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Rätsel im Fall Gil Ofarim in Leipzig: Wer ist der unbekannte dritte Mann?


Wer ist der unbekannte dritte Mann?


Aktualisiert am 04.05.2022Lesedauer: 11 Min.
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Fall Ofarim: Die Überwachungsvideos des Leipziger Hotels zeigen, dass bis heute einige Fragen noch offen sind. (Quelle: t-online)

Hat Gil Ofarim den antisemitischen Angriff auf ihn erfunden? Davon ist die Staatsanwaltschaft Leipzig überzeugt. Doch ihre Anklage steht auf wackeligen Füßen – denn die Beweismittel haben eine entscheidende Schwäche.

Als die Leipziger Staatsanwaltschaft Ende März erklärte, die Ermittlungen im Fall Gil Ofarim seien beendet, sorgte vor allem ein Punkt für Aufsehen: Der Musiker Ofarim wurde wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung angeklagt.

Dass das Verfahren gegen einen Mitarbeiter des Leipziger Hotels Westin eingestellt werden würde, war zu erwarten. Ofarim hatte diesen im Oktober beschuldigt, ihn antisemitisch beleidigt zu haben – ein Vorwurf, der sich angesichts der dünnen Indizienlage kaum untermauern lässt. Es steht Aussage gegen Aussage.

Ofarim versus Hotel Westin: Aussage gegen Aussage

Ebenso erwartbar wäre die Einstellung des parallel laufenden Verfahrens gegen Ofarim gewesen, den der Hotelmitarbeiter wiederum wegen Verleumdung angezeigt hatte. Denn auch hier steht nach wie vor Aussage gegen Aussage, harte Beweise sind bisher nicht bekannt.

Doch die Ermittler entschieden anders. Sie werfen Ofarim "falsche Verdächtigung in zwei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit Verleumdung" vor, schrieb die Staatsanwaltschaft Leipzig am 31. März. Das "Geschehen, wie es von Gil Ofarim in seinem veröffentlichten Video geschildert worden ist", habe sich "tatsächlich so nicht ereignet."

Man werde die Ermittlungsergebnisse an das Landgericht Leipzig weitergeben, das nun entscheiden muss, ob es den Prozess gegen Ofarim zulässt oder nicht.

Staatsanwaltschaft Leipzig: "Alles getan, um aufzuklären"

Nach dieser Entscheidung der Staatsanwaltschaft scheint die Sache für viele klar zu sein: Der Sänger habe gelogen, die antisemitischen Angriffe gegen ihn habe es anscheinend gar nicht gegeben.

Doch so klar ist die ganze Sache keineswegs. Die Ermittler jedenfalls hüllen sich in eisernes Schweigen über die Indizien, die dazu geführt haben, Ofarim anzuklagen. "Wir haben das Wesentliche dargestellt und äußern uns nicht zu Einzelheiten", sagt Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz, Sprecher der Leipziger Staatsanwaltschaft, zu t-online.

Seine Behörde hat zu dem Vorfall, der nur einige Minuten dauerte, ein halbes Jahr lang aufwendig ermittelt, mehr als dreißig Zeugen befragt, ein Video-Gutachten in Auftrag gegeben. Schulz zeigt sich erleichtert, dass das langwierige Verfahren nun vorbei ist, natürlich sei man froh, wenn so umfangreiche Ermittlungen abgeschlossen sind, sagt er. "Wir haben alles getan, um aufzuklären."

Auf die Frage, wie man Ofarim eine wissentliche Lüge nachweisen wolle, gibt er jedoch keine Antwort. Viele Fragen in dem komplexen Verfahren sind weiterhin offen. Ob das Landgericht die Anklage überhaupt zulässt, ist keinesfalls sicher. Doch warum sind die Ermittlungen im Fall Ofarim eigentlich so schwierig? Dafür gibt es sieben Gründe.

1. Der unbekannte dritte Mann

Ein entscheidendes Detail im Fall Gil Ofarim ist bis heute nicht geklärt: Wer ist der mysteriöse Hotelgast, der laut Ofarim die ganze Affäre erst auslöste? Die Polizei konnte ihn nicht finden, die Staatsanwaltschaft bezeichnet ihn in ihrem Statement zur Anklageerhebung vom 31. März ganz nebenbei als "einen unbekannt gebliebenen Hotelgast".

