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Uniklinik Essen: Zwei Jahre nach erster Corona-Toten – "Menschen sollten zur Ruhe kommen"


Zwei Jahre nach erster Corona-Toten
Klinikdirektor: "Man sollte die Menschen zur Ruhe kommen lassen"


Aktualisiert am 09.03.2022Lesedauer: 4 Min.
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Ärzte behandeln auf der Intensivstation der Uniklinik Essen im Juli 2020 einen Patienten (Archivbild): Hier starb im März vor zwei Jahren die erste Patientin deutschlandweit an Covid-19.Vergrößern des Bildes
Ärzte behandeln auf der Intensivstation der Uniklinik Essen im Juli 2020 einen Patienten (Archivbild): Hier starb im März vor zwei Jahren die erste Patientin deutschlandweit an Covid-19. (Quelle: Ralph Lueger/imago-images-bilder)

Vor zwei Jahren starben die ersten Menschen in Deutschland am damals noch unbekannten Coronavirus. In der Uniklinik Essen war eine 89-jährige Frau das erste deutsche Todesopfer von Covid-19. Spätestens damit begann ein völlig neuer Alltag. Der Klinikdirektor blickt auf zwei Jahre Pandemie zurück – neben Fehlern der Politik sieht er auch Gutes.

9. März 2020. Eine 89 Jahre alte Frau wird mit Durchfall und anderen Symptomen ins Uniklinikum Essen eingeliefert. Eine Woche später ist sie tot. Tests und eingehende Lungenuntersuchungen hatten ergeben, dass sich die Frau mit dem Coronavirus infiziert hatte.

Professor Jochen Werner erinnert sich gut an die Anfänge der Pandemie und den Tod der Covid-Patientin. Er leitet das Universitätsklinikum in Essen und hat in den vergangenen Jahren hautnah miterlebt, wie die Krankheit funktioniert. "Bei ihr passte alles zusammen. Diese Frau hatte tatsächlich Covid-19", meint Werner.

In der Klinik herrschte plötzlich Ausnahmezustand: "Über vierzig Mitarbeitende von Notaufnahme und Station mussten in Quarantäne und damit waren wir dann sofort und richtig in der Pandemie angekommen. Wenn man vierzig Personen aus dem Klinikbetrieb herausnimmt, mündet dies in schweren Störungen der Abläufe, was gefährlich sein kann."

"In zwei Jahren nur ein halber Tag ohne Covid-Patient"

Der Tag, an dem die Patientin starb, habe auch die gravierenden Folgen des Virus für alle greifbar gemacht: "Das gab auch wirklich nochmal eine Besinnung, wie schwerwiegend das Krankheitsbild sein kann", erinnert sich der Klinikdirektor. Das Personal der Uniklinik lief zu Höchstform auf. Alle hätten ihr Möglichstes versucht, um die Folgen von Covid-19 abzumildern.

"Insgesamt haben wir in den zwei Jahren über 3.000 Patienten stationär behandelt, von denen 550 an oder im Zusammenhang mit Covid-19 verstarben. Außerdem waren wir während dieser zwei Jahre nur einen halben Tag ohne Covid-19-Patienten auf der Intensivstation", sagt Werner. Die Pandemie habe alle an ihre persönlichen Belastungsgrenzen gebracht.

Während den medizinischen Kräften alles abverlangt wurde, stand die Politik vor einer unberechenbaren Herausforderung. Jochen Werner lobt heute das entschlossene Handeln in den ersten Wochen: "Ich denke, wir haben vieles richtig gemacht am Anfang, obwohl es keine Erfahrungswerte gab." Der harte Lockdown sei der einzig richtige Weg gewesen, um die Fallzahlen kurzfristig zu stoppen. Auch für die Wissenschaft und Medizin habe es einige schnelle Lerneffekte gegeben: "Insgesamt gab es eine unglaubliche Zunahme an medizinischem Wissen bis hin zur Impfung. Es kann sogar sein, dass das die bisher größte Erfolgsgeschichte der Medizin in einer globalisierten Welt war."

