Betriebsausflug zur Erotikmesse: Mit Trockenbauern auf der Venus
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Sexshows statt Kanufahren: Eine Gruppe Handwerker hat bei ihrem Betriebsausflug die Venus in Berlin besucht. t-online hat sie dabei begleitet.
Normalerweise ist der Trockenbau ihr Gebiet, doch im Rahmen eines Betriebsausflugs widmet sich diese MΓ€nnergruppe aus dem Berliner Umland nun dem Thema Vorbau: t-online begegnet NesthΓ€kchen Florian und dessen Kollegen an der Besucherbar der Erotikmesse Venus, die seit Donnerstag in der Hauptstadt gastiert.
"Ich habe meiner Mama erzΓ€hlt, wo die Reise heute hingeht. Sie meinte: Viel SpaΓ und bis heute Abend", erzΓ€hlt der 23-JΓ€hrige, fΓΌr den es der erste Trip zur Venus ist.
Nach zwei Jahren Pandemiepause zeigt sich das Branchenevent unter dem Motto "Reloading a legend" in neuem Design. Doch obwohl die Sause zum 25. Geburtstag etwas ruhiger daherkommt als in den coronafreien Vorjahren, ist das Treiben so wild und sexuell aufgeladen, wie man es von der Venus kennt.
Fotografierende Fans scharen sich um masturbierende Frauen
Gleich nach dem Einlass empfΓ€ngt eine hell beleuchtete Webcam-Area die Herrenrunde aus dem Baugewerbe mit nackten, masturbierenden Frauen. Diese werden jedoch beinahe gΓ€nzlich von den ehrgeizig fotografierenden und meist mΓ€nnlichen Fans verdeckt, die sich um die mit Dildos hantierenden Damen scharen. Die Musik ist laut und elektronisch β ein DJ, der eigentlich Lehrer ist, versucht auch tanzbare Hip-Hop-EinflΓΌsse in den Mix zu werfen.
Doch anstatt sich auf die Pornostars zu stΓΌrzen, trinken sich Florian und seine Kollegen erst mal Mut an. "Wir haben untereinander noch nie darΓΌber gesprochen, welche Pornos die anderen mΓΆgen", erzΓ€hlt Florian, wΓ€hrend sein Chef Gert neben ihm steht. Der sieht sich das Ganze mit eher nΓΌchterner Miene an und sagt im Brustton des Romantikers: "Gar so nackt wie hier, das ist auch nicht unbedingt mein Ding."
"Meiner Freundin habe ich gesagt, ich bin auf einer Bohrmesse"
Sein Angestellter Frank, der sich sonst eher mit dem Bau von Swimmingpools und weniger mit Bikinis auskennt, erzΓ€hlt scherzhaft: "Meiner Freundin habe ich gesagt, ich bin auf einer Bohrmesse." Ganz treuherzig betont er gleich zweimal, dass er seine erste Freundin geheiratet habe. Dabei rangieren viele Attraktionen auf der Venus wirklich fernab jedes Fremdgeh-Verdachts.
So entdeckt der Herrenausflug bei einer Frischluftpause beispielsweise den Waffelstand "Mummus & LΓΌmmels" von Yusuf und Calvin. Der eine ist Lehrer, der andere im Onlinehandel tΓ€tig β auf der Venus gehen sie einer humorvollen GeschΓ€ftsidee nach: Sie verkaufen SΓΌΓspeisen in Vulva- und Penisform.
Mit einer Portion Ironie macht Florian den "Lecktest" und kann bestΓ€tigen: Die Waffeln sind "auf jeden Fall befriedigend". Zum einen eine gute anatomische Γbung fΓΌr die Damenwelt, zum anderen geht Liebe ja bekanntlich durch den Magen. Und wer sich die vielen genΓΌsslich snackenden Porno-Performerinnen an den zahlreichen EssensstΓ€nden ansieht, der stellt fest: Nicht nur Koitus, sondern auch Kulinarik macht den Menschen glΓΌcklich.
Stigma Erotik: Micaela SchΓ€fer will zum Bambi eingeladen werden
Zudem ist die Venus β bekanntlich Sammelbecken fΓΌr Selbstbefriedigungsvorlagen β auch ein Ort der Begegnung.
Denn hier ΓΆffnet sich eine Branche der Γffentlichkeit, die bereits fester Teil des gesellschaftlichen Lebens ist. Ihre Akteure mΓΌssen jedoch immer noch um Respekt ringen. So regte sich Micaela SchΓ€fer am Premierenabend beispielsweise darΓΌber auf, dass ihr trotz bald zwei Jahrzehnten im Rampenlicht zwar zu jeder Reality-TV-Premiere der rote Teppich ausgerollt werde, "zum Bambi aber nur Veronica Ferres und Heiner Lauterbach" kommen dΓΌrften.
Auch Darstellerin Maria Mia kΓ€mpft schon lange fΓΌr mehr Respekt. t-online bringt sie ins GesprΓ€ch mit Florian und seiner Herrenrunde. FΓΌr den jungen Mann ist es das erste persΓΆnliche GesprΓ€ch mit einer beruflichen Sexarbeiterin. WΓ€hrend seine Γ€lteren Kollegen interessiert zuhΓΆren, fragt er: " Aber es gibt doch so viele kostenlose Inhalte im Internet, warum sollte man denn dafΓΌr bezahlen?" Die Porno-Performerin kennt sich mit der Problematik gestohlener Videos aus und erwidert: "Stell dir mal vor, du wΓΌrdest fΓΌr deine Arbeit kein Geld bekommen."