Denn eigentlich geht es nicht nur um den bekannt gewordenen Westin-Hotelmitarbeiter "Herrn W.", sondern auch um eben jenen Hotelgast, der laut Ofarim "aus einer Ecke" etwas gerufen habe, was der Sänger als "Pack deinen Stern ein" verstanden habe – gemeint gewesen sei Ofarims Kette mit dem Davidstern. Diese Aufforderung habe der Hotelangestellte dann wiederholt, sagte Ofarim.

Es gibt einen Verdacht, wer diese Person sein könnte – sie zeigt sich an mehreren Stellen auf den Überwachungsvideos des Hotels.

Diese Videos von dem Abend zeigen zwei Szenen: Aufnahmen vom Eingangsbereich draußen vor dem Hotel sowie Bilder aus der Lobby im Inneren des Gebäudes. In der ersten sieht man, wie Ofarim ankommt. Er wird mit einem grauen Kombi gebracht, steigt aus und verabschiedet sich von seiner Fahrerin. Anschließend steht der Sänger mit seinem Gepäck und der Gitarre eine Weile vor der Drehtür des Hotels und sucht seine Maske.

Währenddessen steht direkt neben ihm ein Mann mittleren Alters mit weißer Jacke. Er dampft offensichtlich eine E-Zigarette und beobachtet Ofarims Ankunft sehr interessiert minutenlang aus nächster Nähe. Der Mann schaut anschließend zu, wie Ofarim das Hotel betritt und geht ihm hinterher.

Die Aufnahmen aus dem Inneren des Hotels zeigen den Mann und Ofarim noch einmal, wie sie in die Lobby gehen. Wieder einige Minuten später kommt die Szene am Schalter, von der Ofarim sagt, er habe dem Hotelmitarbeiter berichtet, jemand habe "Pack deinen Stern ein" gesagt. Dabei zeigt Ofarim mehrfach hinter sich auf die Schlange, als wolle er andeuten: Von dort kam der Ruf.

Ein weiterer Kamerawinkel zeigt: Genau dort, wo Ofarim hindeutet, hinter ihm in der Schlange, steht der Mann mit der E-Zigarette, der Ofarim vor dem Hotel so interessiert beobachtet hatte. Darauf folgt ein kurzes, offensichtlich erregtes Streitgespräch zwischen Ofarim und dem Mitarbeiter.

Dieser zuckt mit den Schultern, Ofarim klatscht aufgeregt in die Hände. Dann kommt der Moment, der für Ofarim wohl das Fass zum Überlaufen brachte: Der Hotelmitarbeiter zieht ihm deutlich sichtbar das Anmeldeformular unter der Nase weg, das Ofarim gerade ausfüllen wollte, nachdem er sich beschwert hatte.

Später wird Ofarim aussagen, dass er "generell als Jude diskriminiert werden sollte, so habe ich das empfunden, weil man mich erkannt hat." Wer ist der dritte Mann? War es der Mann in der weißen Jacke? Hat er Ofarim schon vor dem Hotel als den jüdischen Musiker erkannt, der im Fernsehen üblicherweise mit Davidstern auftritt?

2. Die Überwachungsvideos: ohne Ton, unvollständig, von schlechter Qualität

Es gibt etwa zwanzig Minuten Videomaterial von den Vorgängen im Leipziger Hotel Westin und eine Sequenz von 23 Minuten, die sich nach dem Vorfall abspielte und zeigt, wie Ofarim draußen vor dem Hotel sitzt, überlegt, telefoniert und dann das Instagram-Video aufnimmt.

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Das gesamte Material hat eine ganz entscheidende Schwäche: Es gibt keinen Ton. Man sieht also nur Ofarim sowie Gäste und Mitarbeiter des Hotels, wie sie gestikulieren und miteinander interagieren. Wer was gesagt hat, lässt sich mit diesen Aufnahmen unmöglich rekonstruieren.

Da würde auch kein Lippenleser helfen, denn die Lippen erkennt man auf den Videos nicht – was ihre zweite Schwäche offenbart, nämlich die schlechte Aufnahmequalität. Die Frage, ob Ofarim seine Kette mit Davidstern sichtbar getragen hat oder nicht, lässt sich anhand der Videos nicht zweifelsfrei klären.

Diese Frage, um die es lange ging, würde übrigens weniger wichtig, wenn der Hintergrund des E-Zigaretten-Dampfers geklärt werden könnte. Denn dieser könnte Ofarim durchaus schon vor dem Hoteleingang auch ohne seinen Stern erkannt haben.

