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Adolf Hitlers Magier: Der Mann, der ihm Geld in die Tasche zauberte


Weltberühmter Magier Kalanag
Der Mann, der Hitler Geld in die Tasche zauberte

Von Marc von Lüpke

Aktualisiert am 01.08.2021Lesedauer: 4 Min.
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Diktator und Zauberkünstler: Der Illusionist Kalanag, alias Helmut Schreiber (r.) suchte die Nähe zu den Größen des Nazi-Regimes.Vergrößern des Bildes
Diktator und Zauberkünstler: Der Illusionist Kalanag, alias Helmut Schreiber (r.) suchte die Nähe zu den Größen des Nazi-Regimes. (Quelle: Bildarchiv der National Archives at College Park, Maryland, Fotos: Heinrich Hoffmann)

Mit Tricks und ohne Skrupel avancierte Helmut Schreiber zum ersten Zauberkünstler des "Dritten Reichs". Nach 1945 startete der Blender eine noch größere Karriere. Eine Biografie entzaubert ihn nun.

Normalerweise wollten viele Menschen Adolf Hitler nahe, aber nicht zu nahe kommen. Jedenfalls nicht im körperlichen Sinne. Denn der Diktator war ein von vielen Zeitgenossen bewunderter, zugleich auch überaus gefürchteter Mann. Der Zauberkünstler Helmut Schreiber hatte da weniger Berührungsängste.

Bei einem Zusammentreffen auf dem Obersalzberg fragte Schreiber den "Führer" einmal, wie es denn um die Bargeldbestände in dessen Jacke stehe. Nie trage er Geld bei sich, sagte Hitler. Ob er aber doch einmal in seiner linken Jackentasche nachschauen könnte, entgegnete der Magier. Und siehe da: Ein Portemonnaie mit 150 Reichsmark kam zum Vorschein!

Braune Vergangenheit? Weggezaubert!

Irgendwie hatte der Illusionist dem "Führer" die Geldbörse an den Leib geschmuggelt. Eine durchaus mutige Tat, denn Hitler schätzte es ganz und gar nicht, hinters Licht geführt zu werden. Für Helmut Schreiber war es Husarenstück und Beweis seiner eigenen Genialität zugleich. Denn nichts anderes als der oberste Zauberkünstler des "Dritten Reiches" wollte Schreiber sein.

Ein Ziel, das er auch erreichte. Und nicht nur das. Nach Ende des Krieges trumpfte Schreiber erst so richtig auf. Kalanag, so sein Künstlername, begeisterte mit seinen Zaubershows Hunderttausende, zog mit seiner magischen Truppe im Triumphzug um die Welt. Seine Vergangenheit im braunen Sumpf? Die hexte der Magier kurzerhand weg.

Sendehinweis: Das Erste strahlt die Dokumentation "Verzaubert und verdrängt – die Karriere des Magiers Kalanag" am Montag, 22. März 2021 um 23:35 Uhr aus, danach ist sie für ein Jahr in der ARD Mediathek abrufbar. Die Biografie "Der große Kalanag. Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte" von Malte Herwig erscheint ebenfalls am 22. März 2021.

Allerdings nicht ganz. Nun entzaubern ein neues Buch wie eine Fernsehdokumentation zugleich den Mythos Kalanag. Malte Herwig, Autor und Journalist, spürt Schreiber in seinem nun erscheinenden Buch "Der große Kalanag" auf fast 500 Seiten nach, spannend erzählt und fundiert recherchiert. Die sehenswerte SWR-Dokumentation "Verzaubert und verdrängt – die Karriere des Magiers Kalanag" rüttelt am kommenden 22. März um 23.35 Uhr in der ARD zeitgleich filmisch an der Fassade Kalanags.

Und mit der Errichtung von Fassaden kannte sich Helmut Schreiber, 1903 in Backnang nahe Stuttgart geboren, hervorragend aus. Die Zauberei war seine Leidenschaft, Entertainment sein großes Talent. "Geschickte Hände und ein flinkes Mundwerk" – dies attestiert Biograf Herwig dem Illusionskünstler. Bei ersten Auftritten unterhielt der junge Schreiber Verwundete, die angesichts der erlebten Schrecken im Ersten Weltkrieg dringend Ablenkung brauchten.

Auf dem Weg zum obersten Zauberer

Schließlich verließ Schreiber die Heimat, ging nach München. Studieren sollte der junge Mann, so wollte es der Vater. Drei Semester riss der zukünftige Meisterzauberer ab, dann schmiss er hin. Was Schreiber keineswegs davon abhielt, sich selbst einen Doktortitel zu verleihen. Denn er war zu einer Erkenntnis gelangt: Die Menschen wollen geblendet und getäuscht werden.

