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Berliner Columbiabad in Neukölln: Polizei ist machtlos


"Ein Streichholz reicht, und es macht peng!"


Aktualisiert am 16.08.2022Lesedauer: 7 Min.
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Pubertierende Jugendliche rangeln am Beckenrand (Archivbild): Weil im Columbiabad aus Spaß schon ein Massentumult geworden ist, hat die Polizei dort eine mobile Wache eröffnet. (Quelle: Christian Schroth)

Nach einem Massentumult und einem bewaffneten Angriff steht die Polizei täglich vor dem Columbiabad in Neukölln. An den Problemen ändert das nichts.

Ein Brotmesser, diskret eingewickelt in ein Küchenhandtuch: Eine Mittzwanzigerin angelt es aus ihrer Badetasche und schiebt es Don Mauro an einem heißen Tag im August über den Tresen. "Kannst du das wieder für mich aufbewahren?", fragt sie den Mann, der im Eiswagen vor dem Columbiabad in Neukölln arbeitet.

Er ist die letzte Station vor dem Eingang, hier geben Badegäste ab, was sie nicht ins Bad nehmen dürfen, seit die Security am Eingang Taschen kontrolliert. "Don Mauro", wie die Neuköllner den Eiswagenbesitzer Mauro Luongo nennen, ist so etwas wie der heimliche Pförtner des Bades.

Freibad in Berlin: "Die Frau fühlt sich hier eben nicht mehr sicher"

Der gebürtige Italiener kennt den Kiez, er lebt und arbeitet hier schon seit 40 Jahren. Ein väterlicher Typ, dem die Leute vertrauen, weil er ihnen zuhört und auch mal ein Eis spendiert. Don Mauro sagt, es wundere ihn nicht, dass junge Frauen ein Brotmesser dabei haben. Er sagt: "Die Frau fühlt sich hier eben nicht sicher."

Das Columbiabad sei kein Ort, an dem man keine Angst haben müsse. Im Gegenteil. Don Mauro sagt, hier bündelten sich die Probleme im Kiez wie in einem Brennglas. Hier prallten junge Männer aufeinander, die sich benachteiligt fühlten und die hier beweisen wollten, was für tolle Typen sie seien. Er sagt: "Ein Streichholz reicht, und es macht peng!"

Security-Männer flüchteten vor Badegästen

Sein Blick schweift zu dem Polizeiwagen schräg gegenüber. Seit drei Wochen steht er genau vor dem Eingang als mobile Wache. Es hatte mal wieder Stress im Bad gegeben. Eine Schlägerei im Bad mit elf Verletzten. Zwölf Männer waren daraufhin rausgeflogen. Was dann passierte, klingt wie aus einem Western.

Eine Stunde später kehrten die Schläger zurück, einige kletterten über den Zaun. Sie gingen mit Knüppeln und Tränengas auf die Security-Männer los. Die flüchteten in den Turm der Rettungsschwimmer, neben der Sprunganlage. Einer der Angreifer versuchte, die Tür aufzubrechen. Als die Polizei eintraf, konnte sie drei Tatverdächtige in einem Auto festnehmen. Darin fanden die Beamten einen Schlagstock, einen Baseballschläger und ein Messer.

Wie ein Streit um eine Wasserpistole eskalierte

Der Vorfall schlug hohe Wellen, bis ins Berliner Polizeipräsidium. Es war schon das zweite Mal, dass die Gewalt im Columbiabad eskalierte. Erst Ende Juni war es hier zu einem Massentumult gekommen, der völlig harmlos begonnen hatte. Kinder hatten eine 21-jährige Britin und ihren Begleiter mit Wasserpistolen bespritzt. Als sich die Frau beschwerte, spritzte ein Mann ihr mit einer Wasserpistole ins Gesicht.

Die Frau spuckte ihn an. Er schlug ihr mit der Wasserpistole ins Gesicht. Nasenbeinbruch. Als Security-Männer und Polizisten das Bad räumen wollten, wurden sie plötzlich von bis zu 250 Badegästen bedrängt. Polizeipräsidentin Barbara Slowik sprach von "einer neuen Qualität" der Aggressionen. Sie kündigte eine härtere Gangart im Umgang mit den Unruhestiftern an. Seither steht Tag und Nacht ein Transporter der Polizei vor dem Eingang des Bades. Besucher müssen ihre Taschen öffnen. Hat sich die Lage dadurch beruhigt?

