nicht alle halten sich an Klingbeils Spardiktat. Ausgerechnet die CDU-Minister zeigen sich uneinsichtig, versuchen, höhere Ausgaben in ihren Ressorts durchzusetzen. Manch einer schaltet gar den Kanzler ein, um den eigenen Etatwünschen mehr Wumms zu verschaffen. Vorerst vergeblich. Klingbeil will hart bleiben.

Klar ist: Der Herbst wird brutal. Dringend nötige Sozialreformen, Geschachere um Haushaltsposten und Etatkürzungen – die Koalition steht am Ende der Sommerpause vor ihrer bisher größten Belastungsprobe. Und auch danach wird es nicht besser. Im Gegenteil: Die Kassenlage der Regierung wird von Jahr zu Jahr dramatischer. Wie sie das lösen will? Weiß niemand.

Was man hingegen weiß: Mit Zahlenschieberei und Herumklempnern am Haushalt im Scholz-Stil wird Klingbeil nicht weit kommen. Mit schärferen Bürgergeld-Sanktionen auch nicht. Dutzende Milliarden mobilisiert man nicht, indem man ein paar armen Schluckern die Stütze streicht. Ein größeres Projekt der Regierung wird wohl geopfert werden müssen. Nur welches? Auch das weiß niemand.

Den Kahlschlag zu organisieren, ohne die Statik der Koalition zu gefährden, wird Klingbeils eigentliche Bewährungsprobe. Gelingt es ihm, darf er es als großen politischen Erfolg verbuchen. Scheitert er, kann er sein Projekt 2029 – die Kanzlerkandidatur der SPD – womöglich begraben.

Vielleicht wünscht sich Klingbeil die nächsten Tage und Wochen nach Litauen zurück: zum freundlichen Herrn Huber, der die deutsche Mission in den prächtigsten Farben malen kann – und zu den dankbaren Litauern, deren Augen funkeln, wenn sie an Deutsche denken. Ob am Mittwochmorgen im Kabinett jemandem die Augen funkeln werden, wenn sie Klingbeils Spar-Standpauke hören? Das darf bezweifelt werden.


Weitere Termine

US-Notenbank Fed entscheidet über Leitzins: Seit gut einem halben Jahr hat die Fed den Leitzins nicht mehr angetastet. Ändert sich das mit der Juli-Sitzung? Unwahrscheinlich. Marktbeobachter gehen davon aus, dass die Fed und ihr Chef, Jerome Powell, an ihrer Zinspolitik festhalten. Grund dafür sind vor allem die von US-Präsident Donald Trump forcierten Zölle, die Fed sieht Inflationsrisiken und Belastungen für die heimische Wirtschaft. Um 20 Uhr deutscher Zeit wird die Entscheidung bekanntgegeben.


Trumps Zollhammer und die deutsche Wirtschaft: Wie hat sich die deutsche Wirtschaft unter dem Eindruck erster US-Zölle und hoher Drohungen geschlagen? Nach einem überraschend guten Jahresstart legt das Statistische Bundesamt um 10 Uhr eine erste Schätzung zum deutschen Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal vor.


Lesetipps

Ein Luftbrückchen für Gaza? Gemeinsam mit Jordanien soll die deutsche Luftwaffe Hilfspakete über den Gazastreifen abwerfen, um den hungernden Menschen zu helfen. Meine Kollegen Christoph Schwennicke und Philipp Michaelis diskutieren in einem Pro & Kontra, wie sinnvoll die Maßnahme ist.



Ob "ACAB"-Pulli oder provokante Posts in sozialen Netzwerken: Die Chefin der Grünen Jugend, Jette Nietzard, hat keinen Skandal ausgelassen. Nun will sie ihren Platz räumen. Warum das nicht nur für ihre Partei eine gute Nachricht ist, kommentiert meine Kollegin Julia Naue.


Ich wünsche Ihnen einen entspannten Mittwoch. Morgen schreibt Ihnen aus Washington Bastian Brauns.

Ihr Daniel Mützel
Politischer Reporter im Hauptstadtbüro
Twitter: @DanielMuetzel

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Mit Material von dpa und Reuters.

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