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Klimakiller Beton? Wie das erste klimaneutrale Zementwerk der Welt entstehen soll


Produktion ist CO2-Sünde
Wie das erste klimaneutrale Zementwerk der Welt entstehen soll

  • Gregory Dauber
Von Gregory Dauber

Aktualisiert am 24.01.2023Lesedauer: 4 Min.
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Abbau von Kreide bei Lägerdorf: Aus dem Rohstoff produziert Holcim Zement.Vergrößern des Bildes
Abbau von Kreide bei Lägerdorf: Aus dem Rohstoff produziert Holcim Zement. (Quelle: Stefan Albrecht/Holcim)

Beton gilt als echter Klimakiller. Seine wichtigste Zutat ist Zement. Der könnte in wenigen Jahren klimaneutral in Norddeutschland produziert werden.

Wäre die weltweite Zementindustrie ein Staat, stünde er in der Liste der Klimasünder auf Platz drei hinter China und den USA: Die Produktion des vielleicht wichtigsten Baustoffes der Welt bläst jedes Jahr 2,8 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre – das ist mehr als Russland oder Indien emittieren und viermal so viel, wie in Deutschland ausgestoßen wird. Die mögliche Lösung, an der unter anderem in Norddeutschland getüftelt wird: das Treibhausgas weiterverwerten, statt damit die Umwelt zu belasten.

Das große Problem der Branche: Kohlenstoffdioxid ist bei der Herstellung von Zement unvermeidbar. In einem der 54 deutschen Zementwerke startet in diesem Jahr ein ambitioniertes und extrem teures Projekt mit dem Ziel, die Produktion komplett klimaneutral zu stellen. Die EU fördert das Vorhaben mit 109 Millionen Euro, rund einem Fünftel der erwarteten Kosten. Wie soll das funktionieren?

Zementwerk nahe Hamburg arbeitet an CO2-Emissionen

"Wir sind das Gegenteil von einem Start-up", sagt Arne Stecher t-online beim Ortsbesuch in Lägerdorf (Schleswig-Holstein). Für sein wichtigstes Projekt muss er trotzdem ganz neu denken, wie in einem Start-up. Ohne Zement funktioniere die Welt nicht, schließlich "muss auch die Energiewende gebaut werden", wie er sagt. "Zugbrücken oder Fundamente von Windkrafträdern gibt es nicht ohne Zement."

Arne Stecher ist Leiter Dekarbonisierung von Holcim Deutschland, der Mutterkonzern ist einer der größten Zementproduzenten der Welt. Seit 160 Jahren gibt es das Werk im Norden von Hamburg, gebaut auf einem großen Kreidevorkommen, das den Rohstoff für die Zementherstellung liefert. Allein in Lägerdorf werden jährlich 1,3 Millionen Tonnen CO2 emittiert, fast so viel wie auf ganz Malta.

Pro Tonne Zement etwa 600 bis 700 Kilogramm CO2

Die Zementindustrie hat einen entscheidenden Nachteil gegenüber anderen Branchen, wenn es darum geht, Treibhausgase zu vermeiden: Andere könnten ihre Prozesse oder Produkte so anpassen, dass so gut wie alle Emissionen eingespart werden können, sagt Stecher. Beim Zement gehe das nicht. Denn er besteht aus mindestens 80 Prozent Calcium und das gibt es in Kreide oder Kalkstein nur in Kombination mit Kohlendioxid.

Durch das Brennen der Stoffe im 2.000 Grad Celsius heißen Ofen bekommt der Zement seine bindenden Eigenschaften, die ihn im Beton verrührt zum Kleber der Bauindustrie machen. Pro Tonne Zement werden dabei etwa 600 bis 700 Kilogramm CO2 freigesetzt. Eine katastrophale Bilanz angesichts der Pariser Klimaziele, das weiß man auch bei Holcim. "Schließlich müssen auch wir bis 2045 emissionsfrei arbeiten, zudem wird der Ausstoß durch den Zertifikatehandel immer teurer", erklärt Stecher.

"Müssen das CO2 als Produkt für andere Industrien verstehen"

Fossile Brennstoffe wie Kohle oder Gas machen beim Befeuern des Ofens in Lägerdorf nur noch 20 Prozent aus, Alternativen wie Abfallstoffe müssten aber aufwendig sortiert und teuer eingekauft werden. Doch der Großteil der Emissionen kommt eben aus dem Rohstoff. "Der große Hebel ist und bleibt ein anderer Umgang mit dem CO2, das wir nicht vermeiden können", betont Stecher immer wieder.

