Es tut verdammt weh
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung ΓΌbernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Serena Williams beendet ihre einmalige Karriere. Ihr Einfluss geht weit ΓΌber den Sport hinaus β und ist nur mit einem vergleichbar.
Eine letzte Pirouette. Ein letztes Winken ins Publikum. Ein letztes Mal die Tasche packen und die Schritte vom Spielfeld gehen im Arthur Ashe Stadium in Queens, New York.
Es wird noch einen Moment brauchen, bis dieser Moment in seiner Dimension vollends greifbar wird: Nicht nur die groΓe, ΓΌbergroΓe, einmalige Karriere von Serena Williams ist seit diesem Abend am 2. September 2022 vorbei β es verabschiedet sich auch die vielleicht grΓΆΓte gesamtgesellschaftliche PersΓΆnlichkeit, die es im Weltsport seit Muhammad Ali, dem GrΓΆΓten der GroΓen, gegeben hat.
Denn Serena β ihr Vorname steht lΓ€ngst fΓΌr sich, braucht keiner weiteren ErklΓ€rung β hat in ihrer ΓΌber 25 Jahre wΓ€hrenden Karriere mehr bewegt, mehr verΓ€ndert, mehr hinterlassen als die meisten GrΓΆΓen der Sportwelt. 23 Grand-Slam-Titel, unzΓ€hlige weitere Erfolge, denkwΓΌrdige Matches. Das hat sie Millionen Fans weltweit ΓΌber ein Vierteljahrhundert lang beschert.
Serena ΓΌberdauerte sie alle
Ihre eindringlichen Schreie bei jedem Schlag, ihr kraftvolles Spiel, ihre Emotionen, ihr Drama, ihre Show, sie hatten ihren letzten groΓen Auftritt an diesem Freitagabend bei den US Open in Queens. 5:7, 7:6, 1:6 in der 3. Runde der US Open gegen die Australierin Ajla Tomljanovic in einem mitreiΓenden, historischen, ΓΌber drei Stunden langen Match.
Diese Serena ist Geschichte. Das tut weh. Verdammt weh. Ihren Fans, dem Tennis, ihr selbst, die noch im On-Court-Interview mit ESPN-Reporterin Mary Jo Fernandez nach ihrem letzten Match gerΓΌhrt und ergriffen war von den Emotionen und dem Beifall der fast 24.000 Zuschauer im Arthur Ashe Stadium. Zumindest einen Moment lang wirkte sie noch etwas zerrissen zwischen Karriereende zugunsten der Familie und Fortsetzung ihrer Laufbahn.
Ihr Spiel? Ungekannt kraftvoll und doch grazil, mit brachialer Gewalt und doch feiner Technik, variabel und druckvoll. Ihre Outfits? Vom Einteiler ΓΌber Bikerjacken bis hin zum mit Edelsteinen besetzten Glitzerkleid. Ihr Auftritt? Selbstbewusst an der Grenze zur Arroganz, charismatisch, emotional, auch polarisierend ob ihrer Eigenheiten. Ihre Konstanz? UnΓΌbertroffen. Ihre Schwester Venus, Justine Henin, Maria Scharapowa, Angelique Kerber, Naomi Osaka und viele mehr, sie kamen und gingen; Serena aber blieb, ΓΌberdauerte sie alle β einmalig im Weltsport. Kein FuΓballer, kein Basketballstar, niemand aus dem Motorsport oder aus der Leichtathletik hatte oder hat eine vergleichbare Karrierespanne auf anhaltend hohem Niveau.
"Vor Serena gab es keine Tennis-Ikone, die so aussah wie ich"
Doch ihr Wirken geht weit ΓΌber die bloΓen sportlichen Meriten hinaus. Sie hat Mauern eingerissen, Grenzen verschoben, neue MaΓstΓ€be gesetzt, inspiriert, ermutigt, den Sport geΓΆffnet, diversifiziert. Das ist ihr grΓΆΓter Verdienst. "Vor Serena, bevor ich geboren wurde, gab es keine Tennis-Ikone, die so aussah wie ich", erklΓ€rte dieser Tage Coco Gauff, die vielleicht die nΓ€chste groΓe afro-amerikanische Spielerin werden kΓΆnnte. Im "ΓΌberwiegend weiΓen" Sport, so die 18-JΓ€hrige, habe sie aber "nie gedacht, dass ich anders bin, weil die Nummer eins der Welt aussah wie ich". Ihr Leben, ihr Werdegang, ihr Kampf gegen das Tennis-Establishment, ihre Familie? Stoff fΓΌr Dokumentationen, einen Oscar-prΓ€mierten Film.
Serenas Karriere auf den Courts ist vorbei, und vielleicht wird diese traurige, noch immer surreal wirkende Erkenntnis zumindest ein wenig greifbarer durch eine Gewissheit: Die Spielerin Serena Williams ist gegangen. Eine andere Serena Williams wird bleiben: Die flammende KΓ€mpferin gegen Rassismus, fΓΌr Frauenrechte und gleiche Bezahlung, gegen Ausgrenzung und Ungerechtigkeit, fΓΌr Gleichberechtigung und Vielfalt. Die Mutter, die ihre Schwangerschaft und ihre neue Familienrolle ΓΆffentlich thematisiert hat wie keine Spielerin zuvor. Die Aktivistin mit ihrer Wortgewalt und ihrem Selbstbewusstsein, die sie einzusetzen versteht in der Γffentlichkeit, in Artikeln, Kommentaren, Interviews. Nicht fΓΌr sich, fΓΌr die Gesellschaft.
Und: Sie muss bleiben.