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Das spannendste Abstiegsfinale aller Zeiten


Bundesliga
Ein Tänzchen mit der Bürgermeisterin

Von t-online
16.07.2012Lesedauer: 5 Min.
Jan-Aage Fjörtoft macht sich unsterblich: Sein Treffer zum 5:1 bedeutet den Klassenerhalt für Eintracht Frankfurt.Vergrößern des BildesJan-Aage Fjörtoft macht sich unsterblich: Sein Treffer zum 5:1 bedeutet den Klassenerhalt für Eintracht Frankfurt. (Quelle: imago-images-bilder)
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Am 29. Mai 1999 empfängt Eintracht Frankfurt am 34. Spieltag der Bundesliga den 1. FC Kaiserslautern zum Abstiegsendspiel. Fünf Mannschaften, von denen die Eintracht die schlechteste und der 1. FC Nürnberg die beste Ausgangsposition haben, kämpfen gegen den Absturz in die 2. Liga. Klar ist: Frankfurt braucht einen Sieg und muss gleichzeitig auf Ausrutscher der Konkurrenz hoffen. Redakteur Mark Weidenfeller erinnert sich:

Um 15:30 Uhr pfeift Schiedsrichter Jürgen Jansen bei höllisch heißem Sommerwetter die Partie im Glutofen des Frankfurter Waldstadions an, ich stehe als 13-Jähriger im K-Block hinter dem Tor. Vorhang auf zum verrücktesten Abstiegsfinale aller Zeiten.

Das große Zittern

Mein Puls erreicht bereits vor Anpfiff Tour-de-France-Dimensionen. Nach nur einem Jahr Bundesliga sieht es tatsächlich so aus, als müsste die SGE schon wieder den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten. Nachdem eine Woche zuvor der Abstieg mit einem 3:2-Sieg nach 0:2-Rückstand auf Schalke noch abgewendet werden konnte, finde ich mich erneut in der Dilemma-Lage zwischen Hoffen und Bangen wieder. Ich hoffe auf Tore der Eintracht, auf Treffer von Bochum gegen Rostock, auf einen Bremer Sieg in Stuttgart. Ich hoffe auf ein Wunder - und bange um die sportliche Zukunft meiner Eintracht.

Die Ausgangslage war ebenso eindeutig wie kompliziert. Die Eintracht stand mit 34 Punkten und dem mit Abstand schlechtesten Torverhältnis auf Platz 16. Ein Platz und ein Punkt besser war Hansa Rostock, das bei den bereits abgestiegenen Bochumern antrat. Auf Rang 14 rangierte der SC Freiburg, der beim Zwölftplatzierten Club aus Nürnberg mit einem Sieg den Klassenerhalt klarmachen konnte. 13. war der VfB Stuttgart.

12. 1. FC Nürnberg 33 39:48 -9 37
13. VfB Stuttgart 33 40:48 -8 36
14. SC Freiburg 33 34:43 -9 36
15. Hansa Rostock 33 46:56 -10 35
16. Eintracht Frankfurt 33 39:53 -14 34

Kühne Mathematiker hatten vor dem entscheidenden Spieltag ausgerechnet, dass Frankfurt bei einem Sieg mit mindestens fünf Toren Unterschied die Klasse auf jeden Fall halten würde. Warum genau, habe ich damals nicht verstanden. Es war auch egal. Ein 5:0-Sieg gegen Champions-League-Anwärter Kaiserslautern erschien in etwa so wahrscheinlich wie ein Fallrückziehertor von Uwe Bindewald. Wir mussten also irgendwie gewinnen und dann auf die anderen Plätze gucken.

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle

Das Spiel selbst begann dann eher mäßig. Die ersten 45 Minuten bildeten das langweilige Vorspiel für ein fußballerische Feuerwerk, wie ich es bis dahin nie gesehen hatte und auch seitdem nicht mehr gesehen habe. Der Chinese Chen Yang, der zwar extrem schnell laufen, aber extrem schlecht Fußball spielen kann, erzielte eine Minute nach der Halbzeit die 1:0-Führung für Eintracht Frankfurt. Das Stadion tobte, der Optimismus war spürbar, der Klassenerhalt plötzlich zum Greifen nahe.

Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. In der 68. verwandelte FCK-Kapitän Michael Schjönberg einen Elfmeter zum 1:1. War es das schon? Sollte das tatsächlich schon alles gewesen sein? Der Traum vom Klassenerhalt ausgeträumt? Die klare Antwort: nein! Denn nur zwei Minuten später traf Thomas Sobotzik per Kopf zur erneuten Führung für die Eintracht. Im Stadion herrschte Ausnahmezustand. Denn ab diesem Zeitpunkt überschlugen sich die Ereignisse.

