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Archäologie in Ba'ja: Wo die Lebendigen mit den Toten wohnten


Wo die Lebendigen mit den Toten wohnten


Aktualisiert am 30.05.2018Lesedauer: 4 Min.
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Archäologischer Fund: Grubenbestattung mit gegenüber hockendem Baby und Kleinkind unter dem Fußboden eines Hausraums in Baʻja.Vergrößern des Bildes
Archäologischer Fund: Grubenbestattung mit gegenüber hockendem Baby und Kleinkind unter dem Fußboden eines Hausraums in Baʻja. (Quelle: Baʻja Neolithic Project, Photo: Benz)

In der jungsteinzeitlichen Siedlung Ba'ja trennten sich die Menschen nicht von ihren Toten – sondern begruben sie unter den Fußböden ihrer Häuser. Warum, will ein Forschungsprojekt klären.

Wohngemeinschaften sind praktisch: Man teilt die laufenden Kosten, hilft sich gegenseitig bei Problemen – und feiert meist auch gemeinsam. Dennoch: Es ist alles andere als selbstverständlich. Als vor mehr als 8.000 Jahren die ersten großen Dörfer im Nahen Osten entstanden, war das dauerhafte Zusammenleben eine gigantische Herausforderung.

Wie die Menschen es damals trotzdem schafften, wie sie ihre Gemeinschaften und Haushalte definierten und warum selbst Tote dabei eine wichtige Rolle spielten, diesen Fragen will mit der neuen Grabungssaison im jordanischen Ba'ja, wenige Kilometer nördlich der berühmten Ruinenstadt Petra, ein Archäologenteam um Hans Georg Gebel, Christoph Purschwitz und Marion Benz vom Institut für Vorderasiatische Archäologie der Freien Universität Berlin nachgehen.

Hausgemeinschaft über den Tod hinaus

Denn statt, wie wir es heute kennen, die Toten auf abgelegenen Friedhöfen zu bestatten, begruben die Bewohner von Ba'ja in der Jungsteinzeit zwischen 7.500 und 7.000 vor Christus die Verstorbenen direkt bei sich: "Lebende und Tote bildeten dort tatsächlich eine Art Hausgemeinschaft", erklärt Gebel. "In den meisten geschichtlichen Perioden wurden die Toten an zentralen Plätzen außerhalb von Wohngebieten bestattet, die nur Orte der Erinnerung waren. Die Toten der Kultur von Ba‘ja wurden jedoch von den Nachlebenden mit Beigaben unter dem Fußboden ihrer Häuser und in Ruinen beigesetzt."

Dafür hoben sie Gruben aus und legten die Toten in hockender Position mit angewinkelten Beinen hinein – oftmals mehr als einen. "Manche Grabkammer wurde mehrmals wieder geöffnet", erzählt Benz. "Und zwar erst nach einem längeren Zeitraum, nachdem von dem ersten Toten nur noch die Knochen übrig waren. Wurde eine neue Bestattung hinzugefügt, schob man die alten Knochen dann bei Seite."

Abgeschiedene Lage

Das Zusammenleben mit den Toten in Ba'ja fand auf engstem Raum statt, denn viel Platz gab es nicht auf dem Plateau zwischen steilen Felswänden und tiefen Schluchten. Nur etwa 1,5 Hektar Siedlungsfläche standen den Einwohnern zur Verfügung, bis zu 600 (lebende und atmende) Personen drängelten sich hier. Viele der Häuser besaßen deshalb bis zu drei Stockwerke. Gänge oder gar Straßen zwischen den Gebäuden gab es nicht, die Wege verliefen über die Dächer. Der einzige Weg nach Ba'ja führte durch eine bis zu 70 Meter tiefe und teilweise nur einen Meter breite Schlucht. Wer sein Dorf an einem so abgelegenen Ort gründet, legt wahrlich keinen großen Wert auf den Kontakt zu Nachbargemeinden oder gar Fremden.