Holcim wolle ein "first mover" sein und langfristig investieren – an den Standort sei man aufgrund des großen Kreidevorkommens sowieso gebunden. "Nur so können wir unsere Zukunft sichern, auch wenn wir ein immenses Risiko eingehen." Herzstück der Vision in Lägerdorf ist eine neue Ofenlinie, die mehrere hundert Millionen Euro kosten wird. Doch bei dem neuen Ofen bleibt es nicht: Das Vorhaben bei Holcim ist nur ein Teil einer industriellen Kooperation an der Westküste Schleswig-Holsteins. "Wir müssen das CO2 langfristig als Produkt für andere Industrien verstehen, nicht als Abfall."

Treibhausgas wird Teil einer Kreislaufwirtschaft im Norden

Der neue Ofen von Thyssenkrupp soll bis 2029 in Betrieb gehen und nutzt das sogenannte Oxyfuel-Verfahren. Beim Brennprozess soll reiner Sauerstoff statt wie bisher Umgebungsluft verwendet werden. Der reine Sauerstoff soll von Partnern in der Region mittels Elektrolyse aus Wasser gewonnen werden, dabei würde auch anderweitig nutzbarer Wasserstoff entstehen. Grün wird das ganze Verfahren, weil die Elektrolyse mit Strom aus Wind von der Nordseeküste betrieben wird.

"Wir haben hier in der Region einmalige Voraussetzungen für eine optimale Sektorenkopplung", erklärt Stecher. "Wir haben Wind für grünen Strom. Es gibt uns, die CO2 verursachen. Und wir haben die petrochemische Industrie, die unser reines CO2 langfristig nutzen will." Im Hafen von Brunsbüttel gebe es zudem die Logistik, im nahegelegenen Hemmingstedt eine Raffiniere. Das CO2 vom Zement könnte zu Methanol verarbeitet und zu Kraftstoffen aufbereitet werden oder als Grundstoff in der Kunststoffindustrie genutzt werden. Dieser Ansatz, die Abscheidung und Nutzung von Kohlendioxid (CCU), "wird langfristig gesehen ein unverzichtbarer Bestandteil für zukünftiges Wirtschaften sein", sagt auch das Umweltbundesamt.

Holcim bei Hamburg: Bedarf ist da, wenn auch nicht sofort

"Klar ist, die 1,3 Millionen Tonnen, die wir hier ausstoßen, werden nicht von heute auf morgen gebraucht werden", stellt Stecher klar. "Es geht um eine Transformation einer ganzen Industrieregion." Er rechnet vor: "Die Zementindustrie in Deutschland emittiert mehr als 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, die chemische Industrie hat einen Bedarf an hochreinem Kohlendioxid von 40 Millionen Tonnen." An anderen Standorten müsse das CCS-Verfahren herhalten, also die Abscheidung und langfristige Speicherung von CO2 in alten Öl- oder Gaslagerstätten. In Lägerdorf soll eine Zwischenlagerung unter der Erde nur eine Übergangslösung sein.

"Wir brauchen von der Politik zügig Anreize für nachhaltigen Zement in öffentlichen Ausschreibungen, sowie schnellstmöglich regulatorische Rahmenbedingungen für den Transport und Nutzung von CO2", fordert Stecher. Wegen der hohen Investitionen müsse es langfristig günstiger werden, CO2 zu vermeiden als zu emittieren. Das von der Bundesregierung geförderte Reallabor-Projekt "Westküste100" habe erfolgreich gezeigt, dass eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft möglich sei. Ab 2026 soll die neue Ofenlinien gebaut werden. In der Region seien Investitionen von fünf Milliarden Euro notwendig.

"Wir haben die optimalen Bedingungen für ein globales Pilotprojekt", sagt Stecher. Es gebe zwar auch Holcim-Wettbewerber, die darauf hinarbeiteten, "aber wir denken, dass wir ziemlich weit vorne sind". Gute Aussichten für den Standort in Lägerdorf, wo es noch genügend Kreide für Jahrzehnte gibt.

Verwendete Quellen
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