Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Katastrophenjahr 1540 Als Europa glühte und verdurstete

Dürre, Hitze, Tod: 1540 herrschte eine quälende Trockenheit in Europa, fast ein Jahr lang sehnten die Menschen Regen herbei. Die Folgen waren dramatisch, es herrschte Endzeitstimmung.
Das Jüngste Gericht schien nahe, jedenfalls für den Reformator Martin Luther. "Allhier solche Hitze und Dürre", schrieb Luther im Juli 1540, "daß unsäglich und unerträglich ist Tag und Nacht." Der Theologe befand: "Komm, lieber jüngster Tag! Amen."
Das Jahr 1540 nahm in großen Teilen Europas tatsächlich eine nahezu apokalyptische Entwicklung: Rund elf Monate fiel kein bis wenig Regen, dazu herrschten mit hoher Wahrscheinlichkeit in Spitzenzeiten Temperaturen von mehr als 40 Grad Celsius. In der ostfranzösischen Stadt Besançon etwa strömten die Einwohner im Sommermonat Juli morgens in die Keller, zu unerträglich war der Aufenthalt außerhalb dieser Zufluchtsstätten angesichts der hohen Temperaturen.

Angekündigt hatte sich die Katastrophe ab dem Jahr 1537, wie die Forscher Christian Pfister und Heinz Wanner in ihrem Buch "Klima und Gesellschaft. Die letzten tausend Jahre" darlegen: Demnach blieb in jenem Jahr in Spanien der Regen weitgehend aus, gefolgt vom nördlichen Italien, das "zwischen Oktober 1539 und April 1540 weitgehend trocken" lag. Für das Katastrophenjahr 1540 im Westen und der Mitte Europas zeichnete dann ein sogenannter Hochdruckrücken verantwortlich. Dieses meteorologische Phänomen hielt aufgrund seiner Beständigkeit über viele Monate Tiefdruckgebiete fern, die Regen hätten bringen können.
Größere Flüsse schrumpften 1540 aufgrund ausbleibenden Niederschlags zu kleinen, kleinere Flüsse fielen gänzlich trocken. Das Wasser der britischen Themse wurde immer salziger, weil der Fluss wenig Süßwasser führte und so das Salzwasser aus dem Ärmelkanal vordrang. Die Insel Lindau im Bodensee war schließlich keine Insel mehr, weil der Wasserspiegel in dem Gewässer derart gesunken war. "Der See war so klein, dass man rings um die Stadt gehen und im Wasser Berg und Thal sehen konnte", lautet es in der zeitgenössischen "Schnell'schen Chronik"
Europa vor der Apokalypse
Ähnlich erging es auch Brunnen und anderen Wasserquellen. Algen breiteten sich teils aus und machten etwa das Wasser der Oder nahezu ungenießbar. Es kam zu Epidemien, die Ruhr und andere Infekte des Darms forderten Tote. Schätzungen reichen von 500.000 bis zu einer Million Menschen, die insbesondere Krankheiten infolge von Dürre und Hitze zum Opfer fielen.
Nutz- und Schlachtvieh verendete ebenfalls in hoher Zahl, was auch die Menschen hart traf. Denn sie litten nicht allein an Durst, sondern auch an Hunger, weil die Nahrung knapp wurde. Zahlreiche Mühlen wurden mit Wasserkraft betrieben, Wasser in Flüssen und Bächen wurde allerdings zur Mangelware. Man verfiel schnell auf Ausweichlösungen wie die Muskelkraft von Tieren, aber die Lücke ließ sich schwer schließen.
Neben Mensch und Tier litt auch die übrige Natur. Laubbäume verloren ihre Blätter schon lange vor dem Herbst, in den ausgedörrten Böden taten sich Risse bis zu einer Tiefe von 30 Zentimetern auf. Kein Wunder, angesichts von Dürre und Bruthitze: Zwischen dem 23. Juni und dem 6. August 1540 "regnete es im französischen Guebwiller keinen Tropfen", schreiben Christian Pfister und Heinz Wanner.
Die Trockenheit hatte noch eine weitere dramatische Folge: Es kam in den betroffenen Regionen Europas zu massiven Waldbränden. "Dies waren Infernos, die niemand in den Griff bekam", resümieren Pfister und Wanner. "Die Sonne und der Mond waren bei ihrem Auf- und Untergang rötlich", notierte ein Schweizer Zeitgenosse. "Tagsüber sahen sie blass aus, denn der Himmel war von trockenem Nebel und Rauch getrübt."
