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Tim Lobinger im Interview: "Wer Schrank und Schlüpfer bekommt, ist mir wirklich egal"


Lobinger über Zukunft mit Blutkrebs
"Wer Schrank und Schlüpfer bekommt, ist mir wirklich egal"

Interviewt-online, Florian Wichert und Annemarie Munimus

20.04.2018Lesedauer: 6 Min.
Tim Lobinger am Mittwochabend als Gast bei Markus Lanz.Vergrößern des BildesTim Lobinger am Mittwochabend als Gast bei Markus Lanz. (Quelle: Apress/imago-images-bilder)
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Wenn man ihm gegenübersteht, kommt man nicht auf die Idee, dass Lobinger eine gefährliche Krankheit hat: Leukämie. Was er einmal hinterlassen will, verrät Lobinger im Interview.

Die Tagebucheinträge, mit denen Tim Lobinger ab dem ersten Tag seiner Diagnose begann, sollten ihm dabei helfen, die Informationen über seine Krebserkrankung zu verarbeiten. Die Entscheidung, daraus das Buch "Verlieren ist kein Option" zu machen, fiel erst später. Kurz vor der Veröffentlichung kam der Krebs jedoch zurück – und Lobinger musste ein Kapitel dranhängen.

t-online.de traf Tim Lobinger in Berlin zum exklusiven Interview, um besser zu verstehen, wie es ist, mit einer tödlichen Krankheit zu leben. Doch als Lobinger mit einer kleinen Verspätung im frühlingshaften Innenhof des Berliner Hotels eintrifft, geht es zuerst einmal um das Fast-Food-Menü auf der Autobahnraststätte – Fliegen soll er erst wieder, wenn die Grippesaison vorbei ist – und um seine erste Erdbeere seit eineinhalb Jahren. Viele Dinge durfte Lobinger während der Chemotherapie nicht essen, weil sein Immunsystem das nicht verkraftet hätte. Jetzt freut er sich umso mehr über jedes Stück Normalität, das er zurückgewinnt. Schnell wird klar, Lobinger lebt im Hier und Jetzt und macht Pläne für die Zukunft. Von Endzeitstimmung keine Spur.

t-online.de: Herr Lobinger, wie ist es für Sie, über die Zukunft zu sprechen?

Tim Lobinger (44): Dazu eine Geschichte?

Gern.

Ich wollte zwei neue Handyverträge für meine Kinder abschließen. Ich wollte die alten erstmal kündigen, hatte allerdings die Frist versäumt. Ich war im Krankenhaus und habe ein Attest geschickt, dass ich wirklich schwerkrank bin – und noch kündigen möchte.

Danach hörte ich erstmal nichts mehr von dem Anbieter. Dann haben sie mir doch ein Angebot gemacht und vorgeschlagen, auch noch einen Vertrag für mich zusätzlich zu nehmen samt Handy. Das wollte ich dann machen – bis der Hinweis kam, dass mit den Verträgen für die Kinder zwar alles klappen würde, der für mich allerdings abgelehnt werden müsse.

Warum?

Eine Prüfung habe ergeben, dass bei mir keine Bonität gewährleistet ist. Dann dachte ich mir: "Okay, komisch – aber dann nehme ich den Vertrag eben ohne Handy." Leider wurde das wieder abgelehnt – aus dem gleichen Grund. Dabei hatte ich jede Rechnung zuvor rechtzeitig per Lastschriftverfahren gezahlt.

Wie ging es weiter?

Ein Mitarbeiter hat sich dann für mich erkundigt und rausgefunden, dass die Bonitätsabteilung mich als zahlungsunfähig innerhalb der nächsten 24 Monate eingestuft hat, weil ich in dieser Zeit wohl sterben würde. Das bringt einen dann schon zum Nachdenken, wenn jemand, den du nicht kennst, sagt: "Der stirbt eh in den nächsten zwei Jahren."

Ihre Lebenserwartung soll tatsächlich bei ein bis zwei Jahren liegen…

Es ist etwas diffiziler. Die Ärzte haben mir nie etwas zur Lebenserwartung gesagt. Ich habe aber auch nie danach gefragt. Ich habe mich immer nur nach den Chancen erkundigt. Alles, was ich hören wollte, war mindestens ein Prozent – und es waren meist eher 30.

