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El Niño: Warum die Chimú ihren Kindern die Herzen herausrissen


Grausiger Fund
Warum die Chimú ihren Kindern die Herzen herausrissen


28.04.2019Lesedauer: 4 Min.
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Massenopferung: Überreste eines Kindes aus Huanchaquito-Las Llamas.Vergrößern des Bildes
Massenopferung: Überreste eines Kindes aus Huanchaquito-Las Llamas. (Quelle: Journal PLOS ONE)

Im Norden Perus haben Archäologen die Überreste von 140 Kindern untersucht. Sie wurden einst grausam geopfert, als ein Wetterphänomen ihre Heimat heimsuchte.

Normalerweise herrscht Wüstenklima in den Ruinen von Chan Chan, der ehemaligen Hauptstadt des Reiches der Chimú an der peruanischen Pazifikküste. Manchmal vergehen Jahrzehnte, ohne dass ein Tropfen Regen fällt. In der letzten Jahren aber wird Chan Chan immer wieder von den Auswirkungen des Klimaphänomens "El Niño" heimgesucht. Starkregen wäscht dann die Wände der Lehmhäuser weg, reißende Sturzbäche unterspülen die Fundamente.

Es ist nicht das erste mal, dass Chan Chan schwer mit den Boten "El Niños" zu kämpfen hat. Ähnliche katastrophale Regenfälle konnten die Archäologen schon für die Zeit um 1450 beobachten. Und damals griff das dort lebende Volk der Chimú zum Äußersten, um die Fluten aufzuhalten: Sie opferten ihre Kinder. In Huanchaquito-Las Llamas, auf einem Geländeabsatz an der Küste, rund drei Kilometer von Chan Chan entfernt, bargen Ausgräber die Spuren der Tragödie. Sie fanden 140 Kinderskelette – mit aufgeschnittenem Brustkorb, die Herzen herausgerissen.

Jüngste Opfer waren vier Jahre alt

Mit den Kindern starben rund 200 Lamas. Vermutlich waren es noch viel mehr – Teile des Opferplatzes wurden bereits durch den Bau einer Straße und von Gebäuden zerstört. Ein Team um John Verano von der Tulane University und Gabriel Prieto von der National University of Trujillo hat ihre Überreste untersucht und die Ergebnisse in der Onlinefachzeitschrift der Public Library of Science (PLOS One) veröffentlicht.

Die Fußspuren der Opfer wie der Täter haben sich tief in die Schlammschicht eingedrückt, die damals über dem Plateau lag. Der Boden war glitschig, aufgeweicht von den heftigen Regenfällen, als die Kinder und Lamas in zwei Gruppen zu der Stätte ihres Todes geführt wurden – eine von Norden und eine von Süden. Die Erwachsenen trugen Sandalen, die Kinder aber waren barfuß, ihre kleinen Zehen gruben sich in den Schlamm. Die kleinsten von ihnen waren gerade einmal vier Jahre alt, die ältesten höchstens vierzehn, die meisten aber zwischen acht und zwölf.

Einigen hatten die Priester zuvor die Gesichter mit Zinnober rot gefärbt, andere trugen einen prächtigen Kopfputz aus Baumwolle. Vielleicht hatten einige der Kleinen in den Tagen zuvor Freundschaften geschlossen und hielten sich an den Händen oder klammerten sich aneinander. Doch zusammen aufgewachsen waren sie nicht: Die Kinder stammten aus sehr unterschiedlichen Regionen des Chimú-Reiches.

Schädel wurden gezielt verformt

Das war den Ausgräbern bereits aufgefallen, als sie die kleinen Schädel bargen. Einige von ihnen waren deformiert – wie es zur damaligen Zeit Mode war in Teilen Südamerikas. Dafür banden die Mütter ihren Babys die Köpfe zwischen Bretter oder Tücher, so fest und so lange, dass die weichen Schädelplatten sich dauerhaft verformten. Elf der Schädel waren so deformiert, dass die Stirn nach hinten geschoben und der Hinterkopf abgeflacht war. Diese Form entsteht, wenn das kleine Köpfchen im Säuglingsalter zwischen Brettern eingebunden wird. Sie galt entlang der Nordküste des heutigen Perus, wo auch Chan Chan liegt, als besonders erstrebenswert.

