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AfD steht unter Druck: Ist das der Wendepunkt?


Tagesanbruch
Die AfD am Wendepunkt?

  • Annika Leister
MeinungVon Annika Leister

Aktualisiert am 12.06.2025 - 10:18 UhrLesedauer: 6 Min.
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Alice Weidel, Tino Chrupalla: Wendepunkt für die AfD oder "Weiter so"? (Quelle: IMAGO/imago)
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Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

wenn die Innenminister aus Bund und Ländern sich dieser Tage in Bremerhaven treffen, wird es in ihren inoffiziellen "Kamingesprächen" oft um ein Thema gehen: die AfD. Denn während das Bundesamt für Verfassungsschutz kurz vor dem Regierungswechsel das Fazit zog, die Partei sei auf Bundesebene gesichert rechtsextrem, stellen sich in den Ländern dazu doch noch einige Fragen.

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Denn zurzeit ist die Einstuferei des Verfassungsschutzes ein unübersichtliches und schwer erschließbares Geschäft: In Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und neuerdings auch in Brandenburg sowie auf Bundesebene gilt die AfD als "gesichert rechtsextremistisch" – auch wenn die Behörde für Bund wie Brandenburg zugesagt hat, die Partei bis zu einer ersten Gerichtsentscheidung nicht mehr öffentlich so zu nennen. Anders aber sieht es in der Mehrzahl der Bundesländer aus: In Mecklenburg-Vorpommern hat die AfD die höchste Stufe für Verfassungsfeinde ebenso wenig erreicht wie in den zahlenmäßig überlegenen und an Mitgliedern starken West-Verbänden. Hier gilt die AfD den meisten Landesämtern für Verfassungsschutz als Verdachtsfall, in Nordrhein-Westfalen ist sie noch gar nicht eingestuft.

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Auf vier gesichert rechtsextreme Landesverbände kommen also zwölf Landesverbände, die das nicht sind. Ergibt für den Verfassungsschutz: eine auf Bundesebene rechtsextreme Partei. Ein Schelm, wen das an die Rechenkünste von Pippi Langstrumpf erinnert: "Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune!"

Einleuchten will das auch den Politikern selbst nicht. So schimpfte der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) über eine "indiskutable Situation", wenn der Bund hochstufe, aber nicht alle Länder folgten. Was solle das denn bitte für eine Botschaft nach draußen sein?

Inhaltlich verargumentieren ließe sich der Wildwuchs und die Stufe "gesichert rechtsextrem" auf Bundesebene schon: Die AfD setzt dort im Fraktions- und Parteivorstand sowie im Bundestag schließlich unabhängig von ihren Landesverbänden die wichtigsten Impulse. Nicht zuletzt AfD-Chefin Alice Weidel lieferte als Spitzenkandidatin im Bundestagswahlkampf so manches Nugget für den Nachrichtendienst. Personell hat man sich außerdem professionalisiert, was im Grunde heißt: Man hat in vielen Punkten aufgehört, zu streiten. Björn Höckes "Flügel" hat sich seither wie ein Stück Seife in der ganzen Badewanne verteilt, neue rechtsextreme Netzwerke sind hinzugekommen, die auch über die Besetzung des Bundesvorstands entscheiden. Eng sind zudem Verbindungen und Austausch zwischen allen Landesverbänden.

Doch offensichtlich hapert es an Absprachen mit den Ländern. Fragen hat man deswegen in den Innenministerien, die es zu klären gilt, bevor man zu Themen übergeht, die perspektivisch Existenzen betreffen, zum Beispiel: Wie umgehen mit Beamten, zumal in Sicherheitsbehörden, die AfD-Mitglieder sind?

Etwas übersichtlicher ist die Lage in der AfD selbst. Da gibt es zwar oberflächliche Signale, dass die Partei sich nach der Höherstufung durch den Verfassungsschutz am Riemen reißen könnte: So musste die Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst auf Verlangen der Fraktionschefs Weidel und Chrupalla gerade einen muslimfeindlichen Post löschen. Gegen den Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich, der sich einst als "freundliches Gesicht des NS" bezeichnete, wird aus seinem Heimatverband NRW heraus mit neuer Verve ein Parteiausschlussverfahren* geführt. Der durch diverse Skandale in Ungnade gefallene Maximilian Krah, Spitzenkandidat für die Europawahl 2024, versucht währenddessen, öffentlich eine Abkehr vom völkischen Weg einzuleiten – nicht nur für sich, sondern für die ganze Partei.