Von welcher Lebenserwartung gehen Sie dann aus?

Als im Januar klar war, dass sich die Krebszellen nicht vermehrt haben, da wussten wir, wie wir es mit Tabletten bremsen können. Das reicht, um ein oder zwei Jahre abwarten zu können, um zu schauen, ob sich bis dahin wissenschaftlich etwas tut. Für mich war das ein Signal: Wir sind jetzt für zwei Jahre save – und dann sehen wir weiter. Viele haben es so verstanden, dass es das in spätestens ein bis zwei Jahren war.

Haben Sie denn trotzdem Ihre Erbschaft geregelt?

Wenn du eine Wohnung hast und ein Haus, dann ist das etwas anderes. Das letzte, das du willst: Stress und Streit hinterlassen. Aber bei mir ist es so: Meinen Fiat 500 bekommt meine Tochter, das war’s. Es gibt aber etwas, das viel wichtiger ist.

Was wäre das?

Wir haben jetzt Paten ernannt, die die Lücke schließen, die ich hinterlassen würde. Auch für den Fall, dass meine Frau Alina gleichzeitig sterben würde. Wir haben da ganz bewusst und sehr schmerzhaft darüber nachgedacht: Wer in unserem Freundeskreis steht für meine Werte und vermittelt diese mit Stolz und Ehre, wenn er sich um den kleinen Okki (Tim Lobingers Sohn, Anm.d.Red.) kümmert? Das lag mir wirklich am Herzen. Wer Schrank und Schlüpfer bekommt, das ist mir wirklich egal.

Infokasten zum Namen Okkert:
Der Name Okki kommt aus Südafrika. Okkert Brits ist ein südafrikanischer Stabhochspringer, der damals erstmals den großen Weltrekordhalter Sergej Bubka geschlagen hat. Wir sind so gut befreundet, dass ich auf die Idee kam, meinen Sohn Okki zu nennen. Ich habe ihn angerufen und gefragt, ob das für ihn okay ist. Das war es, auch wenn er aufgrund der Frage bis heute verwirrt ist. Er kann es immer noch nicht fassen.

Wie war es, Paten zu finden und sie über die Rolle zu informieren?

Ich wollte das ganz cool rüberbringen – vor dem Grillen. Mit dem zweiten Satz merkte ich schon, wie sich alles zuschnürte und die Tränen kullerten. Das ist ja wirklich ein Worst-Case-Szenario – aber natürlich auf der anderen Seite auch eine große Anerkennung für einen Freund. Das zeigt ihm: "Ich würde mir nichts mehr wünschen, als dich an der Seite meines Kindes, wenn ich nicht mehr da bin." Das ist auf jeden Fall ein sehr emotionaler Moment. Alle müssen weinen, tun aber so, als würden sie sich nur freuen.

Welche Werte sind das, die Ihnen wichtig sind – für Ihren Sohn?

Einfache Dinge, die ganz oft verloren gehen: "Bitte" und "Danke" sagen, sich entschuldigen, wenn man etwas runtergeworfen hat. Zuversicht, aber mit einer gewissen Strenge. Tür aufhalten, Mama zuerst durchgehen lassen. Eine Grund-Etikette. Man kann auch mal ein "Happy Meal" kaufen und das im Auto essen. Aber man muss es als verrückt und als Ausnahme verkaufen. Sonst bist du in der Spirale, bis ungesundes Essen normal wird. Das darf nicht passieren. Du legst damit den Grundstein.

Lobinger will beim Abschiedsspiel von Leipzigs Ex-Kapitän auf dem Platz stehen
Am 13. Mai bekommt der ehemalige Kapitän von RB Leipzig sein Abschiedsspiel im Rahmen der Saison-Abschlussfeier des Vereins. Lobinger: „Ich habe noch gute Kontakte nach Leipzig. Dominik möchte unbedingt, dass ich bei seinem Abschiedsspiel dabei bin. Ich will das natürlich auch gern. Vielleicht spiele ich fünf Minuten mit, das wäre schon großartig.“

Wie sieht Ihr Alltag im Augenblick aus?

