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Hilfe fürs Kriegsgebiet: Trucker fahren von Berlin in die Ukraine – ohne Rückkehr


Hilfe fürs Kriegsgebiet
Diese Trucker fahren von Berlin in die Ukraine – zurück können sie nicht

Von Jannik Läkamp

Aktualisiert am 12.03.2022Lesedauer: 6 Min.
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Igor Popovytsh am Steuer seines Lastwagens: Der 37-Jährige wird die Ukraine erst einmal kaum wieder verlassen können, sobald er den Grenzstein passiert hat.Vergrößern des Bildes
Igor Popovytsh am Steuer seines Lastwagens: Der 37-Jährige wird die Ukraine erst einmal kaum wieder verlassen können, sobald er den Grenzstein passiert hat. (Quelle: Mario Firyn/T-Online-bilder)

Eine Gruppe von Lkw-Fahrern bringt aus der deutschen Hauptstadt Hilfsgüter in die Ukraine. Wenn sie dort ankommen, ist ein Rückweg so gut wie ausgeschlossen. Was macht das mit den Helfern?

Hektische Betriebsamkeit herrscht auf der monotonen Betonfläche. Der Lkw-Parkplatz Halensee an der Avus ist zu einem Umschlagplatz für Sachspenden geworden. Dutzende Helfer wuseln hier am Freitagvormittag in Berlin durcheinander: Sie durchwühlen und sortieren Kartons, laden in langen Ketten pralle Mehlsäcke in Lastwagen, stürzen sich auf ankommende Autos und entledigen sie ihrer Fracht.

Immer wieder blitzt eine gelbe Warnweste in der strahlenden Sonne auf. Im Minutentakt kommen neue Pkw, SUV und Kleinbusse an. Die meisten sind bis unters Dach vollgepackt mit Spenden. Diese sollen so schnell wie möglich in die Ukraine. Doch für die Fahrer, die die Waren dorthin bringen, könnte es erst mal die letzte Fahrt gewesen sein.

Seit über zwei Wochen herrscht in der Ukraine Krieg: Tausende flohen bereits vor der Gewalt und dem Leid, das die Kämpfe zwischen den russischen Angreifern und den ukrainischen und internationalen Verteidigern auslösen. Denen, die bleiben, fehlt es an vielem.

Essen, Medikamente, Hygieneprodukte, all das ist in den umkämpften Gebieten Mangelware. Umso dringender werden dort Hilfslieferungen aus dem Ausland benötigt. Ein Zusammenschluss von Berliner Freiwilligen versucht das zu organisieren, mit Spenden aus Deutschland und Fahrern aus der Ukraine.

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Freitagnachmittag war der letzte Lkw auf der Straße. Ein Logistikunternehmen will die Aktion professionalisieren, die Fahrer künftig statt mit Spenden vielmehr mit Waren aus dem Großhandel in die Ukraine schicken.

Berlin: Hunderte Freiwillige unterstützen die Ukraine

Igor Popovytsh ist einer der ukrainischen Lkw-Fahrer. Er sagt: "Wenn einem das Land und das Haus weggenommen wird, hat man das Gefühl, Menschen mit bloßer Hand töten zu wollen." An dem Tag, als der Krieg zwischen Russland und seinem Heimatland ausbrach, kam er gerade aus Dänemark nach Berlin. Der Drang war groß, sofort zurück nach Hause zu fahren, zu seiner Frau, seinen zwei Kindern, seiner Mutter. Um die macht er sich große Sorgen, will schnell zu ihnen. Seit Wochen konnte er sie nur auf seinem Handydisplay sehen.

Doch mit einem leeren Lkw zurückfahren wollte er nicht. Stattdessen entschied er sich, zu warten und dringend benötigte Hilfsgüter mit in die Ukraine zu nehmen. Eine Fahrt ohne Rückweg. Hat der 37-Jährige einmal die Grenze der Ukraine überschritten, darf er als Mann im wehrfähigen Alter nicht mehr ausreisen.

