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Nürnberg: Wieso das Christkind nicht politisch sein darf


Historisch begründet
Wieso das Christkind nicht politisch sein darf

  • Meike Kreil
Von Meike Kreil

Aktualisiert am 14.12.2022Lesedauer: 4 Min.
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Das Christkind Teresa Windschall bei der Eröffnung seines Markts: Politische Botschaften sind dabei seit jeher unerwünscht.Vergrößern des Bildes
Das Christkind Teresa Windschall bei der Eröffnung des Christkindlesmarkts: Politische Botschaften sind dabei seit jeher unerwünscht. (Quelle: Daniel Karmann/dpa)

Kann man in diesen Tagen unpolitisch sein? Das Nürnberger Christkind kann, muss es vielmehr. Die Stadt wehrt sich gegen eine Politisierung der historischen Rolle.

Teresa Windschall bringt als Christkind viele Augen zum Leuchten. Dasselbe gilt wohl auch für ihre Arbeit im Krankenhaus, in dem sie derzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Für die Adventszeit wird sie von der Arbeit freigestellt. Denn Christkind zu sein, ist mehr als ein Vollzeitjob: An sieben Tagen die Woche ist sie im Einsatz. Die 18-Jährige liebt den Kontakt zu den Menschen – nicht nur als Kunstfigur. Sie überlegt deshalb auch, Medizin zu studieren. Während Teresa dies am Rande eines Pressetermins erzählt, strahlt sie über das ganze Gesicht. Ihre Freude ist ansteckend.

Gedankenspiel: Wäre das so hoffnungsbringende Christkind nicht die perfekte Botschafterin für die aktuell so leidgeplagten Krankenhäuser? Undenkbar, heißt es vonseiten des Amts für Kommunikation und Stadtmarketing. Das Christkind dürfe sich nicht politisch äußern. Doch wieso eigentlich?

Dies sei Konsens in der Stadtverwaltung. Dort ist das Amt des Christkinds angesiedelt, das Nürnberg immerhin in der Welt repräsentiert. Auch bei einem so drängenden Thema wird keine Ausnahme gemacht.

Nürnberger Christkind soll politisch neutral bleiben

Teresa habe als Privatperson eine eigene Meinung, jedoch nicht als Christkind. Das erklärt Andreas Franke, Leiter des Amts, im Gespräch mit t-online. Dies gehöre zur Aufgabe dazu, mit der sich die Bewerberinnen im Vorfeld intensiv befassten. "Das Christkind ist neutral, so kann es auch von keiner Seite vereinnahmt werden."

"Es gibt doppelt so viele Anfragen wie Auftritte", erklärt Franke weiter. Daher sei es logisch, dass es auch Absagen gebe. Darüber entscheide die Betreuerin des Christkinds, gegebenenfalls in Rücksprache mit der Amtsleitung. Auftritte für Firmen etwa würden grundsätzlich abgelehnt. 190 Termine absolviere das Christkind heuer – hauptsächlich in sozialen und karitativen Einrichtungen.

Gibt es einen Verhaltenskodex? Die jungen Frauen würden weder gebrieft noch gebe es spezielle Vorgaben, erklärt Franke. Weil das Christkind in seiner Rolle eine öffentliche Person sei, verstehe es sich von selbst, dass es sich in der Öffentlichkeit rücksichtsvoll verhalte. Teresa selbst erklärt dazu: "Wenn man sich für das Amt des Christkinds bewirbt, weiß man, dass das Christkind eine Vorbildfunktion einnimmt."

Das ist die Geschichte hinter der Figur des Nürnberger Christkinds

Dass das Amt des Christkinds unpolitisch ist, war schon immer so. Begründet liegt das in seiner Historie. Das erzählt Siegfried Zelnhefer, der langjähriger Leiter des Presse- und Informationsamts der Stadt Nürnberg war. Der promovierte Historiker hat ein Buch über "Das Nürnberger Christkind" geschrieben. Er weiß, dass die Ursprünge bis zu Martin Luther zurückreichen. Luther hatte die Idee, eine engelsgleiche Kunstfigur zu schaffen, die Kindern Geschenke bringt. Eine Figur mit dieser Botschaft eben könne nicht politisch sein.

Auch der Christkindlesmarkt schaut auf eine lange Tradition zurück. Zusammen mit dem Dresdner Striezelmarkt ist der Nürnberger einer der ältesten Weihnachtsmärkte Deutschlands. 1628 wurde er erstmals schriftlich erwähnt, seine Wurzeln reichen vermutlich noch weiter zurück. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte er ein Schattendasein – bis ihn die Nationalsozialisten 1933 wieder aufleben ließen. Nicht länger am Rande der Altstadt, sondern auf dem Hauptmarkt. Und mit einer aufsehenerregenden Eröffnungszeremonie, wie es Zelnhefer schildert. Dafür erfanden sie das Nürnberger Christkind mit einem eigenen Prolog zur Eröffnung. Und schon damals war die Eröffnungsrede vergleichsweise unpolitisch. In einer Passage war die Rede vom Anbruch einer "neuen Zeit", ansonsten gab es keine explizite Anspielung etwa auf Hitler.

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es ähnlich weiter. Ab 1948 wurden auf dem Hauptmarkt ausschließlich unverfängliche Lieder gespielt. Auch der Prolog entstand: geschrieben vom Dramaturgen Friedrich Bröger, einem Sohn des Nürnberger Arbeiterdichters Karl Bröger. Die Strophen wurden über die Jahre immer wieder angepasst – an die Veränderungen in der Stadt. Der Anfang der fünften Strophe "Die neue Stadt im Grün" etwa bezieht sich laut Zelnhefer auf die Entstehung des jungen Stadtteils Langwasser. Im Kern wird er aber noch heute so gesprochen. Seit den Siebzigern nun ist er unverändert.

Experte über Nürnberger Christkind: "Eine politische Botschaft wäre fatal"

Früher mimten Schauspielerinnen das Christkind, erst ab 1969 wurde es erstmals gewählt. Ihre Aufgabe war es damals einzig, den Markt zu eröffnen und arme Kinder zu beschenken. Das Amt war damals laut Zelnhefer noch nicht von so vielen repräsentativen Aufgaben geprägt, wie es heute der Fall ist. Zwar sei es zu Beginn mal in Kaufhäusern aufgetreten, doch das habe man bald unterbunden. So hat das die Stadt in den Siebzigern festgelegt.

"Das Christkind ist nicht zu kaufen", verdeutlicht Zelnhefer. Geld fließe von keiner Seite. Das Amt des Christkinds sei ein ehrenamtliches. Von der Erfahrung und den menschlichen Kontakten aber profitieren die jungen Frauen ein Leben lang, sagt der Experte. "Das ist einfach eine Wahnsinnserfahrung."

Das Christkind sei für viele eine Art Lichtgestalt, die Hoffnung bringt. Zelnhefer hat manchen Termin früherer Christkinder begleitet – in Kindergärten oder Altenheimen. Kinder wie Senioren verbinden mit der überirdischen Engelsgestalt Menschlichkeit, Zuwendung oder Geschenke, weiß er. "Das Christkind ist für alle da." Unabhängig von Alter oder Religion. "Eine politische Botschaft wäre fatal." Dann würde die Figur ihre Bedeutung verlieren, ist Zelnhefer überzeugt. Meinungsstarke Botschaften für die Welt solle man dann doch lieber Politikern überlassen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit dem Nürnberger Christkind Teresa Windschall
  • Anfrage bei Andreas Franke
  • Telefonat mit Siegfried Zelnhefer
  • christkindlesmarkt.de: Prolog (12.12.22)
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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