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Transfeindliche Angriffe in Berlin: "Alltag, dass mir vor die Füße gespuckt wird"


Transfeindliche Angriffe in Berlin
"Es ist Alltag, dass mir vor die Füße gespuckt wird"

  • Sabrina Först
Von Sabrina Först

Aktualisiert am 13.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Linda posiert auf einem Urlaubsbild: Die Berlinerin wurde im Körper eines Jungen geboren, bezeichnet sich heute als "Frau mit Extra".Vergrößern des Bildes
Linda posiert auf einem Urlaubsbild: Die Berlinerin wurde im Körper eines Jungen geboren, bezeichnet sich heute als "Frau mit Extra". (Quelle: privat)

Die Zahl der Strafanzeigen wegen homo- und transphober Kriminalität in Berlin steigt seit Jahren. Linda ist 49 Jahre alt, trans und erlebt Hass aufgrund ihres Äußeren nahezu täglich.

Wenn Linda in Berlin Männer- oder Jugendgruppen begegnet, wechselt sie automatisch die Straßenseite. Die 49-Jährige ist in Kreuzberg geboren und hatte in den 90er-Jahren ihr Outing. Sie nennt sich selbst eine "Frau mit Extra": Sie hat sich gegen eine geschlechtsangleichende Operation entschieden, lebt aber als Frau.

Längst fühlt sie sich nicht mehr so sicher wie damals, sagt sie. Sie werde oft angestarrt oder mit "dummen Sprüchen" belegt. Für sie sei es Alltag und "völlig normal", dass ihr jemand vor die Füße spuckt – bis zu vier Mal pro Woche passiere das. "Ich kann mich gut verbal zur Wehr setzen. Ich wurde auch schon mal angefasst und angerempelt, aber zum Glück noch nie zusammengeschlagen."

Transfeindlichkeit in Berlin: Familien und Schulen müssen aufklären

Viele Leute würden sie abfällig fragen: "Bist du Mann oder Frau?" Es nerve und enttäusche sie, wenn sie immer wieder als "blöde Transe, Hure oder Schwuchtel" beschimpft werde.

Vor allem junge Männer könnten ihrer Erfahrung nach mit ihrem "Anderssein" nicht umgehen. Linda glaubt, dass das auch etwas mit unterschiedlichen kulturellen Ansichten und Erziehungsweisen zu tun habe, betont aber zugleich, dass sie von Männern aller Nationalitäten angepöbelt werde.

Eine Verantwortung sieht sie in den Familien, aber auch in den Schulen: "Da sollte frühzeitig aufgeklärt werden, dass es andere Sexualitäten und eine Vielfalt gibt. Man muss ja nicht alles gut und toll finden, aber es geht um eine Toleranz und Sichtbarkeit. Da ist die Politik nicht aktiv genug. Man könnte zum Beispiel Leute in Schulen einladen, damit sie ihre Geschichte erzählen."

Nach Bundestagswahl: Transfrauen ziehen ins Parlament

Dass bei der Bundestagswahl nun zwei Transfrauen den Einzug in den Deutschen Bundestag geschafft haben, habe sie sehr gefreut – für die beiden, aber auch für die Community: "Das ist kein leichter Weg. Und es wird schwer bleiben. Da gibt es sicher auch Diskriminierung durch ältere Männer, die das nicht verstehen. Ich glaube, die beiden können etwas bewegen, wenn sie es richtig machen und sich nicht unterkriegen lassen." Wenig überraschend findet sie es, dass beide Frauen seit ihrer Wahl bereits Diffamierungen erlebt haben.

Linda trägt auffällige und viele Tätowierungen, hat einen großen Busen und entscheidet sich je nach Tagesform, ihre Langhaarperücke zu tragen oder ihre Glatze zu zeigen. Sie sagt: "Damit tue ich ja niemandem weh. Ich verstehe nicht, warum nicht jeder so leben kann, wie er will."

Im familiären Umfeld fühlt sich die gelernte Friseurin bis auf eine Ausnahme gut aufgehoben – nur ihr Vater akzeptiert nicht, wer sie ist: "Er ist Anfang 80, das ist eine andere Generation, damit habe ich mich abgefunden und mein Vater interessiert mich nicht." Ihre übrigen Angehörigen, Freunde sowie ihre Arbeitsstelle kämen mit ihrer Sexualität klar und akzeptierten sie so, wie sie ist. Und es gebe durchaus auch nette Begegnungen mit Fremden in Restaurants und Bars: "Es ist nicht alles schlecht. Berlin ist eine lustige Stadt, aber der Hass gegen Trans- und Homosexuelle wird größer und aggressiver."

