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Das vergessene KZ in Hamburg-Wandsbek: Wo Nazis 500 Frauen zur Arbeit zwangen


In Hamburg-Wandsbek
Fast vergessen: Hier hängten Nazis eine 18-Jährige

  • Nina Hoffmann
Von Nina Hoffmann

Aktualisiert am 29.08.2023Lesedauer: 4 Min.
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Gasmasken im Krieg (Symbolfoto): Rund 500 Frauen stellten sie in Zwangsarbeit in Wandsbek her. (Quelle: imago stock&people/imago images)

Rund 500 Frauen verrichteten zwischen 1944 und 1945 Zwangsarbeit in Hamburg-Wandsbek. Viele Menschen haben ihr Andenken mit Füßen getreten.

Reihenhäuser, viel Grün, Beschaulichkeit – und ein vergessener Galgen: Die Wohnsiedlung "An der Rahlau" liegt idyllisch, birgt jedoch eine schreckliche Geschichte. Denn die Nazis hängten an diesem Ort vor 79 Jahren die damals gerade erst 18-jährige Raja Ilinauk. Ein Rückblick auf das Schicksal von rund 500 Frauen, die in Wandsbek zur Arbeit gezwungen und gequält wurden – und trotzdem zusammenhielten.

"Als wir um 6 Uhr aus der Fabrik zurückkehrten, stand der Galgen vor unserer Baracke. Einen Tag nach diesem schrecklichen Erlebnis brach ich zusammen" – Erinnerungen wie diese hat unter anderem die frühere Gefangene Nada Verbič mit Stefan Romey geteilt. Er erforscht seit den Achtzigerjahren die Geschichte des KZ-Außenlagers in Wandsbek und hat mehrere Bücher darüber verfasst. Damit war der 70-Jährige einer der ersten. Denn: Die Geschichte wurde lange Zeit vergessen.

Hamburg-Wandsbek: Alle mussten bei Tötung zusehen

Im Zweigwerk des Außenlagers mussten von Juni 1944 bis Ende April 1945 mehr als 500 Frauen Gasmasken für das Lübecker Drägerwerk herstellen. Die Gefangenen waren zuvor in dem Konzentrationslager Ravensbrück eingesperrt gewesen. Die Frauen, die extra für die Zwangsarbeit in Wandsbek ausgesucht wurden, waren zumeist "jung und kräftig", beschreibt Romey. Sie stammten überwiegend aus der ehemaligen Sowjetunion.

Am 29. August 1944 wurde in dem Lager Raja Ilinauk getötet. Der Grund: Eine schwere Gussform war ihr heruntergefallen, die SS warf ihr "Sabotage" vor. Dann wurde sie ermordet – vor den Augen ihrer Freundinnen und Mitgefangenen.

Die Bezirksversammlung Wandsbek lädt seit vielen Jahren gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Neuengamme und dem Freundeskreis der KZ-Gedenkstätte Neuengamme jeweils am 29. August zu einer Veranstaltung im Gedenken an die Opfer des KZ Wandsbek ein.

Raja Ilinauk: Wer war die Getötete?

Viel ist über die getötete Frau nicht bekannt, sagt Romey. Informationen über sie seien schwer zu recherchieren, sie fußen vor allem auf teils widersprüchlichen Berichten der Häftlinge. Er gehe allerdings davon aus, dass Raja Ilinauk eine 18-jährige Ukrainerin war.

"Es muss ein schrecklicher Tag gewesen sein", sagt Romey, der mit einigen Frauen für seine Forschung gesprochen hat, über den Tod der jungen Ukrainerin. "Es donnerte, es blitzte und Anwohner aus dem benachbarten Haus schrien und brüllten – so wurde es geschildert", sagt Romey. "Alle mussten antreten und zusehen, wie sie stirbt." Auch deshalb sei es ein Erlebnis gewesen, an das sich alle interviewten Frauen auch Jahrzehnte später erinnerten.