Zudem beklagte Ofarim in einem Interview mit SternTV im Herbst 2021, dass nicht das gesamte Videomaterial vorhanden sei. Bestimmte Stellen würden in den Aufnahmen fehlen. Es ist ein Vorwurf, zu dem die Staatsanwaltschaft keine Auskunft geben möchte. In eine dieser Lücken könnte der angebliche Ausruf "Pack deinen Stern ein" des bisher unbekannten Hotelgastes fallen.

Doch wir wissen nicht, ob es ihn tatsächlich gab, diesen Ausruf. Und auch die Videos werden diese Frage nicht klären können, denn sie sind ohne Ton.

Doch trug Ofarim überhaupt seinen Stern bei sich, den er in seinem Instagram-Video in die Kamera hält? Ein vom Hotel selbst bestelltes Videogutachten kommt jedenfalls zu dem Schluss, dass der Stern in der Lobby nicht sichtbar gewesen sei – doch getragen haben muss er ihn, das zeigen die Aufnahmen der Überwachungskameras.

Denn Ofarim ist hier vollständig sichtbar, vom Verlassen der Lobby bis zur Aufnahme seines Videos. Ein Überstreifen der Kette mit dem Davidstern ist nicht zu sehen. Ofarim muss sie also die ganze Zeit getragen haben, möglicherweise unter seinem Shirt oder verdeckt durch die Jacke.

3. Der Nachweis einer wissentlichen Lüge ist fast unmöglich

Das größte Problem der nun von der Staatsanwaltschaft verfassten Anklageerhebung ist wohl der zentrale Vorwurf, Gil Ofarim habe "mit dem Wissen um die Unwahrheit seiner Aussagen" den Hotelmitarbeiter verleumdet und diesen später bei der Polizei "wider besseres Wissen auch wegen des Tatvorwurfs der falschen Verdächtigung angezeigt". Ofarim habe also mehrfach bewusst gelogen – einmal in seinem Instagram-Video und ein paar Tage später, als er bei der Polizei Anzeige erstattete.

Nun ist es nicht leicht, jemandem eine bewusste Lüge nachzuweisen – ohne deutliche Beweise. Am Ende gilt immer: Im Zweifel für den Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft hat nach eigenem Bekunden "zahlreiche Zeugen vernommen und einen digitalforensischen Sachverständigen mit der Sichtung und Begutachtung der sichergestellten Videoaufnahmen mehrerer Überwachungskameras im Hotelbereich beauftragt."

Die Videos, zumindest die der Öffentlichkeit bekannten, tragen – das kann man sicher sagen – nicht sehr viel zur Aufklärung des Vorwurfs der Lüge bei. Hauptsächlich deshalb, weil ihnen der Ton fehlt.

Bleiben die Zeugenaussagen. Ob sich aber allein damit nachweisen lässt, dass Ofarim gelogen hat, ist sehr zweifelhaft. Denn man müsste ihm nachweisen, dass er den Ruf aus der Lobby "Pack deinen Stern ein" nicht gehört haben könne – und dass der Hotelangestellte diesen Vorwurf nicht wiederholt habe.

Die vom Hotel beauftragten Gutachter fanden jedenfalls keinen Zeugen in der Lobby, der die Worte gehört hat. Das legt erst mal nahe, dass es sie nicht gegeben hat. Jedoch ist das noch kein Beweis dafür, dass es sie tatsächlich nie gab. Es ist ein Riesendilemma für die Ermittler: ohne Tonaufnahmen nachzuweisen, dass es den Ausruf nicht gab. Aber nur mit diesem Nachweis könnte man Ofarim der wissentlichen Lüge überführen. Das ist der ganze Knackpunkt des Verfahrens.

Hier steht Aussage gegen Aussage, daran hat sich bis jetzt nichts geändert. Und wenn Ofarim kein Geständnis ablegt, wird sich die Sache kaum klären lassen.

4. Großer politischer Druck

Von Anfang an war der politische Druck im Fall Ofarim enorm. Erzeugt wurde er von der anfänglichen Empörung über die Vorwürfe, einer Demo mit 600 Menschen vor dem Hotel Westin und dem Sturm, der durch die sozialen Medien zog. Die "New York Times" und CNN berichteten, der damalige Außenminister Heiko Maas (SPD) habe geschrieben, er sei "fassungslos".

