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Ein Jahr nach Flutkatastrophe an der Ahr: "Ein Trauma, das geht nicht vorbei"


Ein Jahr nach der Flutkatastrophe
Mit dem Regen kommt die Nervosität

Von Tobias Christ

Aktualisiert am 14.07.2022Lesedauer: 5 Min.
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Zerstörung in Erftstadt (Archivbild): Bei Regen werden die Anwohner hier noch immer nervös. (Quelle: Christoph Reichwein (crei) via www.imago-images.de)

Vor einem Jahr zerstörte die Flutkatastrophe ganze Landstriche, 180 Menschen starben. Die Wunden an Erft und Ahr sind noch nicht verheilt.

Die Idylle ist zu Irmgard Schroeter zurückgekehrt. In ihrem Garten, etwa 150 Meter von der Ahr entfernt, plätschert die Teichanlage leise vor sich hin. Rollrasen sorgt für sattes Grün. Irmgard Schroeter sitzt auf ihrer frisch renovierten Terrasse, ab und zu schauen ihre Hunde Hora, Moritz und Lovely vorbei.

Die Schäden, die die Flut in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 bei Irmgard Schroeter angerichtet hat, sind weitgehend beseitigt. Die dunklen Geschichten allerdings lassen sich aus dem kleinen Ort Walporzheim im Ahrtal so schnell nicht vertreiben. In Irmgard Schroeters Vorgarten scheint die Sonne auf einen jungen Baum, der einer 82-jährigen Nachbarin womöglich das Leben rettete.

"Das Wasser kam so schnell, dann stand sie bei mir vor dem Haus und hat sich am Baum festgehalten und der Baum war mit zwei Pfählen befestigt, sodass sie am Rücken noch Schutz hatte", sagt Irmgard Schroeter. Drei Stunden habe die alte Dame so in den Wassermassen gestanden, bis sie sie endlich in ihr Haus ziehen konnte.

Ahrtal: Hinter den Fassaden werkeln immer noch die Handwerker

Ein Jahr nach der Hochwasserkatastrophe ist in Walporzheim auf den ersten Blick nicht mehr viel zu erkennen von den katastrophalen Verwüstungen, die die übergelaufene Ahr nach stundenlangem Starkregen anrichtete. Schlamm, Schutt und aufgetürmte Schrottautos sind längst fortgeschafft, die Infrastruktur funktioniert wieder.

Wer mit Irmgard Schroeter und ihrem Bruder Gerd Mainzer durch das vom Weinbau geprägte Dorf läuft, merkt jedoch, dass es wohl noch lange dauern wird, bis alle Wunden verheilt sind. Die Brücke, über die Irmgard Schroeter immer über die Ahr in den gegenüberliegenden Wald ging, existiert nicht mehr. Fachwerkhäuser müssen mühsam rekonstruiert werden, andere Gebäude sind Abbruchruinen.

In Vorgärten stehen provisorische Öltanks, hinter vielen Fassaden sind noch immer Handwerker im Einsatz. Aber es hat sich viel getan, ein Stück Normalität ist zurückgekehrt. Unter den kaum 700 Bewohnern allerdings werde nichts mehr so sein, wie es mal war, ist sich Gerd Mainzer sicher. "Nach einem Jahr ist einiges wieder ins Lot gekommen, aber mit den Menschen hat die Flut etwas gemacht, das geht auch nicht vorbei, das bleibt."

"Das war unfassbar"

Der 66-Jährige ist in Walporzheim aufgewachsen, er kennt fast jeden hier, mittlerweile wohnt er in Königswinter. An Tag zwei nach der Flut machte er sich auf den Weg zu seiner Schwester, die im Elternhaus der beiden an der Walporzheimer Gildenstraße lebt, in das die Ahr gleich von zwei Seiten eingedrungen war.

"Das war unfassbar", sagt Gerd Mainzer über seine Fahrt ins Chaos: "Du kamst ja gar nicht durch." Für die drei Kilometer von Ahrweiler bis Walporzheim brauchte er eineinhalb Stunden.

Beim Rundgang durch das idyllische Weindorf bleiben Gerd Mainzer und Irmgard Schroeter auch an der Ecke Walporzheimer Straße/Pützgasse gegenüber der Kapelle St. Josef stehen. Hier hätten sich nach der Flutwelle die fortgespülten Autos getürmt, berichten die Geschwister. Ein Anwohner habe hier versucht, einen vorbeitreibenden Menschen aus dem Wasser zu ziehen – vergeblich. Insgesamt habe die Flut im Ort fünf Tote gefordert: "Das ist ein Trauma, das geht nicht vorbei", sagt Gerd Mainzer.

Aufräumen inmitten von Kadavern und Fäkalien

Es scheint, als habe er sich sein Leben lang vorbereitet auf diese Katastrophe, die seine Heimat in Trümmer legte und die das viele Leid, das er beruflich schon erlebt hat, bei Weitem übertraf. Als Polizist im Ruhestand, Leiter der Außenstelle des Weißen Rings im Kreis Ahrweiler, Mitglied des Lions-Clubs und Stadtbeauftragter der Malteser in Bonn brachte er viele Fähigkeiten und Kontakte mit, die in Walporzheim dringend gefragt waren.