Frauen kehrten an Ort ihrer Gefangenschaft zurück

Heute sind alle Zeitzeugen des Grauens tot. Aber ihre Erinnerungen sind überliefert. Über zwanzig ehemalige Häftlinge kehrten seit den 1980er-Jahren an den Ort ihrer Haft in Wandsbek zurück.

Eine von ihnen war Nada Verbič. In ihrem damaligen Heimatland, dem Königreich Jugoslawien, unterstützte sie nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht die Partisanen ihres Landes. Sie sammelte Sanitätsmaterial, Kleidung und Geld. Im April 1944 wurde sie verhaftet und kam später ins Konzentrationslager Ravensbrück. Von dort wurde sie in das Außenlager Hamburg-Wandsbek des KZ Neuengamme überstellt.

Ihre Erfahrungen über die Zeit in Wandsbek und Ravensbrück schrieb sie bereits kurz nach ihrer Befreiung in den Jahren 1945 und 1946 nieder. Sie schrieb, wie sie für einen Menschenversuch missbraucht wurde, wie sie versuchte, die Arbeit zu sabotieren, und wie die Gefangenen zusammenhielten. Ihr Bericht diente Romey als Forschungsgrundlage.

KZ in Wandsbek: Zeitzeuginnen verhinderten das Vergessen

Nada Verbič sprach 1985 zum ersten Mal in Wandsbek über ihre Zeit im Konzentrationslager. Im Charlotte-Paulsen-Gymnasium trug sie Auszüge aus ihrem Nachkriegsbericht vor.

Über die Frauen, die zurückkehrten, sagt Romey: "Sie haben sich alle gefreut, dass sich jemand der Erinnerung an ihre Geschichte widmet." Manche dieser Frauen hätten gar nicht glauben können, dass sich heute noch Menschen für die damaligen Häftlinge interessierten.

Die Frauen trugen laut Romey wesentlich dazu bei, über die Geschichte dieses Ortes aufzuklären. Ohne die Zeitzeuginnen wären dieser Ort und die dortigen Geschehnisse vergessen.

Treten Anwohner das Gedenken mit Füßen?

Romey kritisiert einige Anwohner, die heute auf dem Gelände des früheren KZ-Außenlagers leben. Viele der Menschen, die in das Baugebiet "An der Ralau" zogen, hätten von der Geschichte dieses Orts vorher nichts gewusst.

"Von diesen Menschen haben nur sehr wenige ein Interesse an der Geschichte und der Aufarbeitung entwickelt", sagt der Autor. Immer wieder habe es das Bestreben gegeben, eine würdige Gedenkstätte zu errichten. Das sei jedoch wiederholt gescheitert, weil sich die Eigentümergemeinschaft dagegen gewehrt habe, erklärt Romey rückblickend.

Zwar habe der Bauträger, nachdem er die Fläche erworben hatte, eine Konstruktion aus Baupfeilern errichtet, die mit Schautafeln versehen wurde. Diese sei jedoch eher einfach gewählt als würdig. Weil sich die Eigentümer querstellten, den Ort des Gedenkens aufzuwerten, wurde schließlich eine zweite Gedenkstätte errichtet.

Auf die Frage, ob sich diese Menschen, die offensichtlich ihr Idyll nicht durch das Geschehene trüben lassen wollen, das Leid der Frauen aus dem KZ womöglich fortsetzen, antwortet Romey: "Die Frauen sind tot, heute können sie nicht mehr leiden. Ihrem Andenken jedoch wird damit Unrecht getan", sagt er. "Ich kann immer noch zeigen, in welchem Vorgarten einst der Galgen von Raja Ilinauk stand." Dass sich manche Menschen, die genau dort leben, nicht dafür interessieren, sei ihm ein Rätsel.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Stefan Romey
  • Auszüge aus dem Nachkriegsbericht von Nada Verbič
  • hamburg.de: "Ein KZ mitten in Wandsbek - Gedenkveranstaltung am 29. August 2023"
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