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Prozess in Köln: Mutter zu Unrecht wegen Totschlags verurteilt?


Säugling hatte Schädelbruch
Totschlag an Kleinkind in Köln – junge Mutter wehrt sich gegen Urteil

Von Johanna Tüntsch

01.12.2020Lesedauer: 3 Min.
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Eingang am Kölner Landgericht (Symbolbild): In Köln wehrt sich eine junge Mutter wegen des Urteils zum Totschlag an ihrem Kind.Vergrößern des Bildes
Eingang am Kölner Landgericht (Symbolbild): In Köln wehrt sich eine junge Mutter wegen des Urteils zum Totschlag an ihrem Kind. (Quelle: Future Image/imago-images-bilder)

In Köln stirbt ein Kleinkind an den Folgen vieler Verletzungen, die Mutter wird in einem Prozess zu einer Haftstrafe verurteilt. Doch der Fall wird neu verhandelt. Ist der Vater der wahre Täter?

Haben Richter des Kölner Landgerichtes vor zwei Jahren einen folgenschweren Fehler begangen? In einem Revisionsverfahren, das am Dienstag in Köln begonnen hat, wird sich das zeigen. Angeklagt ist eine 25-Jährige, die im Dezember 2018 zu sieben Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Die damals zuständigen Richter sahen es als erwiesen an, dass die junge Frau schuld am Tod ihres Säuglings war. Den Vater hingegen sprachen sie frei. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das Urteil jedoch auf: Zu viele offene Fragen seien in der Verhandlung nicht geklärt worden.

Schon am ersten Prozesstag offenbarte sich eine Reihe tragischer Verstrickungen. Demnach wurde die Angeklagte mit 17 Jahren auf Empfehlung einer Cousine ihrer Mutter mit einem 25 Jahre älteren Fremden verheiratet. Nachdem sie in ihrer Heimat Mädchen im Lesen und Schreiben unterrichtet hatte, musste sie nun mit ihm nach Deutschland gehen, ohne die hiesige Sprache zu sprechen. 2016 brachte sie ihren ersten Sohn zur Welt und ein Jahr später den zweiten. Er war als Frühchen von Anfang an bei schwacher Gesundheit und ist derjenige, dessen Tod Polizeibeamte am 5. März 2018 in Kerpen bei Köln festgestellt haben.

"Dieser Einsatz hat mich traumatisiert"

Hier ergab sich die nächste unglückliche Konstellation, wie sich bei der Vernehmung des ersten Zeugen zeigte. "Ich weiß nicht, warum, aber dieser Einsatz hat mich traumatisiert. Ich bin danach zwei Jahre lang krank gewesen", stellte der Polizeibeamte (54) seiner Aussage voran. Schon als die Eckdaten für den Einsatz eingingen, wurde bei ihm eine Erinnerung wach: "Ich sagte zu meinem Kollegen: Das gibt es doch gar nicht, in dem Haus war vor zwanzig Jahren auch ein plötzlicher Kindstod, und nun schon wieder."

Vor Ort habe er im Schlafzimmer die junge Mutter mit dem Kind im Arm auf dem Bett sitzen gesehen. Sanitäter und Notarzt waren schon da. Laut den Schilderungen der Mutter, die eine Nachbarin übersetzte, hatte das Kind am Vortag gefiebert und war morgens tot aufgefunden worden. Hinweise auf Gewalt habe der Beamte nicht erkannt: "Ich habe mir den Jungen erbeten und ihn kurz selbst auf dem Arm gehalten. Für mich sah er einfach schwach aus, als ob sein Leben einfach dahingegangen wäre." Diese Erkenntnis, die wohl im Nachhinein falsch gewesen sei, habe er dann seinem Kollegen mitgeteilt, der sie entsprechend notierte.

Junge hatte Verletzungen am Körper

Erst andere Polizisten, die noch später eintrafen, dokumentierten mit Fotos, dass der sieben Monate alte Junge an vielen Stellen seines Körpers Hämatome und Verletzungen hatte, die später als Bissspuren diagnostiziert wurden. Auch ein Schädelbruch und eine Hirnblutung wurden festgestellt. "Als mir diese Bilder später in der Verhandlung vorgelegt wurden, dachte ich erst, es ginge um ein ganz anderes Kind. Da wurde mir erst bewusst, dass ich bei diesem Einsatz nicht richtig funktioniert habe."

Die Bilder wurden auch nun wieder im Verhandlungssaal gezeigt, erläutert von einem 55-jährigen Polizisten, der zum zweiten Einsatzteam am Tatort gehörte. Die ganze Zeit über hatte die Angeklagte mit fast regloser Miene und meist gesenktem Blick das Geschehen verfolgt. Als dann jedoch auf einer Leinwand das leere Bettchen ihres Kindes zu sehen war, in dem noch die gelb gemusterte Decke aufgeschlagen lag, und auf den Folgebildern der kleine, leblose Körper, zog sie sich ihren Mundschutz vor das Gesicht, barg den Kopf in den Händen und schluchzte.

"Die Kinder waren das einzig Positive in der Ehe"

"Sie hat sich diese Kinder immer gewünscht. Sie waren das einzig Positive in ihrer Ehe", hatte schon zu Beginn der Verhandlung ihr Verteidiger, Dr. Mario Geuenich, wissen lassen. Es gehe seiner Mandantin nur darum, mit einem neuen Verfahren zu erreichen, dass dokumentiert werde, dass sie nicht die Schuld am Tod des Jungen trage.

"Der BGH hat klar gesagt, wer die Tat begangen hat", so Geuenich. Im Raum steht, dass es der Vater des kleinen Jungen war. Der Freispruch gegen ihn wurde jedoch seinerzeit nicht angefochten und ist somit rechtskräftig. Er kann für die Tat nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden – selbst dann nicht, wenn sich durch die weitere Beweisprüfung herausstellen sollte, dass er sie begangen habe. Das Verfahren wird fortgesetzt.

Verwendete Quellen
  • Besuch des Prozesses
  • Eindrücke vor Ort
  • Eigene Recherchen
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