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Kita-Streik | Erzieherin: "Ohne Zweitjob geht es nicht"


Streiks im öffentlichen Dienst
Erzieherin erzählt: "Ohne Zweitjob geht es nicht"


Aktualisiert am 09.03.2023Lesedauer: 4 Min.
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Eine Erzieherin liest in einer KitaVergrößern des Bildes
Eine Erzieherin liest in einer Kita (Symbolbild): Mehr Kinder, weniger Fachpersonal. (Quelle: Julian Stratenschulte/Archiv/dpa)

Kitas streiken – eine Erzieherin erzählt t-online aus ihrem Berufsalltag. Sie arbeitet zusätzlich an der Supermarktkasse, um über die Runden zu kommen.

Arbeiten bis zum Umfallen: Über 40 Stunden in der Kita und dann noch an die Supermarktkasse – eine Erzieherin aus München berichtet von harten Arbeitsbedingungen in einem Beruf, den sie liebt.

Miriam Lachner (Name von der Redaktion geändert) hat nicht gestreikt am Mittwoch. Denn "am Ende sind es die Kinder, die darunter leiden", sagt sie im Gespräch mit t-online. Lachner möchte anonym bleiben, um ihren Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Ihr vollständiger Name und Belege für ihre Angaben liegen der Redaktion vor.

Obwohl sie selbst nicht streikt, versteht Lachner ihre Kolleginnen und Kollegen, die die Arbeit niederlegen und auf die Straße gehen. "Trotzdem ist es traurig, dass es so weit kommen muss", sagt sie. Schlechte Bezahlung, Personalmangel und Stress haben Erzieherinnen und Erzieher am Mittwoch in München und ganz Bayern zum Streiken getrieben.

In Bayern fehlen im Jahr 2023 beinahe 62.000 Kitaplätze, das hat die Bertelsmann Stiftung im Oktober vergangenen Jahres gemessen am Betreuungsbedarf berechnet. Es gibt nicht genügend ausgebildete Erzieher. Die Gründe dafür sind zahlreich: Schon die Ausbildung sei schlecht vergütet, so Lachner. Der Beruf werde oft belächelt und kaum wertgeschätzt, die Arbeitsbelastung steige, während das Personal knapper wird.

Verdi fordert aktuell 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat für die bundesweit 2,5 Millionen Beschäftigten von Bund und Kommunen. Mehr Geld könnte Druck aus der Debatte nehmen, das eigentliche Problem löst es nicht. Denn das Personal, das für Entlastung sorgen könnte, fehlt jetzt.

Nach der Kita noch Schichten im Supermarkt

Allerdings würde ein höherer Lohn auch Lachners Situation verbessern. Sie ist ausgebildete Erzieherin in einer Leitungsposition und hat seit einiger Zeit einen Nebenjob. Nach achteinhalb Stunden in der Kita schiebt sie Schichten im Supermarkt. Ohne Nebenerwerb könnte sie sich keinen Urlaub leisten, sagt Lachner. Jetzt erst recht nicht mehr, weil alles so teuer geworden ist. Wenn sie nach einem Tag in der Kita und im Supermarkt nach Hause komme, ertrage sie nicht mal mehr Musik. "Ruhe, nur noch Ruhe" brauche sie abends.

"Ich brauche abends nur Ruhe"

Lachner erzählt das sachlich. Auf die Frage, ob sie nicht erschöpft sei, antwortet sie: "Es ist echt hart, aber so ist es eben, wenn ich meinen Lebensstandard einigermaßen halten will." Während Freunde essen oder etwas trinken gehen, will Lachner sich einfach nur hinlegen.

Im Schnitt verdienen ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher 3.000 Euro brutto im Monat. Aufstiegschancen gibt es in der Branche kaum. Die hohe Arbeitsbelastung steht der geringen Wertschätzung des Berufs in der Gesellschaft gegenüber. "Mein Job wird nicht ernst genommen", sagt Lachner. Immer wieder höre sie Sätze wie "ach, du hast doch den ganzen Tag gespielt".

Der Deutsche Kitaverband kennt dieses Problem. In einem Positionspapier schreibt der Verband: "Eine gute Kinderbetreuung zeichnet sich nicht nur durch die unmittelbare Arbeit mit den Kindern aus. Genauso wichtig ist die konzeptionelle Arbeit (...), die Vor- und Nachbereitung für die Erzieherinnen sowie der professionelle Austausch und Beratung der Fachkräfte untereinander."

Kollegin hat Hörsturz erlitten

"Es fehlt an Aufklärung über den Beruf", meint Lachner. Es sei nicht wie im Büro, wo man mal zehn Minuten abschalten oder in Ruhe einen Kaffee holen könne. "Ab der Sekunde, in der ich die Kita betrete, fordern die Kinder meine volle Aufmerksamkeit. Mal kurz nicht aufpassen, gibt es in dem Job nicht." Hinzu komme der Lärmpegel. Eine junge Kollegin von Lachner habe noch vor dem dreißigsten Lebensjahr einen Gehörsturz erlitten. Dass der Lärm in Kitas krank machen kann, belegen Berichte. Das Deutsche Ärzteblatt weist in einem Bericht darauf hin, dass in Spielphasen das für das menschliche Ohr gesunde Dezibel dauerhaft überschritten wird.

Die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) betonte: "Kita-Fachkräfte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Sozialbranche müssen angemessen bezahlt werden. Es ist ihr Recht, eine bessere Bezahlung über Streiks einzufordern." Gleichzeitig appellierte sie "an alle Beteiligten, den Bogen nicht zu überspannen und am Verhandlungstisch im Sinne der Kinder und Familien schnell zu einer Einigung zu kommen". Bayerns Familien bräuchten eine verlässliche Kinderbetreuung.

Kita-Teams an der Belastungsgrenze

Die Kita-Teams arbeiteten an der Belastungsgrenze, schreibt der Deutsche Kitaverband. Allein in München seien derzeit mindestens 200 Kitas von Gruppenschließungen betroffen. Darunter leide die Qualität in den Einrichtungen. Und am Ende sind es wieder die Kinder, die die Versäumnisse der Politik ausbaden müssen.

Auch in Lachners Einrichtung fehlt Fachpersonal. Quereinsteiger, Praktikanten könnten das nicht ausgleichen. Nicht umsonst dauere die Erzieherausbildung mehrere Jahre, sagt Lachner. Einfach die Ausbildung zu verkürzen, hält sie für falsch. Man müsse schon die Ausbildung besser bezahlen.

Während sie redet, hört man, dass ihre Stimme belegt ist. "Die Eltern bringen regelmäßig ihre kranken Kinder zur Kita", sagt sie. Sie ist angeschlagen, mal wieder.

Verwendete Quellen
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