Auch könnte er zur Armee herangezogen werden, muss vielleicht kämpfen, töten, sterben. Für Popovytsh durchaus eine realistische Vorstellung. Allerdings auch eine, die ihn nicht abschreckt. "Das ist mein Land, dafür muss man kämpfen. So heißt es auch in unserer Nationalhymne: 'Unsere Körper und unsere Seelen legen wir nieder für unsere Freiheit'." Seine Heimat bedeutet ihm sehr viel, sagt er. Seine Familie ist im Süden der Ukraine tief verwurzelt, seit Generationen leben sie dort.

Mit waghalsigen Vorhaben ist Popovytsh jedoch nicht alleine. Eine ganze Freiwilligenorganisation hilft ihm und seinen Kollegen, genug Hilfsgüter zu sammeln und zu verladen.

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Die Idee zu dieser Aktion und die ersten beiden Lkw stammten von Andriy Sokolink. Dem 37-Jährigen gehört eine Möbelfabrik in Zhitomir. Als der Krieg ausbrach, hatte Sokolink die Idee, die beiden Lastwagen der Fabrik mit Hilfsgütern beladen zu lassen und erst dann in die Ukraine zurückzuschicken. Dafür startete er einen Sachspendenaufruf – und begann damit, ebenfalls in Europa gestrandete ukrainische Lkw-Fahrer zu kontaktieren, ob sie sich seiner Idee anschließen wollen. Viele wollten.

"Ich wäre schon längst da, wenn meine Hilfe hier nicht nötiger wäre"

Bereits über 30 voll beladene Lastwagen konnten so schon auf ihre Fahrt in die Ukraine geschickt werden. Oft ein One-Way-Trip. Viele Fahrer, wie auch Igor Popovytsh, sind im wehrfähigen Alter und haben keine Sondergenehmigung, das Land wieder zu verlassen. Auch Sokolink spielt mit dem Gedanken, in sein Heimatland zurückzukehren, zu seiner Familie, seiner Firma. "Ich wäre schon längst da, wenn meine Hilfe hier nicht nötiger wäre", so der 37-Jährige.

Seiner Organisation und seinen Kontakten ist es zu verdanken, dass immer mehr ukrainische Trucker auf dem Weg nach Hause einen Umweg über Berlin machen, um gespendete Lebensmittel, Medizin und Hygieneartikel mitzunehmen. "Am Anfang war ich sehr stolz auf das, was wir hier aufgebaut haben. Und dankbar für die vielen Spender und Helfer", erklärt Sokolink. "Inzwischen habe ich verstanden, dass es unsere Pflicht als Ukrainer ist."

Der Wille des Teams aus Lkw-Fahrern und freiwilligen Helfern hat sie inzwischen zu einer Familie werden lassen, sagt er. Auch Russen seien unter den Helfern. "Das ist aber total normal. Wir sind alles nur Menschen mit einem gemeinsamen Ziel. Es gibt auch keinen Ärger", so Sokolink. "Über Politik reden wir hier ohnehin nicht. Dafür ist viel zu viel zu tun", sagt er.

Dennoch werden die russischen Helfer manchmal angefeindet, erklärt einer von ihnen. Er möchte lieber anonym bleiben. Für sie hagelt es beleidigende Nachrichten im Netz und Schuldzuweisungen – trotz ihres Einsatzes. "Und das, obwohl wir uns in unserer Heimat strafbar machen", erklärt er. "Inzwischen gibt es ein Gesetz, das jedem Russen verbietet, der Ukraine zu helfen. Egal wie. Das kann bis zu 15 Jahre Knast geben."

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Besonders dringend benötigt: Medikamente

Auch Julia Pothika hat russische Wurzeln. Bei den anderen Helfern eckt sie hier nirgendwo an, erzählt sie. Zu offensichtlich ist wohl ihr Einsatz für die Ukraine. Den ihre Familie ihr allerdings übel nimmt, seit einer Woche herrscht Funkstille, so Pothika. Dennoch ist sie mit glühender Energie bei der Sache. Freiwillig hat sich die 28-Jährige der Organisation der vielen Helfer und Spender angenommen.

Ständig klingelt ihr Handy, sie scheint überall gleichzeitig zu sein und ordnet den Ameisenhaufen aus Menschen, Kartons und Paletten, der die Spendenannahmestelle an der Avus ist. Eigentlich ist sie Freiberuflerin, arbeitet viel für Start-ups, moderiert im Radio. "Wenn gerade kein Krieg herrscht", fügt sie schmunzelnd hinzu. Auch ihre Sprachkenntnisse sind an der Annahmestelle sehr gefragt. "Die Lkw-Fahrer sprechen nur Ukrainisch, die meisten Helfer Deutsch. Mit meinem Russisch kann ich einigermaßen übersetzen."