Mein Alltag sieht jetzt so aus, als ob ich weder Krebs hätte, noch als ob es jemals eine Vorgeschichte gab. Aber es war ein schwerer Kampf, mir diese Normalität zurück zu erkämpfen. Das ging wirklich in Millimeterschritten. Das ging, weil ich mir gesagt habe: "Du bist nur so krank, wie du dich fühlst." Und ich fühle mich gut. Ich nehme jeden Morgen eine Tablette, mit einem Wirkstoff, der es in sich hat. Aber mein Körper verträgt es. Und deswegen probiere ich, so viel zu arbeiten, wie ich kann, in den Biergarten zugehen und wirklich zu leben. Jetzt nicht total exzessiv, aber ich habe auch keine Endzeitstimmung. Ich habe keine Liste mit Dingen, die ich noch erledigen muss. Ich will mich beruflich weiterentwickeln und dafür habe ich das Go von den Ärzten.

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Sie denken wieder nach vorne. Klappt das von alleine oder müssen Sie sich dazu zwingen?

Man muss sich das schon erarbeiten. Ich bin von Natur aus eher eine Frohnatur. Es gibt auch Leute, die betreten den Raum und verbreiten schlechte Vibes. Die Typen fühlt man mit geschlossenen Augen. Ich wollte schon während meiner Krankheit nicht so sein. Das Leben ist immer für Überraschungen und Positives gut, das können auch kleine Dinge sein: Eine Pizza mit Tomaten und Mozzarella, die ich jetzt wieder essen darf. Das will ich verkörpern.

Hat das Schreiben Ihnen geholfen, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen?

Ja, ich habe in diesem Prozess viel gelernt. Wer gibt einem eigentlich die Garantie 70 zu werden? Die gibt es ja nicht. Und dann aber auf der anderen Seiten zu sehen: "Hey du bist 44 und du hattest ein geiles Leben bisher! Du bist geworden, was du schon als Kind werden wolltest: Profisportler. Du hast immer davon geträumt, einen Rekord zu springen, du hast drei wunderbare Kinder in die Welt gesetzt, das hast du alles geschafft." Klar, ich habe auch das eine oder andere in den Sand gesetzt, aber ich habe lebenswerte Dinge erreicht. Mir das einzugestehen und das niederzuschreiben hat mir geholfen, den Gedanken an den Tod ein Stück mehr zu akzeptieren und näher kommen zu lassen. Aber dieser Prozess war sehr schmerzhaft, auch schmerzhafter als die Kanülen im Hals oder die Chemotherapie.

Finden Sie, man sollte sich möglichst früh mit dem Tod auseinandersetzen?

Nein, denn was hat man davon? Diese Empfehlung möchte ich nicht pauschal geben. Wenn die Beschäftigung mit dem Tod einen runterzieht, dann sollte man sich auch nicht absichtlich damit beschäftigen. Ich glaube nicht, dass man es so einfach schafft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und dann mit dem Fazit rauskommt: "Ja, stimmt, mein Leben war bisher schon so gut, wenn ich nächste Woche sterbe, dann wäre es nicht so schlimm." Damit würde man sich selbst nur in die Tasche lügen. Ich hab im Krankenhaus viele Menschen gesehen, die sind so gebrochen worden.

Was haben Sie durch die Krankheit über sich gelernt?

Ich habe vorher schon auch genossen, aber ich war auch hibbelig. Ich habe mich oft nicht so fallen gelassen, wie es gut gewesen wäre.

Und wie lässt man sich fallen?

Hm, schwierig. Man sollte versuchen, sein Leben auf die Säulen zu verteilen, die einen stützen, auch wenn es einem schlecht gehen wird. Und die Zeit kommt. Das kann Liebeskummer, eine berufliche Krise, oder ein Schicksalsschlag sein. Und wenn du es schaffst, dein Leben gleichmäßig zu verteilen, dann hast du ein gutes Fundament.

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