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Demo gegen steigende Preise in Leipzig: "Eigentlich muss alles enteignet werden"


"Eigentlich muss alles enteignet werden"

Von Christian Gesellmann

Aktualisiert am 16.10.2022Lesedauer: 4 Min.
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Polizeieinsatz bei einer Demo gegen steigende Preise in Leipzig. An der Veranstaltung nahmen deutlich weniger Leute teil, als erwartet.Vergrâßern des Bildes
Polizeieinsatz bei einer Demo gegen steigende Preise in Leipzig. An der Veranstaltung nahmen deutlich weniger Leute teil als erwartet. (Quelle: Christian Gesellmann)

Linke und rechte Bewegungen haben am Samstag zu Protesten gegen die Energiepolitik der Bundesregierung aufgerufen. Es folgen nur wenige. Bisher.

"Ich bin nicht rechts, ich bin nicht links. Aber ich habe einen Kopf, und ich denke. Und ich sage dir, dafür sind wir 89 nicht auf die Straße gegangen", sagt Rentnerin Monika, wÀhrend sie mit ihrer "West-Freundin" Biggi auf dem Leipziger Innenstadtring lÀuft, und schüttelt mit dem Zeigefinger. Hinter ihnen lÀuft ein Block Autonomer und ruft "Kapitalismus raus aus den Kâpfen!"

Mit dem Aufruf "Jetzt reicht’s! Wir frieren nicht fΓΌr Profite" hat am Samstag erstmals ein neues BΓΌndnis aus mehr als 40 Gruppierungen in Leipzig zu einer Demonstration aufgerufen. Neben den Gewerkschaften und der Linkspartei gehΓΆren dazu Klimaschutzinitiativen wie Fridays for Future oder der Bund Naturschutz, aber auch Mietergemeinschaften, die Poliklinik, die Aktion Antifa sowie Studentengruppierungen, Kommunisten, Pfarrer und sogar der Vorsitzende der Leipziger Gewerkschaft der Polizei.

1.000 statt 10.000 Menschen demonstrieren in Leipzig

Etwa 10.000 erwartete Teilnehmer hatte das Bündnis für die Kundgebung am Augustusplatz und den Zug um den Innenstadtring bei der Stadtverwaltung angemeldet. Die Stadt bereitete sich auf einen Großeinsatz vor, mehrere Hundertschaften der Bereitschaftspolizei, Wasserwerfer und Hamburger Gitter wurden in die Innenstadt gebracht.

Am Ende kamen nach SchΓ€tzung der Organisatoren etwa 4.000 Menschen, laut Polizei waren es eher 1.000. Die meisten Teilnehmer waren deutlich unter dem sΓ€chsischen Durchschnittsalter, gefordert wurden wΓ€hrend des Umzuges unter anderem kostenloser Nahverkehr; hΓΆhere LΓΆhne und Renten, mehr BafΓΆg, niedrigere Mieten; Inflationsausgleich, "eine rote Wende", "eat the rich", "100 Milliarden Euro fΓΌr Bildung und Gesundheit", "Brecht die Macht der Banken und Konzerne" sowie "Alles fΓΌr Alle und zwar umsonst!"

Und warum ist Rentnerin Monika zur Demo gekommen? "Eigentlich muss doch alles enteignet werden. Ob es die KrankenhÀuser sind, das Gas, der Strom, es muss entprivatisiert werden", sagt sie. "Und es müssen auch die Beamten und die Reichen besteuert werden. Es kann doch nicht sein, dass es immer heißt, wir haben kein Geld. Wir haben Geld! Es muss nur umverteilt werden." Eine Bekannte Monikas kommt dazu und ruft: "Und die Sanktionen sind schuld, nicht Russland! Die Sanktionen!" Hinter ihnen ruft der autonome Block: "Kampf dem Kapital, Krieg dem Krieg!"

Demonstrant in Leipzig fordert grundsΓ€tzliches Umdenken

Felix, 34, ist mit seinem vierjΓ€hrigen Sohn Lovis zur Demo gekommen. Er hat nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine das BΓΌndnis "Eltern gegen Krieg und AufrΓΌstung" in Leipzig mitgegrΓΌndet. Von Beruf ist er Pfleger – und er muss aufstocken. "Mein Lohn reicht gerade so fΓΌr die Miete", sagt er.