Eltern schlichten Streitigkeiten

Ortsbesuch im Columbiabad an einem heißen Tag im August: Neben Studenten, jungen Paaren und Teenager-Cliquen liegen Großfamilien Decke an Decke. Die Männer recken ihre nackten Oberkörper in die Sonne, ihre Frauen und Töchter sind in der Mehrzahl verhüllt. Wenn sie ins Wasser springen, dann im Burkini.

Eine Mutter im bodenlangen Kleid bleibt am Beckenrand stehen. Sie streckt nur den großen Zeh ins kalte Wasser. Sie passt auf ihre Kinder auf und greift ein, als ihr Sohn einen kleineren Jungen ins Becken schubst. Man sollte meinen, dass in solch einem Fall auch Bademeister oder Bademeisterinnen einschreiten.

Wo sind die Bademeister?

In vielen Bädern gibt es sie heute noch: weiß gekleidete Männer und Frauen, die ihre Runden um die Becken drehen, mit einer Trillerpfeife um den Hals. Bademeister, wie sie die Ärzte 1984 in einem Song verulkt haben: "Paule heißt er/und ist Bademeister/im Schwimmbad an der Ecke." Im Columbiabad sucht man sie vergeblich. Die Bademeister vor Ort sind nämlich kaum zu erkennen: Sie tragen blaue Shorts und rote T-Shirts. Es sind junge Männer und Frauen, die von den Badegästen kaum zu unterscheiden sind.

Einer hat gerade einen Lederfußball beschlagnahmt, den eine Gruppe junger Männer zwischen den Becken hin- und hergeschossen hatte. Nach kurzer Zeit kommt er zurück aus seinem Turm und gibt ihn zurück, weil der Anführer der Gruppe lautstark protestiert. Ein Kollege von ihm döst auf einem Kontrollturm vis-à-vis der Rutsche.

Wer den doppelten Salto schafft, ist der Babo

"Das Springen von der Längsseite des Beckens ist nicht gestattet." So steht es auf einem Schild. Aber von den plantschenden Jungs hält sich keiner daran. Das Becken ist ihre Bühne. Willkommen im Neuköllner Sommer-Theater. Mit einer Arschbombe kann man hier nicht punkten. Wenigstens eine Schraube sollte schon drin sein. Wer den doppelten Salto schafft, ist der Babo.

Ob sie wissen, dass das Springen verboten ist, fragt ein Familienvater die Jungs, der mit seiner fünfjährigen Tochter schwimmen übt. Ein Typ in knallroten Badeshorts grinst ihn frech an. Mit einem Auge schielt er zu dem Bademeister hinüber, der immer noch auf seinem Kontrollturm in der Sonne döst. Er sagt: "Wenn es verboten wäre, hätte der schon was gesagt."

Konfliktlotsen sollen schlichten

Aber warum greift der Bademeister nicht ein? Damit Streitigkeiten nicht eskalieren, setzen die Bäderbetriebe neben Security-Personal auch sogenannte Konfliktlotsen ein. Es sind junge Frauen und Männer, von denen die meisten einen Migrationshintergrund haben. Viele von ihnen kommen aus dem Kiez.

Bewaffnet mit Funkgeräten und Erste-Hilfe-Taschen, sollen sie ihre Runden im Bad drehen. Ausgebildet und bezahlt werden sie von der Gesellschaft für Sport und Jugendsozialarbeit (gjs). "Bleib cool am Pool!" heißt das Projekt. Aber an diesem Tag ist von den Jungs und Mädels keiner zu sehen. t-online hat vor dem Ortsbesuch sowohl die gjs als auch die Bäderbetriebe um ein Interview gebeten. Beide haben abgesagt.

Interviewverbot im Columbiabad

Die gjs verweist auf die Bäderbetriebe. Deren Sprecher sagt, man dürfe das Bad zwar gerne besuchen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Allerdings nur inkognito. Fotografieren sei verboten, mit Gästen oder Angestellten dürfe man auch nicht sprechen. So ein Bad sollte ein Ort der Entspannung sein. Die Presse-Anfragen nähmen überhand. Die Gäste sollten nicht belästigt werden.

