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Köln: Wie der Stadtarchiv-Einsturz nun der Ukraine hilft


13 Jahre später
Wie der Stadtarchiv-Einsturz nun der Ukraine hilft


Aktualisiert am 16.05.2022Lesedauer: 3 Min.
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Eine Restaurationsassistentin begutachtet ein altes Dokument: 70 Leute arbeiten hier tagtäglich an der Rettung des verschütteten Archivguts.Vergrößern des Bildes
Eine Restaurationsassistentin begutachtet ein altes Dokument: 70 Leute arbeiten hier tagtäglich an der Rettung des verschütteten Archivguts. (Quelle: Meike Böschemeyer/t-online)

Vor 13 Jahren stürzte das Kölner Stadtarchiv ein, Tausende Archivalien wurden verschüttet. Mittlerweile sind die Kölner Restauratoren Experten bei der Rettung von Archivgut – und weltweit nach Katastrophen im Einsatz.

Es ist der 3. März 2009, als der Haustechniker Nadine Thiel und ihre Kollegen aus dem Historischen Archiv in der Severinstraße führt. "Mit dem Gebäude stimmt was nicht", sagt er. Wenige Minuten später stürzt der Komplex ein, tausende Archivalien werden verschüttet. Zwei Menschen sterben.

Es sind Bilder, die um die Welt gingen. Nadine Thiel, die zu diesem Zeitpunkt gerade erst eine Stelle als Restauratorin im Stadtarchiv angetreten hat, begleiten sie jeden Tag. "Der Einsturz und die darauf folgende Restaurierung der Archivalien sind ein Schwerpunkt in meinem Berufsleben geworden", sagt sie heute, dreizehn Jahre später.

Kölner Stadtarchiv heute weltweit im Einsatz

Mittlerweile ist Thiel Leiterin der Abteilung für Restaurierung und Bestandserhaltung im neuen Stadtarchiv am Eifelwall. 70 Mitarbeitende beschäftigen sich hier ausschließlich mit der Sicherung und Restaurierung der beim Einsturz beschädigten Archivalien. "Mittlerweile sind wir Europas größte Papierrestaurierungswerkstatt", sagt Thiel.

Der Einsturz des Stadtarchivs hat sie zu Experten auf dem Gebiet der Bergung und Erstversorgung von Kulturgut gemacht. Nach dem Brand im Nationalmuseum von Rio de Janeiro 2018 berieten Thiel und der stellvertretende Archivleiter Ulrich Fischer die Kollegen vor Ort.

Nach der Flutkatastrophe 2021 halfen sie bei der Bergung und Erstversorgung von Archivalien und Kulturgut im besonders schwer getroffenen Stolberg und im Ahrtal. "Damals haben wir vor Ort einen Notfallcontainer mit Arbeitsplätzen für Restauratoren aufgebaut", erzählt Thiel. "Dort haben wir dann Erste Hilfe für Archivgut geleistet."

Havarie mit schwerwiegenden Folgen

Der Archiveinsturz von 2009 sei ihre "Feuertaufe" gewesen, sagt Thiel, die sie noch bis zur Rente begleiten werde. "Ich schätze, dass wir noch dreißig bis vierzig Jahre brauchen werden, bis alle Archivalien restauriert sind", sagt sie. "Das ist eine Mammutaufgabe, für die wir einen langen Atem und eine gute Strategie brauchen."

Einen Eindruck davon, was Thiel und ihrem Team noch bevorsteht, erhält man bei einem Blick in die Werkstätten. In mehreren Stationen begutachten, reinigen und glätten sie hier verschüttetes Archivgut. Einzelne Schnipsel werden gescannt und in eine Rekonstruktionssoftware geladen.

"Es gibt schon Kartons, die man aufmacht und sich denkt: nö", sagt Restaurierungsassistentin Kathrin Geisler und zeigt auf einen Haufen Papierschnipsel auf ihrer Arbeitsfläche. Sie alle müssen dereinst zusammengesetzt werden.

Archivgut erst eingefroren, dann gefriergetrocknet

Einer der Assistenten holt einen alten Aktenordner aus einer Kiste. Das Papier ist bräunlich verfärbt, aufgequollen und verklebt. "Das hier hat zwei Jahre lang im Grundwasser gelegen", sagt er. Da das Schriftstück vermutlich stark zwischen Trümmern zusammengepresst lag, sei der Erhaltungszustand verhältnismäßig gut.

"Alles, was nass geworden ist, wurde nach der Bergung eingefroren und anschließend gefriergetrocknet", erklärt Thiel. Das gleiche Verfahren kam und kommt auch bei den Archivalien im überschwemmten Stolberg zum Einsatz, ebenso wie nach dem Elbhochwasser 2002.

"Das Einfrieren hält den Zersetzungsprozess auf", sagt Thiel. Das gefrorene Wasser wird beim anschließenden Gefriertrocknen in den gasförmigen Zustand gezwungen und der flüssige Aggregatzustand damit übersprungen. Auf diese Weise kann weiterer Schaden durch Nässe verhindert und das Archivgut bis zur abschließenden Restaurierung eingelagert werden.

Ukrainisches Kulturministerium sandte Hilferuf

Damit in Köln bei Notfällen schneller gehandelt werden könne, gibt es seit 2019 den Notfallverbund für Archive und Museen, dem auch das Kölner Stadtarchiv angehört, berichtet Thiel. "Wir unterstützen uns gegenseitig in Havariefällen, wie etwa in Stolberg."

Als der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann, habe das ukrainische Kulturministerium das Auswärtige Amt um Hilfe gebeten, so Thiel. Dieses wiederum habe die bundesweiten Notfallverbünde, so auch den in Köln, um Unterstützung ersucht.

Kölner Restauratoren demnächst im Ukraine-Einsatz?

Zusammen mit weiteren Hilfsgütern der Stadt sandte man insgesamt acht Tonnen Verpackungen und Materialien zur Rettung und Aufbewahrung von Archivgut aus Köln in die Ukraine.

"Dass wir heute in der Lage sind, anderen Archiven zu helfen, geht letztlich auf die Erfahrung von dem Einsturz zurück", weiß Thiel. In der Ukraine stehe derzeit die Sicherung vor Ort im Vordergrund, sagt sie. "Aber sobald wir mehr helfen können, als Verpackungen zu liefern, werden wir das tun."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Nadine Thiel und Besuch vor Ort
  • Eigene Recherchen
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