Die tragische Figur wird zum "Ally-Pally-Wahnsinn"
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Erst beendete er den Traum von Gabriel Clemens, dann seinen eigenen Fluch. Michael Smith ist ein Darts-Weltmeister mit besonderer Geschichte.
"It's coming home" schallte es am Montag durch den Alexandra Palace ("Ally Pally"), als der Sieg von Michael Smith im Finale der Darts-WM kurz bevorstand. Der EnglΓ€nder lag bei seinem "Heimspiel" in London in einem packenden und hochklassigen Finale gegen Michael van Gerwen (Niederlande) in FΓΌhrung β und holte sich wenige Minuten spΓ€ter auch den Sieg.
Der oft hadernde Darts-Profi mit dem Irokesen-Haarschnitt hatte in diesem Moment nichts mehr zu meckern. "Das klingt atemberaubend", sagte Smith ΓΌber die Vorstellung, sich nun endlich Weltmeister nennen zu dΓΌrfen. Von der "Sun" bekam er den Namen "Ally-Pally-Wahnsinn" verpasst.
Das MissverstΓ€ndnis ΓΌber seinen Spitznamen
Es war ein weiter Weg fΓΌr den Mann, den die Fans nur den "Bully Boy" nennen. Der Spitzname des 32-JΓ€hrigen hat aber nichts damit zu tun, dass er in der Jugend andere Kinder mobbte oder sich oft prΓΌgelte. Smith half im Alter von 13 Jahren auf einem Bauernhof aus. Dort erhielt er auch den Namen, wie er dem "Mirror" verriet: "Als die KΓΌhe zur Welt kamen, bat mich der Farmbesitzer β der frΓΌher TΓΌrsteher im Pub meiner Tante war β, bei der Kennzeichnung der neugeborenen KΓ€lber zu helfen." Diese wehrten sich offenbar dagegen, von Smith festgehalten zu werden: "35 Minuten lang wurde ich mit Kuhfladen und Kuhmist ΓΌberschΓΌttet. (...) Ein Kalb lag auf dem RΓΌcken, ich hatte meine Finger in seiner Nase und seine Beine waren in der Luft. Er (der Farmbesitzer, Anm. d. Red.) nannte mich einen Bully (zu deutsch: RΓΌpel), und so blieb der Spitzname hΓ€ngen."
Smith betonte aber: "Ich bin von Natur aus weder ein Tyrann noch ein aggressiver Mensch β ganz im Gegenteil." Als seine Darts-Karriere Fahrt aufnahm, wurde er nach einem mΓΆglichen Spitznamen gefragt, wie ihn alle Spieler haben. Peter Wright nennt sich beispielsweise "Snakebite", Gerwyn Price ist der "Iceman" und Legende Phil Taylor war "The Power". Smith fiel daraufhin "Bully Boy" ein. Ein Name, der sich gehalten hat.
Eine Verletzung Γ€ndert alles
Smith stammt aus St. Helens, einer Stadt im Nordwesten Englands, rund 30 Autominuten von Liverpool entfernt. Er spielte Rugby, weil es vor Ort laut Smith nichts anderes gab. Im Alter von 15 Jahren stΓΌrzte er mit seinem Fahrrad auf dem Weg zur Schule und brach sich die HΓΌfte. Γber mehrere Monate konnte Smith sich nur auf KrΓΌcken fortbewegen. Genervt von der Langeweile griff er zum Darts-Set seines Vaters. "Bis dahin habe ich nicht einmal einen Dartpfeil berΓΌhrt", erzΓ€hlte Smith dem "St. Helens Reporter".
Seine erste "180" (Drei Treffer auf der Triple-20) warf er noch wΓ€hrend der Reha. FΓΌr den Sport brach er sogar eine Tischlerlehre ab. "Es fΓΌhlte sich an, als hΓ€tte ich schon seit Jahren Darts gespielt", sagte Smith. In der Region war er schnell ein kleiner Star, doch der Durchbruch kam erst nach einer weiteren Verletzung.
