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Nach Outing von Jake Daniels: Müssen sich Profifußballer noch fürchten?


Nach Statement von Jake Daniels
Coming-out von Fußballprofis – die große Furcht

Von t-online, flv

Aktualisiert am 17.05.2022Lesedauer: 4 Min.
Schluss mit dem Versteckspiel: Blackpool-Profi Jake Daniels (l.) machte am Montag seine Homosexualität öffentlich.Vergrößern des BildesSchluss mit dem Versteckspiel: Blackpool-Profi Jake Daniels (l.) machte am Montag seine Homosexualität öffentlich. (Quelle: News Images/imago-images-bilder)
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Homosexualität im Profifußball wird noch immer tabuisiert. Bei den Herren mehr als bei den Frauen. Ist der Schritt eines 17-Jährigen nun endlich der entscheidende für mehr Toleranz und Selbstverständlichkeit?

In England hat der 17 Jahre alte Zweitliga-Profi Jake Daniels seine Homosexualität öffentlich gemacht. Dafür erfährt er großen Zuspruch von prominenter Seite. Sogar Englands Premierminister Boris Johnson meldete sich zu Wort, bedankte sich für den "riesigen Mut" und sagte: "Du wirst viele Menschen auf dem Feld und außerhalb davon inspirieren."

Die unterstützende Nachricht Johnsons zeigt ein Kernproblem beim Thema Homosexualität im Profifußball: nämlich, dass ein solcher Schritt offenbar noch als "mutig" angesehen werden muss.

Auch Ex-DFB-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger gratulierte Daniels zu dessen Schritt: "Gut gemacht, Jake Daniels! Hab' eine wunderbare Karriere!"

Hitzlsperger war der erste deutsche Fußballstar, der öffentlich machte, schwul zu sein. Und noch immer ist er der einzige. Er tat es 2014, nach dem Ende seiner Karriere. Mehr als acht Jahre ist das bereits her. Den Weg an die Öffentlichkeit hat seitdem kein anderer deutscher Profi mehr gewagt. Weder während noch nach der Karriere.

Muss man sich heute also noch fürchten, seine Homosexualität öffentlich zu machen? Nein, glaubt Hitzlsperger, auch wenn niemand mehr seinem Beispiel gefolgt ist. In einem Interview mit dem BR im Herbst 2021 sagte der Ex-Sportvorstand des VfB Stuttgart: "Die Gesellschaft in Deutschland, die Fußballfans sind viel weiter, als wir denken."

Coming-out? "Lächerlich, dass dies überhaupt notwendig ist"

Auch der englische TV-Experte und frühere Nationalspieler Gary Lineker äußerte nun diese Hoffnung: "Ich glaube wirklich, dass der Fußball, abgesehen von ein paar homophoben Idioten, einem schwulen Fußballer gegenüber unglaublich aufgeschlossen und hilfsbereit sein wird."

Lineker weiter: "Es ist längst überfällig, dass sich ein Spieler 'outet', auch wenn es lächerlich ist, dass dies überhaupt notwendig ist. Ein Fußballer ist ein Fußballer."

Doch es gibt auch andere, bedenklichere Stimmen. Hitzlspergers früherer Nationalmannschaftskollege Philipp Lahm etwa ist skeptisch hinsichtlich eines Coming-outs während der aktiven Karriere. Der Weltmeister-Kapitän äußerte in einem ntv-Gespräch: "Man muss sich das genau überlegen, weil man auch irgendwann zu Auswärtsspielen fährt. Es werden nicht alle gutheißen, weil unsere Gesellschaft nicht so ist. Da muss man enorm stark sein, um das alles zu verkraften. Darauf möchte ich hinweisen." Was Lahm meint: mögliche homophobe Anfeindungen in fremden Stadien durch gegnerische Fans.

In der jüngeren Vergangenheit gab es mehr oder weniger regelmäßige Aktionen in den Stadien und Vereinen für mehr Toleranz. Sie sollen zeigen: Die "homophoben Idioten", wie sie Lineker bezeichnete, sind in der Unterzahl. Habt keine Angst, ihr selbst zu sein. Wir stehen an eurer Seite.

Das Fußballmagazin "11 Freunde" etwa rief im Februar des vergangenen Jahres die groß angelegte Kampagne "Ihr könnt auf uns zählen" ins Leben. Mehr als 800 deutsche Fußballer und Fußballerinnen sprachen homosexuellen Spielern ihre Unterstützung aus. Wolfsburg-Profi Max Kruse etwa formulierte markig: "Wenn sich einer meiner Kollegen outen würde, würde ich ihn vor den Idioten draußen schützen."

Deutlich mehr Selbstverständnis im Frauenfußball

Doch dieses Ermuntern, sich nicht mehr zu verstecken, hat bisher noch keine sichtbare Wirkung in Form eines oder mehrerer Coming-outs gezeigt. Was auffällt: Gleichgeschlechtliche Liebe im Frauenfußball ist weit weniger tabuisiert als bei den Männern. Dort herrscht eine größere Selbstverständlichkeit bei diesem Thema. Viele bekannte Spielerinnen leben und lebten schon während ihrer aktiven Karriere offen lesbisch. Die Ex-Nationaltorhüterinnen Nadine Angerer oder Ursula Holl zum Beispiel. Oder US-Star Megan Rapinoe, um nur einige zu nennen.

Im Männerfußball sehnt man sich noch immer nach einem solch normalen, unaufgeregten Umgang. Das wäre gerade deshalb so wünschenswert, weil die wenigen schwulen Fußballer, die den Schritt des Coming-outs gewagt haben, davon berichten, wie gut es ihnen getan habe, keine Rolle mehr spielen zu müssen.

Hitzlsperger: "Bin total glücklich mit der Entscheidung"

So wie auch Hitzlsperger: "Ich würde es immer wieder so machen und bin total glücklich mit der Entscheidung und mit allem, was danach gekommen ist."

Auch wenn er nicht verhehlen will, dass ihn dieser Schritt große Überwindung gekostet hat: "Ich hatte Vorbilder, die mich ermutigt haben, an die Öffentlichkeit zu gehen, und so bin ich das vielleicht auch für andere."

Eines seiner Vorbilder war Marcus Urban. Der frühere Junioren-Nationalspieler der DDR hatte sein Coming-out 2007. Über ihn erschien ein Jahr später eine Biografie ("Versteckspieler"). Er sagte in einem ZDF-Interview Anfang 2021: "Marketing-Kampagnen für Vielfalt sind löblich, aber die entscheidenden Schalter wurden noch nicht gedrückt."

Er selbst engagiert sich unter anderem seit acht Jahren als Geschäftsführer des Vereins für Vielfalt in Sport und Gesellschaft e.V., ein bundesweites Beratungsnetzwerk.

Urban hofft, dass tatsächlich eine Entwicklung und ein schrittweises Umdenken in der (Fußball-)Gesellschaft stattfindet, und nimmt dies auch so wahr: "Weltweit gesehen gibt es im Augenblick wieder eine Welle von Coming-outs, die mir nachhaltiger vorkommt als 2007 und 2014", so Urban.

Diese Welle ist nun in Person von Jake Daniels nach Europa geschwappt, in eine große Fußballnation. Vielleicht kommt sie ja bald auch im deutschen Profifußball an. Auch dank eines 17-Jährigen, der noch mutig sein musste, um offen zu seiner Sexualität stehen zu können.

Verwendete Quellen
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