Das Geld reiche bei ihm zwar hinten und vorne nicht, die drohende Nebenkostenabrechnung sei es aber nicht, was ihn heute hergetrieben hat: "Mir geht es nicht darum, die Reichen zur Kasse zu bitten oder Geld von der Bundesregierung zu bekommen. Wie viele Einmalzahlungen sollen es denn werden? Mir geht es darum, dass wir als Gesellschaft grundsÀtzlich etwas Àndern müssen, damit aus einem Gegeneinander ein Miteinander werden kann." Ein paar verirrte Fans von RB Leipzig drÀngeln sich vorbei, sie wollen zum Stadion, "bloß weg hier!"

"An der Politik muss sich grundsΓ€tzlich was Γ€ndern", sagt auch Bernd Ringel von der Bewegung Leipzig. Sie hat mit dem BΓΌndnis "Jetzt reicht’s" nichts zu tun, im Gegenteil, sie gilt wegen mannigfaltiger personeller Verflechtungen zu rechtsextremen Bewegungen als ebendas: rechts. Wovon Ringel aber nichts wissen will, man sei einfach fΓΌr den Frieden und eine gerechtere Gesellschaft.

Leipziger Slogan: "Dafür sind wir 89 nicht auf die Straße gegangen"

Parallel zur Kundgebung des linken BΓΌndnisses hatte die "Bewegung Leipzig" fΓΌr ihre Veranstaltung auf dem Markt rund 300 Teilnehmer erwartet, es kamen aber deutlich unter 100. "Die Linken haben sich ja jetzt auf unsere Ideen draufgesetzt", erklΓ€rt sich der pensionierte Soldat die geringe Teilnahme und kΓΌndigt die erste Rednerin an. Edith Tust, Rentnerin, nach eigener Aussage "KΓ€mpferin fΓΌr die Rechte Behinderter" und CDU-Mitglied.

"Dafür sind wir 89 nicht auf die Straße gegangen", sagt Tust und kritisiert in einer irren Rede eine Menge, unter anderem, dass die jungen Leute nur noch Party machen wollen. An deren Seite des Marktes hârt man die Fans von Hertha BSC singen, die in einem Brauhaus sitzen. In der Mitte des Marktplatzes scharrt sich eine Gruppe von etwa 30 Kindern um einen Seifenblasenkünstler.

Laut einer reprΓ€sentativen BΓΌrgerumfrage der Stadt Leipzig hat etwa jeder zehnte befragte Haushalt weniger als 850 Euro im Monat zur VerfΓΌgung. Fast die HΓ€lfte der Befragten aus dieser Gruppe gab an, dass ihr Verdienst wΓ€hrend der Pandemie noch weiter geschrumpft ist.

Fast jeder fΓΌnfte Leipziger ist armutsgefΓ€hrdet

Mit weniger als 1.148 Euro gilt man in Deutschland als armutsgefΓ€hrdet, in Leipzig trifft das demnach auf beinahe jeden fΓΌnften Einwohner zu. Dabei ist der monatliche Nettoverdienst in Leipzig auf zuletzt 1.592 Euro leicht gestiegen. Die Schere zu den EinkommensschwΓ€chsten ging parallel dazu jedoch weiter auseinander.

Mit dem Fahrrad ist Thomas Naumann zur Demo gekommen. Gemeinsam mit etwa 100 Radfahrenden war er vom Lindenauer Markt aus aufgebrochen. Gerechnet hatten die Organisatoren mit doppelt so vielen Teilnehmern. Warum so wenige? "Vielleicht weil die Rechten heute auch demonstrieren?", fragt der 56-JÀhrige zurück. Oder sind die Energiepreise doch nicht der ganz große Aufreger?

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Mehr Menschen in Sachsen suchen nach Ideen zum Energiesparen

Die Nachfrage nach Angeboten zur Energieberatung sei bei der sÀchsischen Landesverbraucherzentrale zumindest um 80 Prozent gestiegen, berichtete die "Leipziger Volkszeitung" kürzlich. Energieberatung sei zum Topthema geworden. "Bei den Beratungen nehmen wir teils große Verunsicherung, Sorgen und ZukunftsÀngste wahr", so der Energiereferent der Verbraucherzentrale Lorenz Bücklein.

"Bei den meisten wird die Nebenkostenabrechnung noch nicht angekommen sein", mutmaßt Thomas Naumann. Er ist aktives Mitglied der Linkspartei und hat als EU-Rentner ebenfalls keine Rücklagen für verrückte Gas- und Strompreise. "Das dicke Ende kommt noch."

Verwendete Quellen
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