Es passierte an Heiligabend 2009, wie er der "Sun" erzΓ€hlte: "Ich war mit den Jungs unterwegs und hatte ein paar Drinks. Auf dem Heimweg rutschte ich auf dem Eis aus. Ich brach mir beide Handgelenke. Ich musste vier Monate lang einen Gips tragen." Zuvor hatte Smith eine Langeweile verspΓΌrt, was den Dartssport betraf. Als er aber verletzungsbedingt zuschauen musste, wurde das Feuer in ihm neu entfacht.
Die tragische Figur des "Ally Pally"
Smith wurde immer stΓ€rker, gewann Jugendturniere und spielte sich auch in den Fokus der groΓen Γffentlichkeit. Seit vier Jahren gehΓΆrt der "Bully Boy" fest zum Dartszirkus. Sein Problem waren seitdem aber hΓ€ufig die Endspiele. Smith kam Runde fΓΌr Runde weiter, im Finale musste er aber oft eine Niederlage hinnehmen.
Besonders tragisch war es im vergangenen Jahr bei der WM im "Ally Pally", wie der Alexandra Palace auch genannt wird. Nachdem Smith bereits 2019 im Endspiel β damals gegen Michael van Gerwen β gescheitert war, traf er im zweiten Anlauf auf Peter Wright. Smith spielte starke Darts, warf 24 Mal eine 180 und stellte damit einen Rekord auf. Das Problem: Wright warf genauso viele 180er und holte sich den Sieg. Im "Ally Pally" hatte Smith noch eine Rechnung offen.
Dieses Jahr sollte es anders laufen. Doch der hochtalentierte Smith lieΓ lange seine Topleistungen vermissen. Im Viertelfinale gegen Stephen Bunting konnte er sich zwar durchsetzen, war mit seinem Auftritt aber alles andere als zufrieden. Bei "Sport1" sagte er: "Ich bin genervt. Heute Morgen habe ich gesagt, dass ich zurΓΌck sein wΓΌrde, aber da hΓ€tte ich nicht gedacht, dass ich so schlecht sein wΓΌrde. (...) Ich weiΓ nicht, woran es liegt. Ich hoffe, dass ich im Halbfinale besser spiele."
Er tat es, Smith spielte gegen einen gut aufgelegten Gabriel Clemens eine starke Partie, zeigte sich wieder von seiner besten Seite und sicherte sich sein drittes Finalticket. Favorit war aber sein GegenΓΌber, denn Michael van Gerwen ΓΌberragte in den vorherigen Runden. Die Sorge, dass Smith weiter die ungekrΓΆnte tragische Figur bleiben wΓΌrde, entpuppte sich am Dienstagabend als unnΓΆtig.
Smith stand nach dem 7:4 im Konfettiregen von London mit dem Pokal in der Hand und zeigte sich angriffslustig: "Ich mΓΆchte diesen Sport ΓΌbernehmen, aber Michael (van Gerwen, Anm. d. Red.) ist immer noch hier." Doch nicht van Gerwen ist in den kommenden Monaten der Gejagte in der Darts-Welt, es ist der "Bully Boy". Denn in der Weltrangliste grΓΌΓt er nun von der Spitze.
- mirror.co.uk: "World Darts Final preview: Michael Smith reveals truth behind Bully Boy nickname" (engl.)
- nzherald.co.nz: "Darts stars Michael Smith and Simon Whitlock share the secrets to their success" (engl.)
- St. Helens Reporter: "'Beating Taylor has given me belief I can be world's best'" (nicht mehr online verfΓΌgbar)
- thesun.co.uk: "Michael Smith reveals World Darts final run began with cow muck, broken bones and truancy" (engl.)
- sport1.de: "'Das war mein D-Game'! Smith kann seine Leistung kaum glauben"