17:05 Uhr: Ich presse das extra mitgebrachte Transistorradio fest an mein Ohr. Freiburg führt in Nürnberg mit 2:0. Plötzlich unterbricht ein lauter Torschrei aus Bochum den grantelnden Radio-Reporter Günther Koch. Peter Peschel bringt den VfL gegen Rostock mit 2:1 in Führung. Die frohe Botschaft macht in Rekordzeit die Runde durch das Stadion, auf lauten Jubel folgen "VfL, VfL"-Sprechchöre. Zu diesem Zeitpunkt ist die SGE gerettet. Das Wunder nimmt Formen an. Ich bekomme Gänsehaut.

17:08 Uhr: Wieder Tor in Bochum. Victor Agali macht den Ausgleich. Noch ist Rostock auf einem Abstiegsplatz, dem Team von Andreas Zachhuber fehlt aber nur ein Treffer, um wieder an uns vorbeizuziehen. Und was passiert eigentlich auf dem grünen Rasen im Waldstadion? Dort ist auf einmal Marco Gebhardt im Spiel. Der Linksaußen, der eine unterirdische Saison gespielt hat, nimmt einen langen Ball mit der Hacke an, lupft ihn über seinen Gegenspieler und haut das Ding in den Winkel. 3:1 für Frankfurt. Ich raste aus.

17:11 Uhr: So etwas habe ich noch nie erlebt. Die 58.245 Zuschauer machen einen Lärm wie zehn startende Düsenjäger. Es ist unfassbar, ein Angriff nach dem anderen rollt auf den FCK-Kasten. Dieses Mal flankt Yang (das ist der, der eigentlich nur laufen kann) das Leder millimetergenau auf Bernd Schneider. Dieser nimmt den Ball volley mit der Innenseite - 4:1 für Eintracht Frankfurt. Ich umarme fremde Menschen.

17:12 Uhr: Das Radio blöckt schon wieder: Tor in Bochum. Ich halte die Luft an, bitte kein Tor für Rostock. "Majaaaak, der eingewechselte Majaaaaak" krächzt eine sich überschlagende Stimme. 3:2 für Hansa, Rostock zieht an uns vorbei. Das darf nicht wahr sein, in diesem Moment ist Nürnberg abgestiegen. Aber alles hängt an einem Tor. Ich habe Kopfschmerzen von den vielen Was-wäre-wenn-Gedanken.

17:13 Uhr: "Tooooooor in Nürnberg", meldet sich Günther Koch zu Wort. Der Club hat tatsächlich das 1:2 gemacht. "Ich will das nicht mehr sehen, ich halte das nicht mehr aus", legt der Reporter nach. Ich will das auch nicht mehr sehen, denn im Moment ist die SGE trotz eines unglaublichen 4:1 gegen Kaiserslautern abgestiegen. Wir brauchen ein Tor. Wissen das die Spieler? Ich sehe den verletzten Thomas Epp wie ein HB-Männchen mit den Armen fuchtelnd in Richtung Spielfeld rennen. Jetzt wissen die Spieler, dass sie nach 89 umkämpften Minuten bei 35 Grad noch ein Tor nachlegen müssen. Die Uhr tickt. Ich bin mir sicher: Wenn ich nicht erst 13 wäre, würde ich jetzt ein Bier trinken - auf Ex!

17:15 Uhr: Der eingewechselte Ansgar Brinkmann grätscht den Ball in Richtung Christoph Westerthaler. Der Österreicher gewinnt zum gefühlt ersten Mal in seinem Leben einen Zweikampf und zieht in Richtung Tor. Dort spitzelt er den Ball im letzten Moment zu Jan-Aage Fjortoft. Der Norweger, der unglaublich langsam ist, aber dafür unglaublich gut kicken kann, dringt in den Sechzehner ein, geht auf Torwart Andreas Reincke zu, macht einen Übersteiger und schiebt das Leder tatsächlich in die Maschen. 5:1! Das Stadion ist ein Tollhaus. Ich kann nicht mehr.

Kurz später ist das Spiel vorbei, in den anderen Stadien ist auch nichts mehr passiert. Dass Frank Baumann das Kunststück vollbrachte, den Ball aus drei Metern nicht im leeren Tor unterzubringen, bekommt niemand mit. Es ist auch egal. Wir stürmen den Platz, im Hintergrund läuft Status Quo, auf den Rängen tanzt der halbnackte Jan-Aage Fjortoft mit Oberbürgermeisterin Petra Roth einen Walzer. Eintracht Frankfurt bleibt in der Bundesliga.

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