Lauf-Veteran vor Berlin-Marathon Marathon unter heute kaum vorstellbaren Bedingungen
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Am Sonntag startet der 50. Berlin-Marathon. Martin Teague war als einziger Starter bereits 1974 dabei – unter heute kaum vorstellbaren Voraussetzungen.
"Mit Schmerzen in den Beinen, aber purer Freude im Gesicht" – so stellt sich Martin Teague die Überquerung des Zielstrichs des Berlin-Marathons am Sonntag vor. Der 73-Jährige ist fest überzeugt davon, dass er die 42,195 Kilometer zuvor überstehen wird.
Damit unterscheidet sich Teague nicht von über 50.000 anderen Menschen, die bei der 50. Ausgabe des Rennens starten werden. Eine gewichtige Tatsache hebt ihn aber hervor: Der US-Amerikaner ist der einzige Läufer am Start, der bereits bei der ersten Ausgabe 1974 dabei.
Mittlerweile gehört die Veranstaltung in Berlin zu den wichtigsten Marathonevents weltweit. Die Premierenausgabe war davon allerdings weit entfernt. "Es gab so gut wie keine Zuschauer, und an der Ziellinie war es sehr ruhig, da hat niemand gejubelt", erklärt Teague t-online. Anders als heutzutage, wo die letzten Kilometer der Strecke abgesperrt sind, konnte seine Frau 1974 noch ungehindert auf der Ziellinie ein Foto von ihm machen.
Außer einigen Familienangehörigen und Freunden habe dort niemand von den Läufen Kenntnis genommen. "Wenn überhaupt, dann einige ältere Damen, die mit ihren Hunden spazieren gegangen sind – und uns meistens mit etwas Unverständnis angeschaut haben", erinnert sich Teague mit einem Lachen.
Verwunderlich ist das nicht, waren doch bei der Erstauflage des mittlerweile traditionsreichen Laufs lediglich 286 Sportler aus vier unterschiedlichen Nationen am Start. Darunter waren auch die USA, für die der damals 23-jährige Teague antrat.
50. BMW-Berlin-Marathon im TV
Sonntag, 29. September, bei RTL
TV-Coverage: 8.30 bis 12.30
Moderation: Laura Papendick
Experten: Sabrina Mockenhaupt, Martin Grüning
Kommentartor: René Hiepen
Er war zu der Zeit als Soldat der US-Armee in Berlin stationiert und kam durch einen negativen Umstand zum Rennen. Eigentlich wollten Teague und einige Mitstreiter am historischen Athen-Marathon teilnehmen. Aufgrund der Zuspitzung des Zypern-Konfliktes zwischen Griechen und Türken im Sommer 1974 wurde dieser Plan jedoch durchkreuzt.
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"Danach hat unser Major gesagt, dass es auch in Berlin einen Marathon gebe. Das war reiner Zufall", berichtet der US-Armee-Veteran – und gibt zu, dass die Idee zuerst nicht gerade Jubelstürme ausgelöst habe: "Statt eines tollen Trips nach Athen mussten wir quasi vor der Haustür laufen. Das hat bei uns erst einmal wenig Begeisterung hervorgerufen. Am Ende war es aber fantastisch."
Und das, obwohl die auf der Charlottenburger Waldschulallee startende sowie endende Strecke alles andere als ein Laufvergnügen war.
"Als die Startpistole ertönte, sind wir losgerannt und nach einigen Metern ging es von der Straße auf dem Bürgersteig weiter. Da liefen natürlich überall Fußgänger, zwischen denen wir uns durchschlängeln mussten. Die haben nicht schlecht gestaunt", berichtet Teague, der heute Rentner ist und in Glen Ellyn im US-Bundesstaat Illinois wohnt, mit einem Schmunzeln. "Und natürlich mussten wir auch an Ampeln warten und Autos an Kreuzungen vorlassen."
50 Jahre später wirken solche Anekdoten wie aus einer anderen Welt. Mittlerweile ist während des Marathons gefühlt halb Berlin abgesperrt und Hunderttausende Schaulustige säumen die Straßen – auf etwaig kreuzende Autos muss kein Läufer mehr Rücksicht nehmen.
Wasser, Tee und keine Snacks
Auch die Logistik drumherum war 1974 eher rudimentär. Zum Start habe es einen Stand mit Tee und Wasser gegeben, allerdings keine Snacks. "Und auch auf die Strecke haben wir nichts mitgenommen", berichtet Teague. Insgesamt habe es nur drei Verpflegungsstellen gegeben.
"Von Training, Vorbereitung und vernünftiger Verpflegung hatten wir keine Ahnung", fügt er an. Vor seinem ersten Marathon sei er nie längere Distanzen als fünf Meilen (etwa acht Kilometer) gelaufen.
Das Ziel erreichte der ehemalige Soldat dennoch – und zwar auf Platz 61. Teagues Zeit damals: 3:31:25 Stunden. Der damalige Gewinner, Günter Hallas, ist 50 Jahre später ebenfalls am Start, altersbedingt wird er die Strecke allerdings gehen, statt zu laufen. Nach seinem Sieg 1974 hat Hallas den Berlin-Marathon noch 41 weitere Male beendet.
Diese Leistung nötigt Teague allerhöchste Bewunderung ab. Deshalb sieht sich der US-Amerikaner auch in der Verantwortung, diese "tollen Athleten, die aufgrund ihres Alters nicht mehr mitlaufen können, ein bisschen mitzuvertreten". Mit derselben Startnummer wie einst 1974.
Teague trainiert fünfmal in der Woche
"Die Veranstalter haben mir die Sechs gegeben, die hatte ich auch schon beim ersten Rennen vor 50 Jahren", erklärt Teague. Im Vergleich zu damals hat er sich diesmal wesentlich Marathon-spezifischer vorbereitet.
Nachdem er unter anderem aufgrund eines schweren Fahrradunfalls viele Jahre kürzertreten musste, ist er seit Januar voll im Training: mittlerweile geht er dreimal in der Woche Laufen, dazu kommen zwei Einheiten im Schwimmbecken oder Kraftraum.
Entsprechend gut fühlt sich der 73-Jährige vorbereitet. "Es wird mich nichts aufhalten, egal wie viel Schmerzen ich dafür überwinden muss", so Teague. Eine wichtige Motivation ist dabei auch seine Vergangenheit in Berlin.
"Ich bin ein Veteran der Berlin Brigade und laufe auch für Millionen US-Amerikaner, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland stationiert waren. Das ist etwas in Vergessenheit geraten", sagt er emotional angefasst. Dabei muss der Rentner kurz schlucken. Denn die Rückkehr in die deutsche Hauptstadt ist auch eine Reise in seine eigene Geschichte.
Hier lernte er seine Frau kennen und heiratete sie. Ihren Sohn Andrew benannten sie nach der damaligen Kaserne, den "Andrews Barracks" an der Finckensteinallee. Auch Andrew Teague ist als US-Soldat in Deutschland stationiert gewesen.
"Ich bin nicht der Schnellste in meinem Alter und es gibt viele, die deutlich mehr Marathons gelaufen sind", fasst Martin Teague zusammen: "Aber es geht darum, was man geschafft hat – und was es für Dich selbst beutet." Deshalb habe die Überquerung der Ziellinie am Sonntag für ihn weit mehr als nur eine sportliche Dimension gehabt.
- Gespräch mit Martin Teague