Dabei will der wendige Jurist durch eine Verhaltensänderung das stärkste Argument des Verfassungsschutzes gegen die AfD entkräften: Die Partei dürfe nicht mehr zwischen Staatsbürgern erster und zweiter Klasse unterscheiden – darauf dringt Krah. Rechtlich und in der politischen Zielsetzung müssten alle gleichbehandelt werden, ob nun Deutsche ohne oder mit Migrationshintergrund oder 2015 eingebürgerte Syrer.

Das ist Demokratie, nicht mehr. In dem Umfeld aber, das Krah groß gemacht hat, ist der Aufschrei gewaltig – und verräterischer, als es 1.100 Seiten Verfassungsschutzgutachten sein könnten. Übersetzen lässt sich dieses braune Gewaber, das mit bildungsbürgerlichem Anstrich verpackt wird, mit einem Neonazi-Slogan: Deutschland den Deutschen. Indem er das als Parteiproblem offenlegt, zerschießt Krah nebenbei die bisherige Verteidigungslinie der AfD in Gerichtsverfahren gegen den Verfassungsschutz. Denn dort leugnete die AfD ja grundlegend, dass es so etwas wie rechtliche Unterscheidungen zwischen Staatsbürgern aus ihren Reihen je gegeben hat.

Die AfD würde sich ehrlich machen, wenn sie sich der von Krah angestoßenen Debatte tatsächlich stellen würde. Sie müsste dafür allerdings ihr schmutzigstes Inneres nach außen kehren: die Fremdenfeindlichkeit. Gemeinsam mit ihr müsste sie das gesamte rechtsextreme Vorfeld, das die Partei erst groß gemacht hat, und diverse ihrer führenden Köpfe, die sich immer wieder als verbissene Rassisten und Rechtsextremisten gezeigt haben, zügeln oder abstoßen. Undenkbar.

Fragt man derzeit an der Spitze der Partei nach der Strategie an diesem möglichen Wendepunkt, so erklären ganz unterschiedliche Akteure Ähnliches: Höchstens im Stil wolle man sich zügeln, im Inhalt auf keinen Fall. Weniger derbe Posts wie Höchst also, aber bitte keine inhaltlichen Reflexionen und Einschnitte à la Krah. Kosmetik statt Kurswechsel. Mehr kann man nicht wagen, für mehr sieht man auch gar keinen Bedarf. Der Erfolg der Partei spreche für sich.

Und es stimmt: Erfolgreicher als in den vergangenen Monaten war die AfD nie. Die Radikalsten in ihren Reihen sind dabei oft auch die stärksten Zugpferde, etwa Björn Höcke, der in Thüringen das bisher beste Ergebnis der Partei einfuhr. Ihn adelte Weidel schon im Bundestagswahlkampf zum möglichen Minister und verriet damit deutlich: Alles geht in der AfD – solange nur die Prozente stimmen. Verfassungsschutz hin, Extremismus her.

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Damit dürfte die AfD vorerst dem Kurs treu bleiben, den sie seit ihrer Gründung verfolgt: unbeugsam, unnachgiebig, unaufhaltsam nach rechts – jetzt nur in etwas professionellerer Form.

*Hinweis der Redaktion: Hier war zunächst von einem Verbots-, nicht einem Parteiausschlussverfahren die Rede. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.


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Zum Schluss

Ich wünsche Ihnen einen zauberhaften Donnerstag. Morgen schreibt Florian Harms wieder für Sie.

Herzlichst

Ihre Annika Leister
Politische Reporterin im Hauptstadtbüro von t-online
X: @AnnLei1

Was denken Sie über die wichtigsten Themen des Tages? Schreiben Sie es uns per E-Mail an t-online-newsletter@stroeer.de.

Mit Material von dpa.

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