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Pflege-Streik in Berlin: "Alles wird teurer, aber bei uns passiert nichts"


Berliner Pflegekräfte im Streik
"Alles wird teurer, aber bei uns passiert nichts"

Von Jannik Läkamp

Aktualisiert am 01.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Lynn Stephainsky beim Streik in Berlin: Die Physiotherapeutin plädiert für eine Anpassung der Tarife.Vergrößern des Bildes
Lynn Stephainsky beim Streik in Berlin: Die Physiotherapeutin plädiert für eine Anpassung der Tarife. (Quelle: Jannik Läkamp)

Seit 23 Tagen streiken Berliner Pflegekräfte. Seitdem laufen Teile des Gesundheitssystems auf Notversorgung. Betroffene beklagen eine unerträgliche Arbeitsbelastung und gefährdete Menschenleben.

Nun schon seit mehr als drei Wochen befinden sich Pflegekräfte in Berlin im Streik. Betroffen sind die Firma Vivantes – ein Big Player in der Gesundheitsbranche samt Tochterfirmen – sowie die Charité. Es geht um bessere Arbeitsbedingungen, Bezahlung und Entlastungen in der Branche.

Darauf wollten Streikende auch bei einer Kundgebung am Donnerstag vor der Parteizentrale der Grünen aufmerksam machen. Mit dabei ist Heike, sie ist 49 Jahre alt und arbeitet als Krankenschwester im Auguste-Viktoria-Klinikum von Vivantes. Sie sagt: "Ich streike für bessere Arbeitsbedingungen und eine vernünftige Patientenversorgung."

Sie ist mit zwei Freundinnen gekommen, Dorothee und Kerstin, beide arbeiten ebenfalls als Krankenschwestern für Vivantes, im Wenkebach-Klinikum, in der Kardiologischen Abteilung. Heike, die wie ihre Kolleginnen ihren Namen nicht öffentlich nennen möchte, weiter: "Meine Kolleginnen und ich kämpfen jeden Tag mit unterbesetzten Schichten, zu viel Arbeit und chronischem Personalmangel.“

Streik in Berlin: "Der Pflegemangel gefährdet Patienten"

Alle drei tragen leuchtend orangefarbene Warnwesten. Mit schwarzem Filzstift haben sie ihre Station auf die Rückseite geschrieben. Sie sind auch stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen gekommen, die nicht streiken können, weil sie die dringendste Notversorgung aufrechterhalten.

Dorothee ist sich sicher: "Der Pflegemangel gefährdet die Patienten". Teils würden Leute in kritische Zustände abrutschen, weil Pflegekräfte nicht genügend Zeit hätten, sie umfänglich zu pflegen. "Essen, trinken, Körperpflege, das sind Grundbedürfnisse. Aber dafür haben wir oft keine Zeit mehr", ergänzt sie.

Stattdessen würden sie und ihre Kolleginnen und Kollegen von Zimmer zu Zimmer rennen und ständig überlegen: "Kann ich mich jetzt überhaupt um den Patienten kümmern oder werde ich woanders dringender gebraucht?".

Eine Pflegekraft für zwölf Patienten? "Das ist einfach zu viel!"

Eine unmögliche Situation – für das Personal, aber vor allem für die Patienten, findet auch Kerstin. "Die Patienten liegen da und sind krank, vielleicht ängstlich. Und wir haben keine Zeit. Sie rufen und niemand kommt. Besonders Ältere verstehen das dann gar nicht und werden böse." Das Persönliche bleibe dann oft völlig auf der Strecke. "Zuwendung hilft manchmal besser als die beste Medizin", sagt Dorothee.

"Wenn ich jemanden pflege, möchte ich ihm auch mal ein paar persönliche Worte sagen können. Oder einfach mal zuhören. Aber das geht nicht." Das mache unzufrieden, gestresst – und letztendlich krank. Heike kenne allein zwei Kollegen, die wegen Burnout ausgefallen sind. "Die physische und psychische Belastung ist enorm. Wir alle sind gestresst, leiden unter Schlafmangel. Und wir machen uns Sorgen, dass es auch mal uns mit einem Burnout erwischt."

Deshalb fordern sie unter anderem ein besseres Verhältnis von Pflegern und Patienten. Momentan muss sich eine Pflegekraft um zwölf Patienten kümmern. Das sei einfach zu viel. "Wir brauchen mehr Personal für weniger Patienten. Um sieben oder auch neun können wir uns kümmern. Aber zwölf sind zu viel", sagt Kerstin. "Und wenn nicht genug Personal da ist, müssen eben die Betten reduziert werden.“ Alle drei fühlen sich von Vivantes im Stich gelassen.