Auch sächsische Spitzenpolitiker gaben frühe Statements ab, die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) und Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) äußerten deutlich ihre Empörung. Leider stellten sie aber Ofarims Vorwürfe als Fakten hin, gaben seine Kolportage als Tatsache weiter, forderten Konsequenzen und Entschuldigungen. Solche Äußerungen waren angesichts der Faktenlage unklug. Und schon kurze Zeit später kamen sie daher zurück wie ein Bumerang.

Dulig schrieb auch: "Wir haben noch viel zu tun in Sachsen." Dieser und ähnliche Kommentare gaben dem Konflikt einen neuen Dreh, denn nun fühlte sich halb Sachsen beleidigt. Es gibt in Sachsen eine starke Fraktion konservativer Politiker, denen der Ruf des Freistaates über alles geht und die genervt sind vom Bild des Sachsen als rechtem und wenig tolerantem Zeitgenossen.

Trotzdem war der Einstieg der sächsischen CDU in die Zweifel an Ofarims Darstellung zunächst vorsichtig. Man solle die Ermittlungen abwarten, schrieb Innenminister Roland Wöller (CDU).

Klar war aber auch, dass damit die Hoffnung verbunden wurde, der ramponierte Ruf des Freistaates möge unter den Ergebnissen nicht leiden. Hinter den Kulissen jedoch stieg der Druck hinsichtlich einer Entlastung der sächsischen Seele von den Vorwürfen.

Er entlud sich schließlich in einem recht wilden Statement des mächtigsten Politikers des Landes, Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Der hatte sich zunächst weise zurückgehalten – stieg aber Ende März mit einer stark umstrittenen Nachricht auf Twitter voll ein – auf der anderen Seite: "Das Schlimmste ist, jemanden als Antisemit zu bezeichnen. Dies für Falschaussagen und Verleumdung zu missbrauchen, ist schockierend und zutiefst verachtenswert", schrieb Kretschmer noch am Tag der Bekanntgabe des staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnisses.

Kretschmer beging hier denselben Fehler wie zuvor seine Kollegen: Er ignorierte die Unschuldsvermutung und stellte die Ergebnisse der Ermittlungen als Fakten dar. Jedoch sind diese Ergebnisse offenbar wackelig – und vor einem gerichtlichen Urteil nicht geeignet, den Fall abschließend bewerten zu können.

5. Blockbildung in der Öffentlichkeit

Der Fall Ofarim wurde damit sehr schnell zu einer "Frage der Ehre", um es einmal prosaisch auszudrücken: Auf der einen Seite steht der Sachsenstolz in Politik, breiten Teilen der Bevölkerung und bei einigen Medienschaffenden. Auf der anderen Seite steht der Kampf gegen Antisemitismus, der in Deutschland ganz besonderes Gewicht hat – und die Hoffnung, dass dieser Kampf nicht durch eine falsche Bezichtigung geschwächt wird.

Die Vorzeichen haben sich dabei schnell umgekehrt: Spätestens nach der Weitergabe des hotelinternen Untersuchungsberichts an die Leipziger Dependance der "Zeit" Ende Oktober waren die Ofarim-Zweifler in der Offensive. Für viele Kommentatoren in den sozialen Medien war jetzt alles klar – und wie so häufig in solchen Fällen brach sich offener Antisemitismus Bahn.

Doch auch seriöse Medien ergriffen mehr oder weniger deutlich Partei, allen voran die "Leipziger Volkszeitung", die am Tag nach der Anklageerhebung den Leipziger Westin-Chef im großen Aufmacher zitierte: "Uns war immer klar, dass die Anschuldigungen erstunken und erlogen sind."

6. Eine extreme Fallhöhe für beide Parteien

Vor allem durch das riesige öffentliche, sogar internationale Interesse ist die Fallhöhe für beide Parteien in dieser Geschichte enorm: sowohl für Gil Ofarim wie auch für das Hotel Westin und den dahinterstehenden, internationalen Konzern Marriot.

Dass es hier für beide um alles geht, erschwert eine leise Einigung, sollte es sich tatsächlich nur um ein Missverständnis gehandelt haben. Denn die enorme Fallhöhe motiviert beide Parteien, nach Möglichkeit als zweifelsfrei unschuldig aus der Angelegenheit hinauszugehen.

Seit die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Hotelmitarbeiter eingestellt hat, scheint das Westin rehabilitiert zu sein – aber der Weg dahin war lang – und das lässt durchaus vermuten, dass die Ermittlungen und die öffentliche Meinung ganz entscheidend beeinflusst wurden.

