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Borkum: Insel kämpft gegen Projekt von Gas-Konzern – neues Gutachten


Insel gegen Gasförderung
"Borkum hat Angst vor der Plattform"


Aktualisiert am 26.01.2024Lesedauer: 5 Min.
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Eine Offshore-Plattform (Symbolfoto): Borkum will die Förderung von Erdgas in unmittelbarer Nähe zur Insel verhindern. (Quelle: IMAGO/Marc Morrison/imago-images-bilder)

Kleine Insel, großer Gegner: Borkum wehrt sich gegen den viel kritisierten Energiekonzern One-Dyas – und bekommt Rückendeckung. Ein Gutachten stärkt ihre Position.

Borkum kämpft – und hat ein Ass im Ärmel: Das Eiland wehrt sich gegen die geplante Erdgasförderung direkt vor den Toren der Insel und klagt zusammen mit anderen Gemeinden und Umweltorganisationen gegen das Vorhaben. Im Visier: der niederländische Energiekonzern One-Dyas. Nun zeigt ein Gutachten von Greenpeace: Im unmittelbar betroffenen Bohrbereich liegen noch mehr schützenswerte Steinriffe, als zunächst angenommen. Das geht aus einem Bericht hervor, der t-online exklusiv vorliegt. Auch zuständige Behörden in Niedersachsen gehen auf Abstand zum Gasprojekt.

Die Ergebnisse beruhten auf einer zweiten Untersuchung des Meeresbodens, in dem One-Dyas bohren will, teilte Greenpeace t-online mit. Nachdem die Umweltschützer mithilfe von Tauchern bereits im Frühjahr 2023 den Grund der Nordsee punktuell untersucht und eine spektakuläre Unterwasserwelt entdeckt hatten, seien im Herbst vergangenen Jahres weitere Sondierungen erfolgt. Schon vorher sollen nach Angaben von Greenpeace wichtige Dokumente von Behörden bewusst unter Verschluss gehalten worden und nicht ins Planfeststellungsverfahren eingeflossen sein. Mehr dazu lesen Sie hier.

Das Gutachten ist von großer Bedeutung. Denn: Die Inseln Borkum und Juist klagen zusammen mit Umweltorganisationen gegen die geplante Erdgasförderung. Der Konzern One-Dyas, so die Forderung, soll für das Vorhaben keine Genehmigung erhalten. Im niederländischen Den Haag fand zuletzt im September eine Anhörung statt, an diesem Donnerstag wird der Prozess fortgesetzt. Dort wolle man das neue Gutachten einbringen, teilte Greenpeace mit. Die Organisation klagt nicht selbst, sondern unterstützt die Kläger mit ihrer Expertise.

Bohrungen gefährden "Oasen in der Wüste"

Borkum wird vor Gericht von Sandra Franke vertreten. Die Umweltbeauftragte der Stadt sagt t-online: "Das ist schon ein bisschen David gegen Goliath. Die Umweltorganisationen und ihre Unterstützung sind extrem wichtig für das große Ganze: den Schutz der Umwelt unter Wasser und an der Küste." Denn nicht nur die Bohrungen bedrohen die Natur – auch die durch eine Plattform ausgestoßenen Stickoxide seien eine Gefahr für die sensiblen Dünenlandschaften der Inseln.

Im Gespräch mit t-online bezeichnet Greenpeace-Meeresexpertin Franziska Saalmann die Steinriffe als "Oasen in der Wüste". Die Riffe seien in der Nordsee äußerst selten, in der Regel zeichne sich der Meeresboden nämlich durch Schlamm aus. Die Riffe böten nicht nur Krebsen und Anemonen einen Lebensraum, sondern auch Jungfischen, die sich dort geschützt vor Fressfeinden aufhalten und wachsen können. Auf der anderen Seite macht sie klar: "Diese Riffe wachsen langsam und sind schnell zerstört." Letztlich seien die Habitate für die gesamte Nordsee wichtig.

Steinriffe: Lebensraum bedrohter Tierarten

Mit dem neuen Gutachten habe man nachgewiesen, dass die Steinvorkommen zwischen Borkum und der Insel Schiermonnikoog auf niederländischer Seite dem Habitattyp Steinriff entsprechen. Was zunächst technisch klingen mag, hat einen wichtigen Hintergrund: Werden Flächen formell als Steinriff anerkannt, so unterliegen beispielsweise Bauvorhaben besonderen Anforderungen beziehungsweise können deshalb auch ganz verboten werden. Genau das ist das Ziel der Inselgemeinden und Umweltorganisationen: One-Dyas soll keine Bohrgenehmigung erhalten.

One-Dyas seinerseits bestreitet bislang das Vorhandensein solcher Steinriffe. Doch bereits vor dem neuen Gutachten waren im Bereich Borkum "ökologisch besonders wertvolle" Steinriffe nachgewiesen worden. So schreibt es das Bundesamt für Naturschutz (BFN) auf seiner Internetseite. Vor allem im Bereich des Borkum-Riffgrundes wurden demnach über 165 Bodentierarten gesichtet, darunter über 20 Arten, die auf der Roten Liste besonders vom Aussterben bedrohter Tiere stehen.