Überlagerung der Spannungen
Da wissenschaftliche Erkenntnisse über die Ursachen und Folgen des Klimaextrems 1540 fehlten, regierte der Aberglaube. "Ganz im Sinne des Alten Testaments wurden Klimaextreme, Hagelstürme, Wasserfluten, Missernten, Pestilenz, Teuerung und Hungersnot in der Frühen Neuzeit von Theologen aller Konfessionen als Strafe Gottes für die Sünden der Menschen interpretiert", schreibt der Historiker Wolfgang Behringer. Sprich: Es wurde nach Sündenböcken gesucht.
Frauen wurden so zu Hexen erklärt, verfolgt und wie im Falle der Wittenbergerin Prista Frühbottin auf grausamste Weise getötet: Sie wurde 1540 bei lebendigem Leib verbrannt. Schlimm erging es auch anderen marginalisierten Gruppen, die für die klimatischen Extremzustände verantwortlich gemacht wurden. Weil zu jener Zeit angesichts der Reformation auch noch besondere politisch-religiöse Spannungen zwischen Katholiken und Protestanten herrschten, war die Situation zusätzlich brenzlig.
Als sich Ende Juli 1540 der Stadtbrand von Einbeck – heute im südlichen Niedersachsen – mit bis zu einigen Hundert Toten ereignete, wurde schnell ein dem Alkohol zugeneigter Hirte unter Einsatz von Folter zum Geständnis gebracht. Dieser Hirte – später hingerichtet – nannte wiederum einen Patrizier als Anstifter, der mit Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel im Bunde gewesen sein soll. Der katholische Heinrich und das reformierte Einbeck waren einander in Feindschaft zugetan. So war das meteorologische Klima des Jahres 1540 zusätzlich politisch aufgeheizt.
Die Wärme begleitete die Menschen bis in den Dezember des Jahres 1540 hinein, auch als der Regen allmählich zurückgekehrt war. Mit den Folgen sollten sie noch länger zu kämpfen haben: Von 1542 bis 1547 fraßen sich Schwärme von Heuschrecken durch die Ernten im mittleren Europa, sie hatten wohl von der Hitze und Trockenheit profitiert, wie Pfister und Wanner konstatieren.
Während 1540 als Jahr des Schreckens in die Geschichte einging, frohlockten die Winzer: Denn 1540 sollte sich als herausragendes Jahr für Wein erweisen. Davon konnten sich zahlreiche Zeitgenossen überzeugen. Da die Ernte gut und reichlich war, aber die Zahl der Fässer knapp, kam das Getränk in Massen, preisgünstig und überaus alkoholreich auf den Markt. Insbesondere in Köln kam es dabei wohl zu Exzessen. Ein Zeitgenosse beklagte sich, dass seine Mitbürger völlig besoffen auf den Straßen und an den Hecken gelegen hätten.
- Eigene Recherche
- Christian Pfister, Heinz Wanner: "Klima und Gesellschat. Die letzten tausend Jahre", Bern 2021
- Oliver Wetter: "Die beispiellose Hitze und Dürre von 1540 - ein Katastrophenszenario", in: Hydrologie und Wasserbewirtschaftung 58, 4, S. 245-247
- Cornel Zwierlein: "Der gezähmte Prometheus. Feuer und Sicherheit zwischen Früher Neuzeit und Moderne, Göttingen 2011
- spiegel.de: "Die schlimmste Trockenheit seit Menschengedenken"
- nzz.ch: "Elf Monate ohne Regen: Die Angst vor der Megadürre des Jahres 1540 geht um"
- smithsonianmag.com: "This Summer’s Drought Is Europe’s Worst in 500 Years. What Happened Last Time?"
- Christian Franz Gottlieb Stang: "Martin Luther. Sein Leben und Wirken", Stuttgart 1839
- Peter Jeschke, Michael Matheus (Hrsg.): "Ländliche Rechtsquellen aus dem Kurmainzer Rheingau", Stuttgart 2004
- Wolfgang Behringer: Kulturgeschichte des Klimas, 4. Auflage, München 2014