Acht weitere Köpfe dagegen wurden im Säuglings- und Kleinkindalter mit Tüchern so fest eingewickelt, dass der Schädel sich rundum in die Länge zog. So modifizierten allerdings die Mütter im Hochland der Anden ihre Kinder, weit weg von der Küste. Der großen Mehrheit der geopferten Kinder wurde nie der Kopf in eine unnatürliche Form gepresst – und damit unterschied sich ihre Gruppe maßgeblich von der Durchschnittsbevölkerung der nördlichen Küstenregion. Denn Funden von regulären Begräbnisstätten zu Folge lebten hier 63 bis 82 Prozent aller Menschen mit deformierten Köpfen.

Ein kleiner Teil der Kinder mag also aus der Region um Chan Chan gekommen sein, die Mehrheit aber war fremd in diesem Landstrich. Das bestätigte auch die Untersuchung der Kohlenstoff- und Stickstoff-Isotope in ihren Knochen. Diese Werte schwanken stark von Region zu Region. Sie sind die Signatur der Landschaft, in der ein Lebewesen – egal ob Mensch oder Tier – aufwuchs und deren Isotope es mit der Nahrung in sich aufnahm. Die Isotopen-Werte der Kinder passen zu ihren Köpfen: Sie stammten aus sehr unterschiedlichen Regionen des Chimú-Reiches und möglicherweise sogar noch darüber hinaus.

Auch Erwachsene wurden getötet

Auch die Lamas waren noch jung, als sie sterben mussten. Ihre Zähne verrieten den Forschen, dass alle von ihnen noch kein Jahr alt waren, drei Viertel sogar noch nicht einmal neun Monate. Den jungen Lamas wurde, ebenso wie den Kindern, der Brustkorb aufgeschnitten und das Herz entfernt. Dann arrangierten die Opferpriester die Leichname sorgsam in Mustern. Meist lagen drei der Kinder zusammen, nach Größe geordnet vom kleinsten zum größten, die Gesichter dem Pazifik zugewandt.

Die Lamas legten sie neben oder auf die kleinen Körper, oft ein dunkelbraunes zusammen mit einem cremefarbenen. Am Ende waren einige der toten Kinder und Lamas übrig. Als die Priester den Platz verließen, blieben ihre Leichname unbestattet in der Schlammschicht über dem Plateau liegen.

Auch drei Erwachsene mussten an dem Tag sterben: zwei Frauen, 18 und 20 bis 30 Jahre alt, sowie ein älterer Mann im Alter von 30 bis 40 Jahren. Die jüngere Frau starb durch einen schweren Schlag auf den Hinterkopf, der älteren schlug man das Gesicht ein. Den Mann fanden die Ausgräber mit massiven Rippenbrüchen, vermutlich verursacht durch die schweren Steine, welche die Priester bei der Beisetzung über seinen Körper rollten.


Die toten Kinder von Huanchaquito-Las Llamas sind das größte bekannte Kinderopfer der Geschichte. Bei dem zweitgrößten – 42 geopferte Kinder im mexikanischen Templo Mayor im heutigen Mexiko Stadt – starben nicht einmal ein Drittel so viele. Für die Chimú muss es ein schwerwiegender Eingriff in die Zukunft des eigenen Volkes gewesen sein. Die Tragweite ist nur schwer vorstellbar und emotional kaum zu begreifen: 140 Kinder entsprechen sieben heutigen Vorschulklassen, die nie erwachsen wurden. Die nie eine Chance hatten, das Schicksal der Chimú mitzugestalten.

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