Die offiziellen Zahlen stützen diesen Eindruck: Gab es vor fünf Jahren noch 166 Fälle von Hasskriminalität gegen die sexuelle Orientierung oder Identität in Berlin, waren es im vergangenen Jahr 426, wie die Berliner Polizei auf Anfrage von t-online mitteilte. Linda überrascht das nicht: "Heute werden Menschen angespuckt, weil sie Händchen halten. Das gab es früher nicht, oder es wurde nicht berichtet. Ich habe das Gefühl, ich war früher freier als heute." Heutzutage müsse sie viel mehr darauf achten, alles im Blick zu behalten und Situationen gegebenenfalls zu umgehen.

Häufig transfeindliche Angriffe in Berlins Zentrum

Auch der erste Berliner Monitoring-Bericht im Auftrag von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) betätigt: In Berlins Zentrum werden homo- und transsexuelle Menschen besonders häufig angegriffen – und fast immer sind die Täter männlich. Demnach geschehen zwei Drittel aller Übergriffe auf homo- und transsexuelle Menschen in den Bezirken Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg. Die berlinweit meistbelasteten Ortsteile sind Neukölln und Mitte.

Erst im September ereigneten sich zwei gewalttätige transfeindliche Übergriffe in Berlin:

  • Am Mittag des 11. September soll ein unbekannter Mann eine 42-jährige Transfrau am Waterloo-Ufer angegriffen haben. Erst soll er sie geboxt, ihr dann die Jacke entrissen und diese in den Landwehrkanal geworfen haben. Bis die Frau ihm entkommen konnte, soll er versucht haben, sie mit einem Gürtel zu würgen.
  • In der Nacht zum 12. September soll auf dem U-Bahnhof Eberswalder Straße eine Männergruppe einen 55-Jährigen in Frauenkleidung bespuckt, mit Bier übergossen und mit Reizgas besprüht haben. In beiden Fällen ermittelt der Polizeiliche Staatsschutz.

"Mit Regenbogenfahne allein ist es nicht getan"

Linda machen solche Fälle fassungslos. Viele würden Berlin als Zentrum der Weltoffenheit sehen, was auch an vielen Stellen so sei. Aber: "Beim Thema Trans wird es schwieriger." Da helfe es auch nicht allein, dass sich Berlin nun als Regenbogenhauptstadt präsentiere: "Mit einer bunten Fahne ist es nicht getan."

Regenbogenhauptstadt Berlin
Berlin wird als Regenbogenhauptstadt und Freiheitszone für LGBTQ künftig als Zeichen der Akzeptanz am 17. Mai, dem "Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interfeindlichkeit", sowie während des Pride-Monats die Regenbogenflagge vor dem Abgeordnetenhaus hissen.

Es mache sie wütend, dass sie in ihrer eigenen Stadt nicht herumlaufen kann, wie sie will: "In München oder in der Schweiz ist mir das noch nie passiert. Aber hier in Berlin geht man eigentlich von vornherein davon aus, dass man angepöbelt wird."

"Alleine würde ich nie die Sonnenallee entlanglaufen"

Sie selbst habe noch nie polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen: "Ich denke mir, die haben Besseres zu tun, aber eigentlich müsste man jeden Fall zur Anzeige bringen." Doch sie bewertet das Eingreifen der Berliner Polizei als positiv – die Einsatzkräfte reagierten ihrer Erfahrung nach sehr schnell und beherzt, wenn es um Transpersonen geht.

Auf die Frage, ob es in Berlin No-go-Areas für sie gebe, antwortet sie: "Alleine aufgebrezelt würde ich niemals die Sonnenallee entlanglaufen, aber das geht Hunderten anderen Frauen auch so. Ich fahre sowieso immer Taxi." Trotz aller Einschränkungen, sagt sie, ist und bleibt Berlin ihr Zuhause.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Linda (voller Name der Redaktion bekannt)
  • Monitoring-Bericht Trans- und homophobe Gewalt, Berlin, 2020
  • Pressemeldungen der Polizei Berlin, 12.September
  • Anfrage bei der Polizei Berlin zu statistisch erfassten Hasstaten
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