Trotz der Platznot ließen die Bewohner von Ba'ja den Toten wenigstens ein Minimum an Privatsphäre. In Räumen, die einmal für Bestattungen genutzt wurden, fand danach kein Alltagsleben mehr statt. "Die Gruben wurden mit Sandsteinplatten abgedeckt und dann mit dem ausgehobenen Fußbodenmaterial versiegelt, dadurch entstand ein kleiner Hügel", beschreibt Benz die Gräber. "Den tünchten die Hinterbliebenen dann auch noch weiß an. Danach war es definitiv kein gewöhnlicher Zimmerfußboden mehr."

"Bis dass der Tod Euch scheidet"

Warum aber gewährten die Leute ihren Toten den Platz mitten in der engen Dorfgemeinschaft? Vermutlich, spekulieren die Forscher, endeten in Ba'ja die sozialen Bindungen nicht, wenn ein Mitglied der Gemeinschaft starb. "Bis dass der Tod Euch scheidet" galt dort nicht. Stattdessen blieben die Verstorbenen Teil der Gemeinschaft. "Die Toten waren weiterhin grundlegender Bestandteil der Wertewelten und Identitäten der Lebenden", vermuten die Forscher. "Womöglich dienten die Verstorbenen auch als Medien der Kontrolle und des Banns eines allgegenwärtigen Außerweltlichen."

Der enge Kontakt zu den Toten ist allerdings für die Zeit und in der Region nichts Ungewöhnliches. In der Jungsteinzeit war der Tod vermutlich überhaupt nicht abschreckend. So beschäftigten sich beispielsweise die "Nachbarn" der Bewohner von Ba'ja im nur wenige Kilometer entfernten Shkārat Msaied sogar noch ausgiebiger mit ihren Verstorbenen. Während die Leichname langsam verwesten, wurden sie wieder und wieder in Steinkisten umarrangiert und neu geordnet.

Asche zu Asche, Staub zu Staub

Bei jedem neuen Ritual fielen Körperteile ab, lösten sich die Körper weiter auf – bis das Individuum nur noch aus Knochensplittern bestand. Die verloren sich am Ende in einem großen Gemeinschaftshaus mitten in der Siedlung im Boden. Welche religiösen Konzepte dahinter standen, weiß niemand. Ein Echo davon klingt aber heute noch aus der Bibel, wenn es heißt: Asche zu Asche, Staub zu Staub. Der Tote hört auf zu existieren und wird wieder Teil des Lebens.

Ähnliche Rituale wie in Shkārat Msaied praktizierten die Menschen zu jener Zeit in Çayönü in der heutigen Türkei. Dort sortierten sie die Knochen ihrer Toten allerdings nicht in Kisten, sondern in kleinen Kammern im so genannten Schädelhaus – am Rande des Dorfes. Vor gut 10.000 Jahren dann begannen an der Levanteküste die Menschen, die Köpfe ausgewählter Toter gesondert zu behandeln. In Jericho, Ain Ghazal, Beisamoun und Tell Ramad überformten sie die Gesichter mit Gips und verzierten die Augen mit Muscheln, bevor sie die Totenschädel unter dem Boden ihrer Wohnhäuser vergruben.

Giftschlangen und Skorpione

In Ba'ja ging das Festhalten an Vergangenem allerdings noch über die Totenpflege hinaus. Sogar ganze Haushalte wurden regelrecht in den Räumen der Häuser oder in Hausruinen 'beerdigt', komplett mit allem Werkzeug und Schmuck. Warum die Bewohner von Ba'ja nicht loslassen mochten, will das nun angelaufene Projekt "Hausgemeinschaften von Lebenden und Toten in der Jungsteinzeit" ab der kommenden Grabungssaison untersuchen.

Die Arbeitsbedingungen sind oft schwierig. Jeder Liter Wasser und jedes Kilo Lebensmittel für die 25 Grabungsteilnehmer aus bis zu acht Ländern müssen erst einmal in einer einstündigen Klettertour durch die enge Schlucht zu der wasserlosen Grabungsstätte geschleppt werden. Das Terrain ist tückisch, zwischen den Steinen leben Giftschlangen und Skorpione. Das alles aber stört die Archäologen eher wenig. "Der überwältigend schöne Naturraum entlohnt für die Entbehrungen in Hitze, Staub und Gefahr", schwärmt Gebel.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Pressemeldung der Freien Universität Berlin
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