Denn die Betreiber des Westin gaben noch im Oktober bei der Anwaltskanzlei Pauka und Link ein Gutachten in Auftrag, das den Vorfall im Hotel untersuchen sollte. Es kam zu dem Schluss, dass die Anschuldigungen Ofarims zweifelhaft, wenn nicht sogar falsch seien. Wäre die Fallhöhe nicht so groß, hätte die Firma keinen mehr als 170 Seiten umfassenden Bericht erstellen lassen.

Zumindest eigenartig wäre, sollten sich die Gerüchte bewahrheiten, dass die Staatsanwaltschaft privaten Ermittlern Einblick in ihre Ermittlungen gewährt hat. Fest steht aber, dass die Weitergabe des privaten Gutachtens an bestimmte Medien den öffentlichen Diskurs zugunsten der Partei Westin und Marriot drehte.

Gil Ofarim hingegen reagierte auf die neuen Entwicklungen in dem Fall zunächst mit Flucht aus der Öffentlichkeit und den sozialen Medien. Eine Woche nach der Leipziger Anklage reaktivierte er seine Profile im Internet aber wieder. Im Rahmen des TV-Events "Die Passion" war er im April sogar im Fernsehen zu sehen.

Trotzdem geht es für ihn jetzt um alles. Denn sicherlich hätte sich die Karriere des Musikers erledigt, sollte er tatsächlich wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung verurteilt werden. Zudem drohte ihm im Falle eines Schuldspruchs ein Zivilprozess, der hohe Schadenersatzzahlungen nach sich ziehen könnte.

Aber es könnte noch schlimmer kommen: Am härtesten wäre wohl der persönliche Schaden, denn Gil Ofarim stammt aus einer berühmten jüdischen Familie. Sein Vater Abi Ofarim, geboren in Tel Aviv, war als Sänger international bekannt.

Der Vorwurf, Gil Ofarim habe eine Beschuldigung wegen Antisemitismus missbraucht, träfe schwer. Ofarim bezeichnet sich zwar selbst als säkularen Juden, zeigt aber immer wieder seine tiefe Identifikation mit dem Judentum.

7. Die aufgeheizte öffentliche Diskussion – und ein lokalpatriotisches Sentiment

Wenn auch im Fall Ofarim wenig völlig klar ist – eins ist absolut sicher: Das öffentliche Interesse an dem Fall ist gigantisch. Der Grund dafür heißt Antisemitismus. Im Fall Ofarim mischt sich dieses große Thema noch mit einer ganz besonderen Spielart der Heimatliebe, nämlich dem Sachsenstolz.

Zumindest vor Ort ist deutlich spürbar, dass die Vorwürfe Ofarims an zwei Einzelpersonen in einem Hotel sehr bald als Beleidigung eines ganzen Bundeslandes empfunden wurden. An welchem Punkt das eigentlich geschah, ist wohl nicht mehr zu klären.

Zweifellos hatte dieses Sentiment aber Einfluss auf die Wahrnehmung der Ermittlungen – und vielleicht auch auf Entscheidungen, die innerhalb der Behörden getroffen wurden. Klar ist zudem, dass ein derart großes Interesse bei gleichzeitig dünner Faktenlage die behördlichen Ermittlungen deutlich erschweren kann. Und auch die Arbeit bei Gericht wird durch eine große Öffentlichkeit und Vorverurteilungen von prominenter Stelle nicht einfacher.

Denn es liegt eine große Last auf den Schultern der Justizmitarbeiter. Im schlimmsten Fall kommt der Druck gleichzeitig von der Politik, der Presse und der Massenkommunikation in den sozialen Medien. Und im allerschlimmsten Fall entsteht er durch Blockbildung auch noch von den Unterstützern beider Parteien.

Dies alles kommt im Fall Ofarim zusammen. Und das macht die besondere Qualität in der Untersuchung der Vorfälle vom 4. Oktober 2021 im Leipziger Hotel Westin aus.

Für die Leipziger Staatsanwaltschaft ist die Sache jedenfalls erledigt. Das weiß auch Oberstaatsanwalt Schulz: "Unser Part ist abgeschlossen", sagt er. "Jetzt liegt alles in den Händen des Landgerichtes."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefonat mit der Staatsanwaltschaft Leipzig
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