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Dabei stellt sich die Frage, ob sich die Gäste nicht viel mehr von Besuchern belästigt fühlen, die die Baderegeln nicht einhalten? Und wäre es nicht die Aufgabe der Bäderbetriebe, die Probleme zu lösen, statt zu verhindern, dass über sie berichtet wird? Anfang August wurde das Problembad zum Schauplatz einer nicht genehmigten Demonstration von Rechtsextremisten. Mitglieder einer Nachwuchsorganisation der NPD feuerten vor dem Bad Pyrotechnik ab. Auf einem Banner forderten sie eine "Massenabschiebung".

Diebstähle, Hausfriedensbruch, Körperverletzung

Hört man sich um Umfeld des Bades um, erfährt man, dass die bloße Präsenz der Polizei an den Problemen im Bad nichts geändert hat. In einer Antwort auf eine Anfrage von t-online listet die Polizei 58 Straftaten seit dem Mai dieses Jahres auf. Schwere Diebstähle, Hausfriedensbruch, Landfriedensbruch, schwere Körperverletzung, Beleidigung, Sachbeschädigung. Mit solchen Fällen hat es die Polizei täglich zu tun.

Bei bis zu 7.000 Badegästen pro Tag wirkt die Zahl der angezeigten Straftaten zwar überschaubar. Aber dass die Gewalt allein in diesem Jahr zweimal derart eskaliert ist, dass die Polizei eine mobile Wache vor dem Eingang stationieren musste, ist keine gute PR für das Bad.

Letzter Notnagel: die Polizei

Muss die Polizei herhalten, wenn alle anderen Konzepte gescheitert sind, den Brennpunkt Neukölln zu befrieden? So sieht es Stephan Weh, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Es war leider nur eine Frage der Zeit, wann Berlins Polizei hier mal wieder als Mutti für alles in die Breschen springen muss, weil andere Institutionen ihrer Verantwortung nicht nachkommen", sagte er dem "Tagesspiegel".

Von seinem Eiswagen aus hat Don Mauro die mobile Polizeiwache im Blick. Er sagt, dort sei immer etwas los. Mal kämen Badegäste, um einen Diebstahl zu melden oder sich über andere Gäste zu beschweren. Mal stürmten die Polizisten ins Bad, wenn sich die Security nicht mehr zu helfen wisse.

Erst kürzlich habe sie einen 14-Jährigen und einen 16-Jährigen abgeführt, weil sie gleichaltrige Mädchen im Schwimmbecken "betatscht" hätten. "In Handschellen", sagt eine Frau, die als Reinigungskraft im Bad arbeitet und sich vor ihrem Dienst eine Cola am Eiswagen kauft. Sie ist nicht gut auf die Polizei zu sprechen. Sie sagt: "Das waren doch noch Kinder."

Verständnis für die Security

Don Mauro sieht es anders. Er hat Freunde, die als Security-Männer im Bad arbeiten. Er sagt, viele verdienten nicht mal den Mindestlohn. Aber sie riskierten Prügel, wenn sie hart durchgriffen. Unter den Gästen gebe es eben welche, die machten, was sie wollten. Er sagt, auch ihn hätten sie schon beklaut.

Der Italiener seufzt. Er verstehe ja, dass viele frustriert seien. Stress zu Hause. Kein Erfolg in der Schule. Und dann das Testosteron. Die Hitze. Die Enge. Aber die Bäderbetriebe wüssten doch, wer Stress mache. Es seien immer dieselben Jungs. Don Mauro sagt: "Warum lässt man die überhaupt noch rein?"

Die Angst vor Rassismusvorwürfen

Andere Strandbäder regeln den Einlass restriktiver. In Grünau hat man nur selten Stress mit Gästen. Es sei ein Familienbad für die Anwohner im Kiez, heißt es, wenn Jungs aus Neukölln vor der Tür stehen. Unruhen im Bad gibt es keine. Dafür hat der private Betreiber anderen Stress. Regelmäßig wird ihm in Internetbewertungen Rassismus vorgeworfen.

Auch in Neukölln ist es schon vorgekommen, dass Jungs nicht ins Bad durften. Don Mauro kennt aber zumindest einen Fall, in dem es ein bekannter Krawallmacher im zweiten Anlauf doch noch geschafft hat. "Er hat seine Mutter angerufen, und die ist dann mit einem Mann gekommen, der wie ein Bodybuilder aussah. Als die Security-Männer den gesehen haben, haben sie den Jungen reingewunken."

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
  • "Tagesspiegel": "Polizeipräsidentin will härter vorgehen"
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