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München: Autofreie Zone? Bürger ziehen vor Gericht und erzielen Teilerfolg


Rollrasen statt Parkplätze
Straße ohne Autos? Einigung vor Gericht


Aktualisiert am 11.10.2023Lesedauer: 4 Min.
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Wo früher Autos durchfuhren, wurde Rollrasen verlegt und Blumenkübel wurden aufgestellt. Der Versuch in der Kolumbusstraße kam aber nicht bei allen Anwohnern gut an.Vergrößern des Bildes
Wo früher Autos durchfuhren, wurde Rollrasen verlegt und Blumenkübel wurden aufgestellt. Der Versuch in der Kolumbusstraße kam aber nicht bei allen Anwohnern gut an. (Quelle: Patrik Stäbler )

Rollrasen statt Autos, Hochbeete statt Parkplätze: Ein Pilotprojekt zur Verkehrswende beschäftigte am Mittwoch die Justiz. Eine Entscheidung gibt es auch.

In wenigen Tagen geht der Sommer in der Unteren Au aus Verkehrssicht zu Ende. Dann beginnt der Abbau der XXL-Sommerstraße, die in den vergangenen Monaten so hitzig diskutiert wurde wie kein anderer Verkehrsversuch in München. Bis Ende Oktober sollen die Sitzmöbel und Hochbeete sowie der Rollrasen und die Sandfläche in der Kolumbusstraße verschwinden. Danach werden dort wieder Autos das Bild prägen – so wie vor dem Umbau Mitte Juni.

Nur noch wenige Tage, dann ist das Pilotprojekt also beendet – trotzdem beschäftigt die Sache am Ende auch noch einmal die Justiz. Das Verwaltungsgericht München verhandelte am Mittwochnachmittag über zwei Klagen von Anwohnerinnen und Anwohnern, die sich gegen die Sperrung der Kolumbusstraße in der Unteren Au sowie der Landlstraße in Obergiesing richten.

Am Ende der rund zweistündigen Verhandlung einigten sich beide Seiten auf einen Vergleich. Der Pilotversuch zur Verkehrswende in der Kolumbus- und Landlstraße wird bereits am 25. Oktober enden – eine Woche früher als vom Rathaus geplant. Die klagenden Anwohner bewerten diesen Vergleich als Erfolg für sich. "Wir sind mit dem Vergleich sehr zufrieden", sagte Steffen Winkels, einer der Kläger. Den Vergleich vorgeschlagen hatte der Vorsitzende Richter Dietmar Wolff. Er sagte: „Auch wenn das nur eine gewisse Symbolik hat, so ist der Vergleich doch gesichtswahrend für beide Seiten."

Hohe Wellen bis ins Büro des Oberbürgermeisters

Diese Klagen waren das i-Tüpfelchen auf einer Debatte, die stadtweit Wellen geschlagen hat – bis hinauf ins Oberbürgermeisterbüro von Dieter Reiter, der sich mit dem Thema ebenfalls beschäftigen musste. Dabei handelt es sich bei dem umstrittenen Verkehrsversuch streng genommen gar nicht um eine Sommerstraße, wie sie die Stadt seit einigen Jahren in verschiedenen Vierteln ausweist. Was hier so viel Aufregung auslöste, ist ein dreijähriges Forschungsprojekt unter Federführung der Technischen Universität München (TUM) namens "Autoreduzierte Quartiere für eine lebenswerte Stadt", kurz AQT.

Dessen Ziel ist es, zu untersuchen, "wie wir im urbanen Kontext unser Verkehrsverhalten als Gesellschaft verändern können", sagt Oliver May-Beckmann. Will heißen: wie man den Straßenraum in der Stadt neu aufteilt, damit Autos und Asphalt zurückgedrängt und durch mehr Platz für Mensch und Natur ersetzt werden. Oliver May-Beckmann ist Geschäftsführer des "Münchner Cluster für die Zukunft der Mobilität in Metropolregionen" an der TUM, das unter anderem mit 45 Millionen Euro Fördergeldern vom Bund erforscht, wie die Mobilität von morgen aussehen könnte.

Verkehrsprojekt: Sitzmöbel und Hochbeete in Obergiesing

Eines seiner 14 Einzelprojekte ist das AQT, an dem weitere Partner wie das Rathaus, die Stadtwerke München und mehrere Firmen beteiligt sind. Das "Herzstück" dieses Forschungsvorhabens ist ein knapp fünfmonatiges "Reallabor", sagt May-Beckmann. Genauer gesagt sind es sogar zwei Gebiete in München, die TUM-Forscher im Juni umgestaltet haben, um zu beobachten, wie die Anwohnerinnen und Anwohner darauf reagieren.

