Drogenproblem am Neumarkt Ehemaliger Obdachloser: "Es fehlt an Menschlichkeit"

Die Verantwortlichen der Stadt Köln diskutieren, wie es mit dem Neumarkt und der dortigen Drogenproblematik weitergehen soll. Markus, einst obdachlos, vermisst bei der Debatte die Stimme der Betroffenen.
Wie geht es weiter mit dem Neumarkt? Eine Frage, die die Stadtführung und die Bürger gleichermaßen beschäftigt und im Mittelpunkt des aktuellen Wahlkampfes steht.
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion unter dem Titel "Die verwahrloste City" diskutierten Ende Juni die Kölner Stadtdirektorin Andrea Blome, der Kölner Polizeipräsident Johannes Hermanns und Isabel Aplarius-Hanstein vom Kunsthaus Lempertz mit rund 300 Bürgern. Die zentrale Frage des Abends lautete: Kann das Zürcher Modell die Drogenproblematik am Neumarkt lösen? Als Experte referierte Prof. Dr. Michael Schaub aus der Schweiz.
Neumarkt-Politik: "Stimme der Betroffenen fehlt"
Vonseiten der Organisatoren waren alle betroffenen und verantwortlichen Parteien vertreten. Doch das sahen nicht alle so. Während der Veranstaltung, an der auch das Publikum mitdiskutieren konnte, meldete sich Markus (Anm. d. Red.: Nachname soll nicht genannt werden), ein ehemaliger Obdachloser und mittlerweile Führer für alternative Stadttouren in Köln. Für ihn fehlte auf der Bühne eindeutig die Stimme eines Betroffenen, das sagte er auch noch einmal in einem Gespräch mit t-online wenige Tage später.
"Ich hatte den Eindruck, dass es bei der Diskussion nur um die Frage ging, wie die Obdachlosen und Abhängigen am besten vom Neumarkt verdrängt werden können", sagt Markus und weiter: "Ganz nach dem Motto: aus den Augen aus dem Sinn."
"Mein Eindruck ist, dass die Obdachlosen und Drogensüchtigen für die Verantwortlichen der Stadt und der Polizei die alleinigen Schuldigen für die Verwahrlosung sind", moniert der 40-Jährige – obwohl Müll und Kriminalität auch von anderen Bevölkerungsgruppen verursacht würden.
Kombination verschiedener Modelle und Sensibilisierung der Gesellschaft
Doch was rät der einstige Obdachlose, der die Probleme der Straße und auch die Gefahr von Drogen kennt, den Verantwortlichen der Stadt? Geht es nach Markus, braucht Köln eine umfassende Kombination verschiedener bestehender Modelle und eine Sensibilisierung der Gesellschaft. "Für mich ist eine Kombination von allen drei existierenden Modellen, dem Portugiesischen, dem Finnischen und dem Züricher Modell, eigentlich der beste Weg", erläutert er.
Zürcher Modell
Das Zürcher Drogenmodell ist international bekannt für seinen pragmatischen, stadtverträglichen Ansatz. Es fußt auf dem sogenannten Vier-Säulen-Modell: Prävention, Therapie, Schadenminderung und Repression beziehungsweise Regulierung.
Ähnlich wie die Grünen schlägt Markus vor, das leer stehende Kaufhof-Gebäude als zentralen Anlaufpunkt für Drogenabhängige zu nutzen. "Wenn man dieses große Gebäude nehmen würde und dort Psychologen, Sozialarbeiter, Streetworker und einen funktionierenden Sicherheitsdienst arbeiten ließe, könnte man wahrscheinlich die gesamten anderen Drogenkonsumräume schließen", so seine Meinung. Im Innenraum müssten dann der offene Konsum und der Handel von Drogen erlaubt sein.
"Das ganze Konzept müsste auf Rehabilitation und Heilung ausgelegt werden, um den Menschen eine Perspektive über die reine Suchtbekämpfung hinaus zu geben", sagt Markus weiter. Außerdem sollten seiner Meinung nach Menschen mit in die Arbeit eingebunden werden, die selbst Teil der Szene waren oder noch sind. Diese würden das System und die Bedürfnisse der Menschen auf der Straße aus erster Hand kennen.
Besondere Stadttouren helfen, die "andere Seite kennenzulernen"
Ein Anfang wäre laut Markus jedoch schon gemacht, wenn ein Umdenken in der Gesellschaft erfolgen würde. "Man muss der Gesellschaft zeigen, dass Obdachlose und Drogenabhängige nicht der 'Dreck der Gesellschaft' sind", erklärt er. Mit seinen alternativen Stadttouren trägt der 40-Jährige selbst einen Teil dazu bei: "Bei meinen Touren versuche ich Vorurteile abzubauen. Etwa wie die Annahme, alle Obdachlose seien an ihrem Schicksal selbst schuld oder wollten keine Wohnung".
Markus' Stadttouren sind für jeden zugänglich, am meisten würde er sich jedoch wünschen, wenn auch Vertreter der Stadt, der Polizei oder Sozialarbeiter daran teilnehmen würden.
So könnte auf dem einfachsten Weg "die andere Seite" kennengelernt und es könnten auch die Hintergründe der Problematik verstanden werden. "Die meisten Leute haben keine Ahnung, wie sich ein Entzug anfühlt, und sie wissen nicht, warum Menschen überhaupt obdachlos und suchtkrank werden", sagt Markus. "Doch gerade fehlt es erst einmal an Menschlichkeit und Empathie."
- Gespräch mit Markus
- Besuch der Podiusmdiskussion "Die verwahrloste City"
- koeln.trash: "Alternative Stadtführung zum Thema Drogen und Obdachlosigkeit mit Markus"
- bag.admin.ch: "Vier-Säulen-Politik"