Gerd Mainzer baute mit befreundeten Ärzten, Krankenschwestern und Pflegern eine medizinische Station auf, in der Bewohner gegen Tetanus geimpft oder verarztet wurden, wenn sie sich beim Aufräumen im von Öl, toten Tieren und Fäkalien verseuchten Schlamm verletzt hatten.

1.500 Stunden ehrenamtliche Arbeit

Er ging von Haus zu Haus, um Menschen ausfindig zu machen, die noch nichts von der staatlichen Soforthilfe gehört hatten. Er organisierte Spendengelder über den Lions-Club und hielt zusammen mit der Polizei Vorträge, um für betrügerische Absichten von Handwerkern oder vermeintlich freiwilligen Helfern zu sensibilisieren, die nach getaner Arbeit doch die Hand aufhalten.

1.500 Stunden ehrenamtliche Arbeit habe er bisher geleistet, hat Gerd Mainzer ausgerechnet. Nicht uneigennützig allerdings. "Natürlich habe ich etwas davon", sagt er: "Ich mache es, weil es meine Heimat ist, weil ich hier herkomme." Es tue ihm weh, zu sehen, was die Flut in Walporzheim angerichtet hat.

Dokumente, Erinnerungen – alles überschwemmt

In Erftstadt-Blessem im Rhein-Erft-Kreis sitzt Karl Berger an seinem Küchentisch und erzählt von seinem Ruhestand, der bisher kaum stattgefunden hat. 2020 hörte er als bauleitender Kältemonteur auf zu arbeiten. Erst hielt ihn die Pandemie vom Reisen ab, dann kam die Flut.

Über die Kellertreppe lief die Erft in sein Haus, überschwemmte das ausgebaute Untergeschoss komplett und zog sich erst wieder zurück, als das Wasser fünf Zentimeter im Erdgeschoss stand. Karl Berger zeigt im Keller, wo früher sein Büro mit den Aktenschränken und seine Hobbywerkstatt waren, und wo der Bügeltisch stand.

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Vier Körbe voll Akten konnte er noch vor dem großen Wasser in Sicherheit bringen, ein paar Dokumente und Fotos haben Karl Bergers Töchter gerettet, indem sie sie im Garten zum Trocknen auslegten. "Viele Sachen sind aber schwimmen gegangen", sagt Karl Berger. Den kompletten Keller musste er sanieren, zum Glück war er gut versichert.

Bei Regen schaut Karl Berger nach dem Pegelstand

Auch in Erftstadt-Blessem, das durch einen riesigen Erdrutsch an einer Kiesgrube weltweit bekannt wurde, kehrt allmählich der Alltag zurück. Die gröbsten Schäden seien beseitigt, sagt Karl Berger, auch in seinem Haus. Kürzlich sei er mit seiner Frau sogar ein paar Tage im Urlaub gewesen – zum ersten Mal in seinem Ruhestand.

Die Leute im Ort wollten jetzt durchatmen, sagt der 66-Jährige: "Jeder hat seinen Kopf noch so voll." Bei Regen würden viele Blessemer noch immer nervös. Auch er fahre dann mit dem Fahrrad zur Erft und schaue nach dem Pegelstand.

"Wird uns noch zwischen fünf und acht Jahren begleiten"

Karl Berger ist Vorsitzender des Bürgerforums Blessem-Frauenthal. Der Verein habe rund 300.000 Euro Spenden gesammelt und an die am schlimmsten betroffenen Flutopfer im Ort verteilt, dazu kamen Sachspenden im Wert von 30.000 Euro.

Nun engagiert sich Karl Berger für ein Fest, mit dem sich die Blessemer Bevölkerung für die große ehrenamtliche Hilfe bedanken will. "Das private Engagement war um ein Vielfaches höher als das von der öffentlichen Hand", sagt er. Die Organisation der Stadt sei nicht die beste gewesen, bei bürokratischen Problemen habe es zu wenig Hilfe gegeben.

Auch über den riesigen Krater an der Kiesgrube werde kaum informiert. Während die Kiesgrube nicht mehr betrieben werde, solle das erodierte Gelände in eine Auenlandschaft umgewandelt werden. Es gebe noch viel zu tun: "Die Flutgeschichte wird uns noch zwischen fünf und acht Jahren begleiten", vermutet Karl Berger.

Die Flut hat die Menschen zusammengebracht

Trotz des Dauerstresses im vergangenen Jahr: Ans Wegziehen hat der zweifache Großvater und gebürtige Blessemer niemals gedacht. Auch Irmgard Schroeter aus Walporzheim will bleiben. "Ich habe keine Angst vor der nächsten Flut", sagt die 65-Jährige.

Doch die Naturgewalten haben die Menschen im Ort geprägt. "Die Flut hat viele Mauern eingerissen", sagt Gerd Mainzer: "Aber sie hat eben auch die Mauern eingerissen zwischen den Leuten." Der Ort sei enger zusammengerückt: "Man achtet mehr aufeinander."

Auch beim Umwelt- und Klimaschutz setze ein Umdenken ein: "Man hat viele Flächen versiegelt, das wird sicher nicht mehr sein." Man dürfe nicht die Augen verschließen und denken: Morgen wird wieder alles gut, so Mainzer. "Es ist morgen nicht wieder gut."

Verwendete Quellen
  • Gespräche mit Irmgard Schroeter, Gerd Mainzer und Karl Berger
  • Reporter vor Ort
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