"Über Weihnachten waren wir komplett orientierungslos"

Weniger positiv beurteilt der Arzt den zweiten Lockdown im Herbst 2020: "Das war ein prolongierter Lockdown, aus dem wir eine Zeit lang nicht mehr rausgekommen sind. Das war aus heutiger Sicht zu lang und die Maßnahmen nicht scharf genug", sagt der 64-Jährige. Kritik hat Werner auch für das Hin und Her der verschiedenen Regelung in den einzelnen Bundesländern übrig: "Ein großes Problem waren die teilweise unerträglichen Alleingänge einzelner Ministerpräsidenten und dies unmittelbar nach angeblich erfolgter Konsensfindung. Immer wieder schimmerte der Wahlkampf durch." Außerdem habe man in Zeiten des Lockdowns die Menschen in den Altenheimen "in der Endphase ihres Lebens" zu sehr abgeschottet und keinen sinnvollen Umgang mit diesem Problem gefunden.

Bei einem weiteren negativen Aspekt wird Werner deutlich: "Was mich ärgert, ist, dass wir nach zwei Jahren Pandemie keine validen Zahlen haben oder es immer noch Lücken im Meldeverhalten an den Wochenenden gibt. Über die Feiertage, zum Beispiel an Weihnachten, waren wir über zwei Wochen komplett orientierungslos. Dramatischere Virusvarianten würden solche Lücken nicht verzeihen." Eine drastische Aussage – zumal Omikron sehr wahrscheinlich nicht das Ende der Virusvarianten darstellen wird.

Der Klinikleiter moniert außerdem die Probleme der Politik bei der Bestellung von Schutzausrüstung: "Es ist ein Unding, dass wir alle zu wenig Schutzmaterial hatten in der Anfangsphase. Solche Engpässe sollten sich nicht wiederholen." Auch sei zu lange über die Sinnhaftigkeit von Mund-Nasen-Masken diskutiert worden: "Ich bin gelernter Hals-Nasen-Ohrenarzt, und es stand außer Frage, dass Masken bei Infektionen, die über Mund und Nase verbreitet werden, sinnvoll sind. Hypothesen darüber, dass die Maske eine Virusschleuder sei, waren ein absolut unsinniger Auswuchs einer kleinteiligen Diskussionskultur. Alles wird zerredet."

Ein Vorwurf auch an diejenigen, die sich schon zu Beginn der Pandemie nicht auf die Maßnahmen einlassen wollten. Später kamen dann auch noch fehlende Impfdosen und Missverständnisse beim Genesenenstatus hinzu. Der ohnehin schon seit "zig Jahren" bekannte Pflegenotstand habe sein Übriges getan.

"Man sollte die Leute zur Ruhe kommen lassen"

Wie geht es weiter? Eine Frage, die auch Jochen Werner nur schwer beantworten kann. Trotzdem prognostiziert er weitere Schwankungen, zumindest bei den Infektionszahlen: "In den Osterferien werden viele Menschen in den Urlaub fahren. Da gehen die Fallzahlen vielleicht noch mal hoch und es kommt eine kleine Nachwelle."

Grund zur Panik sei das aber nicht. Vielmehr solle man überlegen, ob mögliche steigende Infektionszahlen dazu führen, dass der Regelbetrieb in den Krankenhäusern nicht fortgesetzt werden kann. Das sei derzeit nicht zu erwarten. "Das bedeutet aber auch, dass wir die Menschen jetzt zur Ruhe kommen lassen sollten, keine Horrorszenarien verbreiten, was vielleicht wann mit welcher Variante oder Welle kommen mag. Das deutsche Gesundheitssystem hat jetzt zwei Jahre Erfahrung mit dem Virus und gezeigt, dass es die Pandemie bewältigen kann."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Klinikleiter Jochen Werner
  • Eigene Recherche
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