Zum einen sperrten sie in Obergiesing einen Teil der Landlstraße, stellten dort Sitzmöbel und Hochbeete auf und richteten zwei Mobilitätspunkte zum Ausleihen von E-Rollern, E-Bikes und Carsharing-Autos ein. Dieser "mildere Eingriff", so formuliert es AQT-Projektleiter Marco Kellhammer, habe zu weniger Konflikten und Problemen geführt – aber auch zu weniger Aufmerksamkeit.

Rollrasen und ein XXL-Sandkasten in der Kolumbusstraße

Anders in der Unteren Au: "Dort gab es mehr Veränderung", sagt Kellhammer, "und stärkere Reaktionen". Was freilich noch eine zurückhaltende Umschreibung ist. Im Zentrum dieses Reallabors stand die Kolumbusstraße. Sie wurde auf einer Länge von 50 Metern gesperrt, wodurch 41 Parkplätze wegfielen. An deren Stelle wurden Rollrasen aus- und ein XXL-Sandkasten angelegt sowie Hochbeete, Pavillons und Sitzgelegenheiten aufgestellt.

Überdies entstanden rund um die Kolumbusstraße drei Mobilitätspunkte und zwei Quartiersplätze als Treffpunkt für die Nachbarschaft, wofür weitere 60 Parkplätze weichen mussten. Was zuvor eine grautriste Straße für stehende und fahrende Autos gewesen war, wurde so zu einer grünen Oase – so sehen das die Befürworter des Projekts.

Fehler werden eingeräumt: Kommunikation mit den Bürgern

Zwar stehe die wissenschaftliche Auswertung der Befragungen und Beobachtungen sowie des reichhaltigen Feedbacks noch aus, sagt Kellhammer. Aber ersten Eindrücken zufolge seien gerade die Quartiersplätze und die Hochbeete sehr gut angekommen. "Viele Menschen haben ihr Wohnumfeld wieder für sich entdeckt", sagt der Projektleiter. "Die Flächen sind stark genutzt worden, was ein Zeichen dafür ist, dass es einen Bedarf dafür gibt." Zugleich räumt Marco Kellhammer ein, dass manches auch nicht gut gelaufen sei – etwa die Kommunikation mit den Bürgern.

"Wir hatten den Anspruch, alle Anwohner zu erreichen. Aber das ist uns in der ersten Phase definitiv nicht gelungen." Oder wie es Steffen Winkels kurz nach dem Projektstart ausdrückte: "Die Anwohner wurden nicht angehört. Wir wurden umgangen, das hatte nichts mit Demokratie zu tun." Winkels, der selbst nicht in der Kolumbus-, sondern in einer Nebenstraße wohnt, ist einer der lautstärksten Kritiker des Verkehrsversuchs.

Liste mit 70 Projektgegnern überreicht

Ende Juli überreichte er eine Liste mit mehr als 70 Unterschriften von Projektgegnern an SPD-Stadträtin Anne Hübner. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Pilotversuch längst auch im Rathaus kontrovers diskutiert. So forderte die CSU-Fraktion – letztlich erfolglos – eine Abstimmung über das "Sommer-Chaos an der Kolumbusstraße", so Stadtrat Hans Hammer. Und sogar OB Dieter Reiter meldete sich mit offener Kritik zu Wort. "Verkehrsberuhigte Straßen können ein Mehr an Lebensqualität bringen", sagte der SPD-Oberbürgermeister. "In der Südlichen Au und am Walchenseeplatz aber sehen wir, dass das kein Automatismus ist."

Nachdem sich der Streit um das AQT-Projekt zuletzt etwas beruhigt hatte, wird er nun also vor Gericht neu aufflammen. Anlass hierfür sind jene Klagen, die vier Anwohnerinnen und Anwohner der Landlstraße eingereicht haben sowie ein Trio aus der Unteren Au, zu dem auch Steffen Winkels zählt. Er sieht in der Sperrung der Kolumbusstraße eine "rechtswidrige verkehrsrechtliche Anordnung", wie es in seiner Anfechtungsklage heißt. Demnach führe das AQT-Projekt zu Lärm, Umleitungen und dem Wegfall zahlreicher Parkplätze. Dabei sei die Kolumbusstraße schlicht nicht geeignet für einen solchen Verkehrsversuch.

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort bei der Gerichtsverhandlung
  • Eindrücke vor Ort in der Kolumbusstraße
  • Gespräch mit Oliver May-Beckmann und Marco Kellhammer von MCube
  • E-Mails von Anwohner Steffen Winkels
  • Antrag der CSU-Stadtratsfraktion zur dringlichen Behandlung im Feriensenat, Befragung der Anwohner Kolumbus- und Landlstraße über die Sperrung vom 9.8.2023
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