Auch Barbara Demmer möchte helfen, sie bringt schon zum dritten Mal Spenden vorbei. Diesmal sind es Zwiebeln und Kartoffeln. Die Schauspielerin ist ganz begeistert von der Solidarität und Hilfe, die hier in Berlin den Ukrainern entgegengebracht wird. "Hier zeigt sich Deutschlands unfreundlichste Stadt von ihrer schönsten Seite."

Wenn Andreiys Idee und seine zwei Lkw der Grundstein der Aktion waren, so ist Ewa Herzogs Engagement der Steinbruch. Die Designerin aus Berlin mit ukrainischen Wurzeln brachte zu Beginn des Krieges mit Freunden Hilfsgüter zu der Sammelstelle. Und beschloss spontan zu helfen – auch mit ihrer Reichweite auf Instagram. Die Sammelstelle gewann Aufmerksamkeit. Und damit mehr Freiwillige, mehr Spenden.

Auch Prominente wurden auf die Aktion aufmerksam – und halfen

Auch viele ihrer Bekannten aus der Welt der Reichen und Schönen wurden dadurch auf die Aktion aufmerksam. "Ich habe noch nie so viele Cartier-Armbänder durch alte Klamotten wühlen gesehen", scherzt sie. Insgesamt rund 400 Freiwillige unterstützen die Aktion, manche kommen regelmäßig, andere nur einmal. Unter den Helfern seien auch immer wieder bekannte Gesichter, wie etwa Yvonne Catterfeld oder Andrea Sawatzki.

Über die vielen helfenden Hände freut sich Herzog sehr. "Wir schreiben hier Geschichte, so was hat Europa noch nicht gesehen." Dabei waren ganz besonders die ersten Tage hart. "Es war so kalt. Ich habe noch nie so gefroren wie in der ersten Woche der Aktion", so Herzog. "Ich konnte auch nichts essen. Mir ist das Brot im Hals stecken geblieben, wenn ich daran gedacht habe, dass die Menschen in der Ukraine hungern." Zwölf Kilo hat sie in der Zeit abgenommen, wie sie sagt.

Auch ihre Familie unterstützt die Sammlung. "Meine Eltern helfen hier vor Ort mit", so Herzog. "Und mein Onkel nimmt die Waren in Lemberg in Empfang, filmt und fotografiert die Verteilung. So wissen wir mit Sicherheit, dass auch alles da ankommt, wo es hinsoll."

Täglich veröffentlichen die Helfer eine Liste mit Dingen, die gebraucht werden. Besonders gefragt sind Verbrauchsartikel wie Hygieneprodukte, ganz besonders aber Medikamente. Das hat sich Claus Bredel-Charron zu Herzen genommen. Denn er möchte helfen, unbedingt. "Ich kriege Tränen vor dem scheiß Fernseher", erklärt er.

Kurzerhand legte der Rentner mit seinem Sohn und einem Partner zusammen. Für 500 Euro besorgten sie Schmerzmittel, Antibiotika und geladene Powerbanks. Auch ein T-Shirt mit zwei Herzen darauf besorgte er – eines mit deutscher, eines mit ukrainischer Flagge. Ein Symbol für den Zusammenhalt.

Am liebsten würde der 74-Jährige noch viel mehr tun, sagt er, es gehe ihm nicht um das Geld. "Aber Kisten schleppen kann ich nicht mehr. Und eigentlich müsste man jetzt da runterfahren und mitkämpfen. Aber ich würde wohl nur im Weg stehen."

Er kennt eine ehemalige Kollegin aus der Ukraine. Sie musste fliehen, vor wenigen Tagen erreichte sie Berlin. "Das ist Wahnsinn", sagt Bredel-Charron. "Innerhalb von 14 Tagen schlägt die Welt um von 'Mir geht es gut, ich habe einen tollen Job' zu 'Ich bin gerade noch mit dem Leben davongekommen'."

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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