Darstellerin erklΓ€rt ethische Pornografie
"Ja, das wΓ€re mies", bestΓ€tigt der Venus-Neuling. Maria Mia erklΓ€rt ihm, warum die einzig ethische Pornografie jene ist, fΓΌr die man bezahlt. Und fΓΌgt hinzu: "Wenn man jemanden gut findet und sie unterstΓΌtzen mΓΆchte, dann sollte man auf jeden Fall direkt auf die Webseite der Person gehen und die Inhalte dort kaufen. So bleibt am meisten bei den Darstellerinnen hΓ€ngen." Denn leider gebe es immer noch zu wenig rechtliche Handhabe fΓΌr Herstellerinnen von Pornografie, die ihre eigenen Urheberrechte schΓΌtzen wollen β ein Grund dafΓΌr sei nicht zuletzt das anhaltende Stigma der Sexbranche.
Dabei hΓ€tte die digitale Wende in der Branche dafΓΌr gesorgt, dass Plattformen, die einen hohen Anteil des Gewinns einbehalten, immer stΓ€rker von modernen Seiten wie OnlyFans abgelΓΆst wΓΌrden. Wie selbststΓ€ndige Influencer kΓΆnnten die Sexarbeiterinnen dort viel mehr Gewinn mit ihren kreativen Inhalten erzielen.
Neben dem GeschΓ€ftlichen nimmt sich Maria Mia viel Zeit, die persΓΆnlichen Fragen von Florian zu beantworten. "Meine Tochter wird bald 20, sie wird einen Γ€hnlichen Prozess durchmachen und Γ€hnliche Fragen haben", erzΓ€hlt die Performerin, die mit dem Produzenten Tim Grenzwert verheiratet ist, wΓ€hrend Florian zu der Erkenntnis gelangt, spΓ€ter auch mal so eine "dynamische und explosive" Beziehung haben zu wollen.
"Ich gehe nur online, wenn ich will"
Domina Lady Sybella gesellt sich nun ebenfalls zu der Runde. Sie arbeitet seit 15 Jahren als Webcam-Girl und Domina. An ihrem Job liebt sie die FlexibilitΓ€t. "Ich gehe nur online, wenn ich will, und kann meinen Biorhythmus in vollen ZΓΌgen ausleben." Doch das Thema Beziehungen ist leider eine Baustelle. Sie sei schon lΓ€nger solo und habe drei Arten von Typen kennengelernt: "Die einen finden die ganze Sache ein bisschen zu geil und wollen sofort wissen, wo man mich im Internet finden kann. Die zweite Gruppe reagiert mit absoluter Ablehnung. Und die Dritten, das sind die Guten, sind respektvoll interessiert und hΓΆren zu, wenn man ihnen erklΓ€rt, was hinter dieser Arbeit steckt."
AufklΓ€rungsarbeit im breiteren Sinne wird vor allem in der "Kinky Lounge" geleistet. Denn neben der alternativen Szene, in der sich seit Jahren bunte TierkostΓΌm-Fans oder Bondage-Performer ausgebreitet haben, fΓΌhlen sich auch immer mehr aktivistische Gruppen wohl. WΓ€hrend Florian und seine Kollegen die handgemachten Peitschen von zwei jungen Unternehmerinnen ausprobieren, wird Paulita Pappel auf die BΓΌhne nebenan gerufen.
Zusammen mit den Venus-Stars Fiona Fuchs und Maria Mia hatte sie am Abend zuvor bei einer Podiumsdiskussion der Vereinigung "Free Speech Coalition Europe" gesessen, welche die Rechte und Freiheiten der Erotikindustrie beschΓΌtzen mΓΆchte. Sexueller Ausdruck soll destigmatisiert und Sexarbeit dekriminalisiert werden.
Jan BΓΆhmermann beauftragt ΓΆffentlich-rechtlichen Porno
In Berlin ist Pappel als AushΓ€ngeschild der alternativen Pornografie berΓΌhmt. Die KrΓΆnung ihrer Arbeit: ZDF-Schlitzohr Jan BΓΆhmermann gab bei ihr den ersten ΓΆffentlich-rechtlichen und ethischen Porno in Auftrag. FΓΌr diesen wurden Produzentin Pappel und ihr Team im Rahmen der Erotikmesse nun mit dem Porno-Oscar ausgezeichnet. WΓ€hrend sich die Γ€lteren Kollegen die nΓ€chste Runde Bier holen, hΓΆrt Florian zu, wie Paulita Pappel erzΓ€hlt: "Ethische Pornografie bedeutet sicherzustellen, dass die Produktionsbedingungen einvernehmlich und fair sind: Dazu gehΓΆren transparente Kommunikation, faire Bezahlung und respektvolle Standards."
Einen Teil ihrer Vision, bessere Pornografie unter die Menschen und vor allem Frauen zu bringen, ist hier auf der Venus schon greifbar: Als ihr preisgekrΓΆnter Safer-Sex-Film ausgestrahlt wird, sitzen in der ersten Reihe junge Frauen auf dem Boden, wΓ€hrend Florian und sein Chef Gert nur wenige Meter weiter im Publikum stehen.
In Momenten wie diesen fΓΌhlt sich Nacktfilmgucken auf der Venus eben auch ein bisschen nach friedlicher gesellschaftlicher Revolution an.