"Die Arbeitsbedingungen lassen das einfach nicht zu"

Dennoch: Komplett streiken können sie nicht. Sie sind permanent auf Abruf, auch während der Kundgebung. "Wenn jemand krank wird oder ausfällt, müssen wir trotzdem einspringen", sagt Kerstin. Es könne nicht immer jeder streiken, der möchte. Wer und wie viele überhaupt die Arbeit niederlegen können, entscheide jede Station individuell.

"Die Notversorgung muss schließlich gewährleistet werden. Dadurch sind wir weniger auf der Straße. Deshalb wissen auch viele Menschen gar nicht, dass wir streiken“, sagt Dorothee. "Bei dem Lokführer-Streik war das anders. Da fuhr dann einfach keine Bahn mehr. Das geht bei uns natürlich nicht." Den Streik würden sie gerne so schnell wie möglich beenden, sagt Kerstin. "Am liebsten hätten wir gar nicht erst streiken müssen. Aber die Arbeitsbedingungen lassen das einfach nicht zu.“

"Zu viel Arbeit in zu wenig Zeit – und dafür dann noch scheiße bezahlt"

Nicht nur Pflegekräfte von Vivantes sind im Streik, auch Angestellte der Tochterfirmen. Sie arbeiten als Hebammen, Logopäden, Physiotherapeuten und Reinigungskräfte. Auch sie kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen, vor allem aber auch für eine faire Bezahlung.

Lynn Stephainski ist Physiotherapeutin für die Vivantes Rehabilitation GmbH. Die 31-Jährige wünscht sich eine Anpassung der Tarifverträge. "Alles wird teurer, aber bei uns passiert nichts. Außerdem habe ich Kollegen, die nicht wie ich bei einer Vivantes-Tochter arbeiten, sondern beim Mutterkonzern angestellt sind. Die machen genauso wichtige Arbeit wie ich, sogar in der gleichen Station, aber verdienen wesentlich mehr Geld. Das ist doch unfair."

Auch ihre Reha-Station sei unterbesetzt. Darunter litten dann auch die Patienten. "Wir können uns einfach nicht so um die Leute kümmern, wie wir wollen. Sie haben schlechte Behandlungspläne, müssen oft lange warten – und sind dann natürlich frustriert. Und das geht schon seit Jahren so. Dabei werden die Liegezeiten im Krankenhaus immer kürzer und die Reha umso wichtiger.“

Bei der Debatte würden auch die Reinigungskräfte oft vergessen, sagt Stephainski. "Was macht man ohne gute Reinigungskräfte in einem Krankenhaus? Es könnte keine einzige OP stattfinden. Wie auch wir haben sie zu viel Arbeit in zu wenig Zeit, oft noch mit Vorgesetzten, die zusätzlich Stress machen. Und dafür dann noch scheiße bezahlt werden."

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"Ich muss weiter, obwohl sie flehen, dass ich bleibe"

Karla Laitko arbeitet seit einem Jahr als Hebamme in einem Berliner Kreißsaal. Es könnte ihr letztes sein, so die 24-Jährige. "Ich will so einfach nicht weiterarbeiten". Eine Hebamme müsse gleichzeitig drei oder vier gebärende Frauen betreuen. Frauen, die Schmerzen haben, Hilfe brauchen, wie sie sagt. "Das setzt das Leben von Müttern und Kindern aufs Spiel. Es funktioniert einfach nicht, das ist keine richtige Patientinnenversorgung“.

Mit nur einer werdenden Mutter in ihrer Obhut könne sie eine qualitative Versorgung gewährleisten, sagt Laitko: "Deshalb bin ich eigentlich Hebamme geworden." Der Streik sei für sie ein letzter Hilferuf. "Wenn das hier scheitert, werde ich kündigen."

Besonders schwer belaste sie der "krasse moralische Bruch" zwischen Theorie und Praxis. "Ich weiß, wie ich die Frauen versorgen könnte. Aber das System zwingt mich, es schlechter zu tun, als ich es gelernt habe." Inzwischen habe sie Angst, zur Arbeit zu gehen.

Die Patientinnen würden regelrecht alleingelassen. "Viele Mütter wollen, dass ich sie während der Geburt begleite, sie brauchen eine Hebamme, die da ist. Sie haben ja auch oft starke Schmerzen, sind unsicher. Und ich muss weiter, obwohl sie flehen, dass ich bleibe."

Verwendete Quellen
  • Besuch der Kundgebung in Berlin am 30. September
  • Gespräche mit den Beteiligten
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