So gelangte Kalanang – der Name entstammt dem "Dschungelbuch" des britischen Schriftstellers Rudyard Kipling – zu einer anderen Branche, die sich Traumwelten widmet: dem Film. Schreiber fing ganz klein an, und kam dann ganz groß raus. Allerdings erst, seitdem die Nationalsozialisten Deutschland in eine Diktatur verwandelt hatten.

Dabei fuhr der Emporkömmling mit dem runden Gesicht und der hohen Stirn zweigleisig: Im Filmgeschäft machte er Karriere, erst bei der Gesellschaft Tobis, dann bei der Bavaria. Produktionschef lautete seine Tätigkeitsbezeichnung. Im Zaubergeschäft amtierte er schließlich als Präsident des Magischen Zirkels, der Vereinigung der Zauberkünstler.

In beiden Bereichen wendete er allerdings die gleiche Skrupellosigkeit an: So war er an der Entstehung des Films "Robert und Bertram" beteiligt, offiziell eine Komödie, in Wirklichkeit ein widerliches Stück Antisemitismus auf Zelluloid. Auch den "Magischen Zirkel" gestaltete Schreiber, der Mitglied der NSDAP war, nach seinen Vorstellungen um. Die Zahl der Mitglieder sank um viele Hundert, selbst Musikstücke jüdischer Künstler durften nicht mehr bei Auftritten von Zauberkünstlern gespielt werden.

Verschleierung der Vergangenheit

Schreiber, der sich im Magischen Zirkel als "Mein Präsident" titulieren ließ, betrieb hingegen eine Charmeoffensive bei den Nazigrößen: Duz-Freundschaft mit Hitlers Adjutant Julius Schaub, Auftritt in Hermann Görings Protzanwesen Carinhall, Verzauberung von Joseph Goebbels Frau Magda anlässlich ihres Geburtstages und nicht zuletzt Besuch bei Hitler auf dem Obersalzberg, der beschriebene Trick mit der Geldbörse inklusive.

Was bis zum 8. Mai 1945 noch karrierefördernd war, gestaltete sich nach Kriegsende allerdings als heikel. Weil die Amerikaner als Besatzungsmacht zu großes Interesse an Schreiber zeigten, ging dieser nach Hamburg. Die Briten, so die Hoffnung, wären etwas weniger penibel bei der Suche nach Nazis. Zumindest im Falle Schreibers war es so.

Und noch viel mehr: Der Zauberer, der einst gar nicht nah genug an Hitler rankommen konnte, suchte plötzlich maximale Distanz zum "Dritten Reich". Fernab habe Schreiber vom Regime gestanden, er sprach gar vom Widerstand. Und er kam damit durch.

Bald trat Schreiber wieder auf, immer größer wurde seine Revueshow. Teures Equipment und schöne Frauen, darunter seine Gattin Gloria de Vos, machten die Veranstaltung berühmt. "Mit welchem Geld?" – diese berechtigte Frage stellt Malte Herwig in der Dokumentation "Verzaubert und verdrängt". Der Kalanag-Biograf beschreibt eine mögliche Erklärung: So war Kalanag nach Kriegsende den Amerikanern auf der Suche nach versteckten Reichtümern der Nazis behilflich gewesen. Hatte der Zauberkünstler etwas davon in seinen Taschen verschwinden lassen?

Wie dem auch sei, die zweite Karriere wurde noch größer als die erste. Kalanag reiste um den Globus, verzauberte die Menschen, von der lästigen Vergangenheit war kaum noch die Rede. Dann allerdings erwuchs Schreiber ein Gegner, dem er nicht gewachsen war. Das Fernsehen lockte die Menschen vor die Bildschirme, sie blieben Kalanags Auftritten zunehmend fern. Beinahe wäre er bei Konrad Adenauers Vorhaben einer Deutschland-Fernsehen GmbH als Konkurrenz zur ARD untergekommen. Doch das Bundesverfassungsgericht unterband dieses Projekt.

So endete Helmut Schreibers Karriere schließlich da, wo sie angefangen hatte. Jedenfalls fast. Im schwäbischen Fornsbach unterhielt er die Gäste im Auftrag seiner Cousine, die dort ein Café betrieb. An Heiligabend 1963 verschied dann der große Magier, der charakterlich gesehen alles andere als zauberhaft gewesen ist.

Verwendete Quellen
  • Malte Herwig: Der große Kalanag. Wie Hitlers Zauberer die Vergangenheit verschwinden ließ und die Welt eroberte, München 2021
  • SWR-Dokumentation: "Verzaubert und verdrängt – die Karriere des Magiers Kalanag"
  • Eigene Recherche
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