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Bremens Ukrainer wegen Russland-Propaganda in Sorge – "Das ist grauenhaft"


Ukrainer in Sorge
Russland-Propaganda in Bremen: "Das ist grauenhaft"


07.05.2022Lesedauer: 4 Min.
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Das Symbol "Z" auf einem Auto (Symbolbild): In Bremen häufen sich Straftaten gegen ukrainische Bürger.Vergrößern des Bildes
Das Symbol "Z" auf einem Auto (Symbolbild): In Bremen häufen sich Straftaten gegen ukrainische Bürger. (Quelle: SNA/imago-images-bilder)

Unterstützung aus Deutschland für Putins Politik und seinen Angriff auf die Ukraine erhält derzeit besondere Aufmerksamkeit. Und sie beunruhigt angesichts zunehmender Straftaten gegen die ukrainische Gemeinschaft. Für einen Migrationsforscher sind die jüngsten Entwicklungen keine Überraschung.

Zerstochene Autoreifen an ukrainischen Autos, das "Z"-Symbol eingeritzt auf der Motorhaube und ein russischsprachiges Video, in dem die deutsche Bundesregierung als "Nazis" verunglimpft und ebenjenes kriegsverherrlichende Symbol beworben wird: Die offenbar politisch motivierten Straftaten gegen Menschen aus der Ukraine in Bremen häuften sich jüngst.

Die ukrainische Gemeinschaft in der Hansestadt ist in Sorge. "Das ist grauenhaft", sagt etwa Inna Kun. Als selbstständige Fotografin habe sie mehrere Jahre mit russischsprachigen Menschen in Bremen gearbeitet und Hochzeiten dokumentiert – und Einblicke in ihre Lebenswelten bekommen. Sie sehe hier jedoch keine wirklich neue Entwicklung: "Man hat dem nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt. Das Problem besteht seit 2014 und es ist riesig." In jenem Jahr riefen nach den proeuropäischen Maidan-Protesten von Russland unterstützte Separatisten die Volksrepubliken Donezk und Luhansk aus.

Ukrainerin in Bremen: Berufswechsel wegen Radikalisierung

Ihre persönlichen Erfahrungen nennt sie auch als Grund, weshalb sie ihren Beruf gewechselt hat: "Ich habe aufgehört, weil ich das nicht mehr hören konnte." Auf den russischen Fernsehkanälen sei das Thema Nummer eins die angeblich faschistische Ukraine gewesen und dass die Russen die Welt retten müssten, fasst sie ihre Eindrücke zusammen. Dabei sei es ihre 90 Jahre alte Großmutter, die nun zum zweiten Mal von russischen Soldaten vertrieben worden sei. "Die Geschichte wiederholt sich", sagt Kun frustriert.

Die Angst vor einer weiteren Eskalation in Deutschland ist groß. "Macht was!", fordert Kun und schiebt mit Blick auf die jüngsten Straftaten in Bremen hinterher: "Sie kommen auch zu euch. Sie sind schon da." Als sie im Februar, kurz vor Beginn des großflächigen Angriffskrieges, mit Freundinnen bei einer Friedensdemo in der Bremer Innenstadt die russische Besatzung der Krim und im Donbass anprangert habe, seien sie weithin als Kriegstreiberinnen beschimpft worden.

Migrationsforscher: Entwicklung setzte 2014 ein

Jannis Panagiotidis, Wissenschaftlicher Geschäftsführer am Forschungszentrum für die Geschichte von Transformationen in Wien, hat seine Schwerpunkte in osteuropäischer Geschichte und in russlanddeutscher Migration. Auch er sagt, dass die Polarisierung in der russischsprachigen Gemeinschaft lange jenseits des öffentlichen Auges stattgefunden habe. Doch die Frage, wie sie zu Russland und Putin stehe, sei bereits 2014 wichtig geworden und habe vor allem innerhalb der Familien und Gemeinschaft für Auseinandersetzungen gesorgt.

In der türkischsprachigen Gemeinschaft etwa sei diese Positionierung zu Präsident Erdoğan und dessen Politik in der Türkei schon deutlich länger wichtig. Die jüngsten Vorfälle wie in Bremen seien das Ergebnis dieser Entwicklung, die unter dem Einfluss verschärfter Propaganda geschehe.

Der Forscher erinnert etwa an den "Fall Lisa" im Jahr 2016, eine erfundene Vergewaltigungsgeschichte eines minderjährigen Mädchens in Berlin, die zu mehreren Demonstrationen in der russischsprachigen Bevölkerung geführt hatte und intensiv von russischen Staatsmedien thematisiert worden war. "Vermeintliche Infos zirkulieren und entwickeln ein Eigenleben", beschreibt Panagiotidis. Ein ähnlicher Vorgang ließ sich erst Ende März in Euskirchen beobachten, als eine Frau auf Russisch von einem Überfall auf einen Jugendlichen durch eine ukrainische Gruppe erzählte. Das war allerdings erfunden.

Russischstämmige Menschen sind häufig auch Opfer

Tatsächlich haben sich bundesweit seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die Vorfälle gehäuft, in denen sich auch die russischsprachige Gemeinschaft Beleidigungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen ausgesetzt sieht. Im "Tagesspiegel" sprach Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), jüngst von etwa 200 Straftaten, die seine Behörde wöchentlich registriere; die richteten sich sogar mehrheitlich gegen russischstämmige Menschen. "Es gibt reale Vorfälle, das darf man nicht kleinreden", sagt Panagiotidis.

Angst, Anfeindungen und Diskriminierung bildeten daher die Grundlage für Aktionen wie Autokorsos. Dort werde die Stimmung aufgegriffen, ergänzt um Fakes und Manipulation. "Es liegt in der Natur der Sache: Propaganda funktioniert mit einem wahren Kern", erläutert er. Vor allem, was im Unklaren liegt, biete sich für Provokationen aller Art an. Gleichwohl würde er nicht von einem Mehrheitsphänomen sprechen.

Nachdem Unbekannte Autoreifen ukrainischer Autos aufgeschlitzt hatten, meldete sich unter anderem Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte bei Twitter zu Wort: "Wir dürfen es nicht zulassen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine in unsere Städte getragen wird."

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Forscher: Gemeinschaften oft stärker als Nationalismen

Forscher Panagiotidis sieht Konfliktpotenzial, an eine große Eskalation glaube er jedoch nicht – auch wenn sich Dynamiken schnell ändern könnten. Die Erfahrung zeige etwa, dass Russlanddeutsche politisch eher passiv seien und wenig mobilisierbar. Zudem lohne sich ein Vergleich mit dem Zerfall Jugoslawiens in den 1990er-Jahren, wo insbesondere während des Kosovo-Krieges in Deutschland die Täter- und Opfergemeinschaften aufeinandertrafen. "Das hat sich schnell wieder beruhigt", bilanziert Panagiotidis: "Albaner und Serben sind inzwischen oft Freunde." Die Bänder zwischen den Gemeinschaften seien oft stärker als die Nationalismen.

In Bremen hat sich Anfang März auch der Verein Deutsch-Russische-Friedenstage positioniert. "Wir verurteilen den völkerrechtswidrigen militärischen Angriff der russischen Armee auf die Ukraine", teilte der Vorstand über die Webseite mit. Als Grund des eigenen Engagements ab 2019 nennt die Gruppe eine "zunehmend konfrontative Stimmung der westlichen Politik gegenüber Russland", der entgegengewirkt werden solle. Eine Gesprächsanfrage ließ der Verein unbeantwortet.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Inna Kun
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