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Fallen bald Millionen Parkplätze weg? – Gerichtsentscheidung zu Parkraum


Bevorstehendes Urteil
Fallen Millionen Parkplätze in Deutschland weg?

Von Steffen Koller

Aktualisiert am 17.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Autos in einer Wohngegend (Symbolbild): Parkplätze sind in deutschen Städten oft Mangelware. (Quelle: Jürgen Ritter/imago images)

Parkraum ist in deutschen Städten ein seltenes Gut – und die vorhandenen Plätze sind schwer umkämpft. Ein anstehendes Urteil könnte die Lage weiter verschärfen.

Es ist ein täglicher Kampf auf Deutschlands Straßen. Und er wird von allen geführt. Von Fußgängern, Rollstuhlfahrern, Eltern, die einen Kinderwagen vor sich herschieben, älteren Menschen mit Rollator und natürlich Autofahrern. Die einen suchen teils stundenlang nach einem geeigneten Parkplatz, die anderen schlängeln sich über schmale Fußwege, die von tonnenschweren Vehikeln halb zugeparkt sind. Und wieder andere verzweifeln, weil für sie überhaupt kein Durchkommen ist.

Parkraum ist ein seltenes Gut in deutschen Großstädten. Jeder Zentimeter ist hart umkämpft – und mit dem bald zu erwartenden Urteil zum sogenannten aufgesetzten Parken des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Bremen könnten Millionen Parkplätze künftig wegfallen.

Aufgesetztes Parken beschreibt das Abstellen eines Fahrzeugs mit zwei Rädern entlang eines Fußwegs. Diese Praxis ist laut Straßenverkehrsordnung (StVO) verboten, geregelt wird sie im Paragrafen 12 (Halten und Parken). Halten tun sich nur die wenigsten daran.

In Bremen könnten 20.000 Parkplätze wegfallen

Trotz des gesetzlichen Verbots geht das Verkehrsressort der Bremer Senatsverwaltung allein für die Hansestadt von 20.000 Parkplätzen aus, die bei einer entsprechenden Entscheidung des OVG nicht mehr als solche genutzt werden könnten. Andere Zahlen sprechen sogar von 50.000 Parkplätzen.

Vor dem OVG in Bremen kamen unter der Woche nun zwei Parteien zusammen: Anwohner verschiedener Wohnstraßen und das Bremer Verkehrsressort. Die Kläger wollen erreichen, dass das Ordnungsamt seiner gesetzlichen Pflicht nachkommt und das entsprechende Verbot auch durchsetzt, also Strafzettel verteilt oder Autos notfalls abschleppt. "Das Verkehrsressort", so Kläger Wolfgang Köhler-Naumann gegenüber dem "Spiegel", "kennt das Problem, aber weigert sich einzuschreiten."

Das Verkehrsressort hingegen argumentiert, das für Verkehrsverstöße zuständige Ordnungsamt könne nicht jede Straße und jedes dort aufgesetzt parkende Fahrzeug kontrollieren und gegebenenfalls abschleppen lassen. Zudem zitiert der "Spiegel" eine Juristin des Umweltbundesamtes (UBA) mit folgenden Worten: "Bürger haben keinen gesetzlichen Anspruch, dass das Ordnungsamt den Gehweg an einer bestimmten Stelle kontrolliert."

OVG-Richter: "Kenne keine vergleichbare Situation"

Die Kläger sehen das anders: Das Verkehrsressort habe sehr wohl Möglichkeiten, die über Jahrzehnte gelebte, jedoch verbotene Praxis zu unterbinden. Mit Pollern, Fahrradbügeln, aber auch entsprechenden Verkehrsschildern könnten Falschparker ferngehalten werden.

Das Bremer OVG hatte in einer erstinstanzlichen Entscheidung bereits geurteilt, die Verkehrsbehörde müsse gegen die bislang geduldete Form des Parkens vorgehen. Aber: Das Gericht machte aus Klägersicht keine Angaben darüber, wie genau das Ressort dagegen vorzugehen habe. Also klagten die Anwohner der Stadtteile Findorff, Neustadt und Östliche Vorstadt erneut. Auch die Verkehrsbehörde legte Widerspruch gegen die erste Entscheidung des OVG ein. So musste neu verhandelt werden.

Beim zweiten Termin wurde nun auch der zuständige Richter und Präsident des OVG deutlich: "Das Bundesrecht ist eindeutig, aber in der gesamten Republik wird es einfach ignoriert und nicht vollzogen. Ich kenne keine vergleichbare Situation", sagte Peter Sperlich laut einem Bericht des "Weser-Kurier".