Doch das hält das Unternehmen One-Dyas nicht davon ab, sein 500 Millionen Euro teures Vorhaben voranzutreiben. Nachdem dem Unternehmen im April 2023 zunächst verboten worden war, nach Gas zu bohren, zog der Konzern erneut vor Gericht. Beabsichtigt sei, insgesamt 60 Milliarden Kubikmeter Gas zu fördern. Deutschland würde aus dem Projekt jedoch nur ein Prozent seines jährlichen Gasbedarfes erhalten, so Greenpeace.

Greenpeace: Argument der Energiesicherheit nur "vorgeschoben"

Da der nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs befürchtete Energiemangel in Deutschland bislang nicht eingetreten ist, sei dieses Argument "vorgeschoben", sagt Greenpeace-Expertin Saalmann dazu. Das potenziell geförderte Gas schaffe sowieso keine kurzfristige Abhilfe. Momentan gehe man von einer ersten Förderung nicht vor Ende 2024 aus – vorausgesetzt, das Vorhaben wird genehmigt. "Das Argument zieht nicht", sagt Saalmann.

War das Land Niedersachsen anfangs noch Befürworter des Projekts, klingt das heute anders. Der Umweltminister Christian Meyer (Grüne) geht auf Anfrage von t-online auf Abstand: "Das Projekt ist mit den Klimazielen nicht vereinbar und wird nicht gebraucht." Angesichts der Risiken für Umwelt, Natur, Wattenmeer und dem Schutz der Insel Borkum "halten es die Umweltbehörden des Landes und die Nationalparkverwaltung Wattenmeer für zurzeit nicht genehmigungsfähig".

Zudem, so Meyer, komme das Projekt "aus energiewirtschaftlicher Sicht sehr spät". Da der Gasverbrauch in Deutschland sinke, werde "zum Erreichen der Klimaziele keine zusätzliche Gasförderung im Binnenland oder auf See gebraucht".

One-Dyas braucht die Erlaubnis aus Deutschland

Das SPD-geführte Wirtschaftsministerium von Olaf Lies hatte zuletzt noch vieles offen gelassen: Sollte eine Förderung vor Borkum aus Umweltschutzgründen nicht vertretbar sein, werde sie nicht genehmigt, sagte Lies der „HAZ". „Wenn aber das Verfahren zu dem Ergebnis kommt, dass die Sicherheit gewährleistet ist, wird es von unserer Seite eine Genehmigung geben", zitierte die Zeitung Lies. Das ihm unterstehende Landesbergbauamt muss die Bohrungen genehmigen. Wann diese Entscheidung fallen soll, ist unklar.

Im Jahr 2022 hatte Niedersachsens damaliger Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) gesagt, er sei "persönlich sehr davon überzeugt, dass die beabsichtigte gemeinsame Erklärung einen sinnvollen Rahmen für die Erdgasförderung in deutschen Gewässern schafft".

Zum Verständnis: One-Dyas braucht die Einwilligung des Landes Niedersachsen, um das Projekt wie geplant umzusetzen. Fehlt diese Genehmigung, könnte es für das Vorhaben das Ende sein – denn das Projekt betrifft direkt deutsche Hoheitsgewässer. Umweltschützer fürchten neben den Umweltschäden auch eine erhöhte Gefahr von Erdbeben in der Region.

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Doch nicht nur die Natur sei in Gefahr, sondern auch das Lebensgefühl, fürchten die Insulaner: "Borkum hat Angst vor der Plattform. Immer mehr Schiffe stören schon die freie Sicht auf das Meer. Eine zusätzliche Industrieanlage wäre fatal", sagt Sandra Franke von der Stadt. Windkraftanlagen, die es auch vor der Insel im Meer gibt, hätten eine höhere Akzeptanz. "Die sind ein Symbol für Umweltschutz."

"Harter Schlag für die Tourismuswirtschaft"

Zudem könnte das Wattenmeer seinen Welterbe-Status der Unesco verlieren, sollte das Erdgasprojekt realisiert werden. "Das wäre ein harter Schlag für die Tourismuswirtschaft, von der die Insel lebt", warnt Franke. "Die Riffe sind bunt und vielfältig, ein einzigartiger Lebensraum und ganz anders als der Schlick im Watt." Es sei eine Illusion, dass eine Gasplattform in dem Gebiet nichts kaputt mache.

Die an der Anhörung in den Niederlanden beteiligten Parteien werden an diesem Donnerstag um 13 Uhr Gelegenheit haben, ihre jeweiligen Argumente vorzubringen. Mit einer finalen Entscheidung sei an diesem Tag jedoch noch nicht zu rechnen, sagt Franziska Saalmann.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Telefonat mit Franziska Saalmann, Meeres-Expertin bei Greenpeace
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