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Marcel Reif hört auf: Madrid als Schicksal für den Agent Provocateur


Reife Leistung
Madrid als Schicksal für den Agent Provocateur

Von t-online
Aktualisiert am 28.05.2016Lesedauer: 4 Min.
Zum letzten Mal sitzt Marcel Reif am Samstag für Sky hinter dem Mikrofon und kommentiert das Endspiel der Champions League zwischen Real und Atlético Madrid.Vergrößern des BildesZum letzten Mal sitzt Marcel Reif am Samstag für Sky hinter dem Mikrofon und kommentiert das Endspiel der Champions League zwischen Real und Atlético Madrid. (Quelle: Camera 4/imago-images-bilder)
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Von Marc L. Merten

Eine Ära geht zu Ende. Wenn am Samstag Madrid gegen Madrid in Mailand spielt (ab 20.30 Uhr im Live-Ticker von t-online.de), heißt es nach Ende des Champions-League-Finales nicht nur "Hauptsache Italien", sondern auch: Auf Wiedersehen, Marcel Reif! Der Wortvirtuose, Avantgardist und Agent Provocateur der deutschen Kommentatoren-Szene sagt "Uf Wiederluege!" und verabschiedet sich vom Sky-Kommentatorenplatz.

Vielleicht müssen wir dankbar sein. Dankbar dafür, dass Reif in den letzten Jahren nicht mit jenem sprachlichen Einschlag kommentierte, den er sich angewöhnt hat. Den des Schweizers, der er mittlerweile ist. Schließlich hat er die Eidgenössische Staatsbürgerschaft angenommen und spricht leidlich Schweizerdeutsch. Am Samstag könnte er so beispielsweise sagen: "Der heutige Match (ausgesprochen: Matsch) ist der letzte Ernstkampf der beiden Equipes in dieser Saison. Mal sehen, ob wieder ein Corner dem Spiel die entscheidende Wendung geben wird wie vor zwei Jahren oder ob es ins Penaltyschießen geht."

Nein, Reif wurde in den letzten Jahren schon genug bepöbelt. Da brauchte es nicht einmal einen schweizerdeutschen Einschlag in seiner Stimme oder seiner Wortwahl. Beißende Kritik an Fernseh-Kommentatoren ist ja prinzipiell so alt wie der Berufsstand selbst. Das mag nichts mit Fußball zu tun haben, doch nirgends wird die Diskussion so emotional geführt wie in jenem Sport, der auch am Samstagabend wieder viele Millionen Menschen vor die Fernsehgeräte bringen wird. Reif weiß dies selbst am besten, wurde er doch im Frühjahr 2015 gleich zweimal von Fans attackiert.

Reif hat nach über 30 Jahren genug

Es waren nicht diese Exzesse, die ihn zum aufhören getrieben haben. Es war der Alltag, das allwöchentliche Kommentieren, weil nicht jedes Spiel ein Champions-League-Finale sein kann und nicht jedes Spiel für Fußball-Ästheten (und -Kommentatoren) wie gemacht ist. Reif hat einfach genug. Nach über 30 Jahren, in denen er zuletzt immer häufiger reduziert wurde auf den polarisierenden, klugscheißenden und arrogant daher kommenden Typen mit der Hornbrille, den inzwischen grauen Locken und dem "Ich-erkläre-Euch-den-Fußball"-Gesichtsausdruck.

Hinter der Brille, hinter dem Gesichtsausdruck des Fußball-Kommentators, verbirgt sich eine differenziertere Geschichte. Die eines in Polen geborenen Jungen, der mit seiner Familie nach Israel floh, um erst mit acht Jahren nach Deutschland zu ziehen und dort jene Sprache zu erlernen, mithilfe derer er später Karriere machen sollte. Dabei hatte er eigentlich Auslandskorrespondent werden wollen, in London, wo er Anfang der 1980er Jahre für das ZDF gearbeitet hatte. Aber weil die ihn dort nicht wollten, wurde er Sportreporter. Und prägte mehr als nur eine Generation nachkommender Kommentatoren.

"Ricken! Lupfen jetzt! Jaaaaaaa...!

Reif hatte seinen eigenen Stil. Für manche war es eine Wohltat, ihm zuzuhören, manche schalteten den Ton - oder gleich das Spiel - ab. Seine spitze Zunge war berüchtigt. Wenn er sich auf einen Spieler eingeschossen hatte, war es mitunter um den Jungen auf dem Platz für den Rest der laufenden 90 Minuten geschehen. Als der FC Schalke 04 beispielsweise im Sommer 2008 den Niederländer Orlando Engelaar verpflichtete und Reif die Partie der Königsblauen gegen Hoffenheim kommentierte, schien es, als höre der 1,96 Meter große Fußballer auf dem Platz Reifs Worten zu - denn er wurde mit jeder Aktion schlechter. Reif hatte sich ein Opfer gesucht und nicht mehr losgelassen. Für ihn war Engelaar an diesem Tag der Inbegriff des Anti-Fußballers, die fleischgewordene Begründung allen Übels auf Schalke. Engelaar blieb im Laufe der Jahre keine Ausnahme.

Es war aber nicht nur Reifs spitze Zunge, die ihn charakterisierte. Es war seine Sprache, die mitunter so gar nicht zur herben Welt des Fußballs passen wollte. Seine Wortwahl ist bis heute anders geblieben als jene der Marktschreier, die von Wolff Fuss bis Frank Buschmann dank ihrer sich überschlagenden Stimme mit sinnbefreiten Wortschöpfungen agieren. Reifs Art, distanziert statt laut, fast schon elitär statt volksnah, setzte nur dann zu Salti an, wenn tatsächlich etwas Außergewöhnliches auf dem Rasen passierte. "Ricken! Lupfen jetzt! Jaaaaaaa...!" Worte, die in Erinnerung geblieben sind.

Reif - ein ganz Großer seiner Zunft

Fußball-Kommentatoren sind wie Essen: eine Frage des Geschmacks. Wer Cognac, Roquefort und eine feine Zigarre mag, dürfte sich bei Marcel Reif stets gut aufgehoben gefühlt haben. Wer Bier, Currywurst und eine Selbstgedrehte ohne Filter bevorzugt, wird sich wohl eher zu Wolff Fuss hingezogen fühlen. Am Ende bleibt es Geschmackssache - und darüber lässt sich bekanntlich trefflich streiten.

Worüber sich aber nicht streiten lässt, ist, dass Reif ein ganz Großer seiner Zunft war und ist. Dafür muss man ihn noch nicht einmal gemocht haben. Nun tritt er ab, mit einem Champions-League-Finale, wie es sich für ihn gehört. Der Mann, der einst mit Günther Jauch zusammen den "Torfall von Madrid" unvergessen machte, bekommt zum Abschluss seiner Arbeit noch einmal Madrid pur serviert. In diesem Sinne: "Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan."

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