Die Lage scheint also eindeutig. Ist sie aber nicht. Denn Verbot ist nicht gleich Verbot – zumindest was die daraus resultierende Handhabe des Ordnungsamtes betrifft, sagte Richter Sperlich. An dieser Stelle kommt der Begriff "Zumutbarkeit" ins Spiel, der eine zentrale Rolle im Verfahren spielt. Denn: Das Gericht müsse nun entscheiden, ob es für Fußgänger zumutbar sei, dass Autos ihnen den Platz wegnehmen. Sei das zumutbar, habe das Ordnungsamt keine gesetzliche Verpflichtung, unverzüglich einzugreifen und Fahrzeuge abzuschleppen.

Aufgesetztes Parken kann lebensgefährlich sein

Während der Verhandlung machte die Klägerseite auch auf ein anderes Problem des aufgesetzten Parkens aufmerksam. Autos würden nicht nur anderen Verkehrsteilnehmern den Platz wegnehmen, sondern auch meist im Fußweg eingelassene Absperrventile der Gas- und Wasserleitungen versperren, die unter den Gehwegplatten verlaufen.

Das OVG will mit einem Urteil bis Anfang des kommenden Jahres warten, erst dann werde es eine endgültige Entscheidung geben. Und diese könnte Auswirkungen auf ganz Deutschland haben, glaubt auch Nils Linge, Sprecher des ADAC Weser-Ems.

Verkehrsexperte glaubt an "große Welle an Klagen"

"Das könnte sicherlich für eine große Welle an Klagen sorgen", sagte Linge t-online. Sollte das OVG zugunsten der Kläger entscheiden und das Verkehrsressort in die Pflicht nehmen, konsequent gegen Falschparker vorzugehen, würden allein für Bremen etwa 50 Prozent der Parkplätze wegfallen, hat Linge errechnet. Hochgerechnet auf Deutschland würde das Millionen von Parkplätzen betreffen, glaubt Linge.

Besonders in Wohnquartieren, die eng bebaut sind, würde dann mindestens eine Straßenseite für Autos wegfallen, weil Fahrzeuge nicht mehr auf beiden Gehwegen, sondern komplett auf der Straße parken müssten. Da zwei Reihen Fahrzeuge, die komplett auf der Straße stehen, jedoch dann die ganze Breite der Fahrbahn einnehmen würden, müsste eine Seite komplett für Autos tabu sein.

Linge gibt aber auch zu bedenken, dass sich Bremen städtebaulich sehr unterscheide von anderen vergleichbaren Städten wie Hannover, Dortmund oder Nürnberg mit ähnlicher Bevölkerungszahl von 500.000 oder etwas mehr.

Bremen und insbesondere die Wohnquartiere seien wesentlich enger gebaut als andere Großstädte. Das liege nicht zuletzt an den Altbremer Häusern, die zur Zeit ihrer Errichtung um 1850 meist nur einen Bewohner beherbergten. Heute teilten sich meist drei bis vier Parteien ein solches Gebäude – mit entsprechend großer Anzahl an Fahrzeugen. Das Resultat wäre unter anderem sogenannter Parksuchverkehr, der verstärkt würde. "Für die gesamte Stadt wäre ein solches Vorgehen nicht zielführend", so Linge zu t-online.

Generelles Verbot "an der Realität vorbei"

Linge mache auch die hohe Zahl an Pendlern Sorge. Knapp 120.000 Menschen fahren täglich nach Bremen rein, so eine Erhebung der Arbeitnehmerkammer Bremen. Fehlende Parkplätze würden somit auch der Attraktivität der Stadt schaden, zumal das Park-and-Ride-System "nicht besonders gut ausgebaut" sei.

Nach Auffassung des Verkehrsexperten müsste künftig von Quartier zu Quartier unterschieden und keine Generallösung geschaffen werden. "Das muss für alle passend sein. Für Pendler, für Anwohner, für Fußgänger und Radfahrer."

Ein generelles Verbot des aufgesetzten Parkens geht für Linge "etwas an der Realität vorbei", sagt er. Bremen habe keine große Umgehungsstraße wie Hannover beispielsweise, keinen ÖPNV, der rund um die Uhr fahre. "Auch in der Großstadt brauchen die Menschen ein Auto. Wer das verneint, redet an der Realität vorbei."

Verwendete Quellen
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