Wimbledon "Routinetier" mit Seltsamkeiten: Siegemunds Tennis-Märchen

Laura Siegemund steht vor ihrem größten Spiel. Im Viertelfinale von Wimbledon fordert sie Aryna Sabalenka heraus. Was die 37-Jährige so stark macht - und was die Favoritin an ihr "nervig" findet.
Laura Siegemund wollte inmitten ihres Tennis-Märchens erst gar keine Euphorie aufkommen lassen. Vor dem größten Spiel ihrer langen Karriere im Viertelfinale von Wimbledon freute sich die 37-Jährige auf ein Videostudium der Topfavoritin Aryna Sabalenka, statt an eine Party zu denken.
"Ich bin ein Routinetier, ich habe keine Lust in Feierstimmung zu kommen", sagte sie. "Ich versuche, nicht zu begeistert zu sein, das kann ich noch nach dem Turnier. Aber jetzt habe ich noch einen Job zu erledigen, und der ist noch nicht getan."
Sabalenka fürchtet Siegemund-Stil: "Es ist nervig"
Dieser Job führt Siegemund am Dienstag auf dem Centre Court (14.30 Uhr MESZ/13.30 Uhr Ortszeit) nun völlig unverhofft in das Duell mit der Weltranglistenersten. Sie habe "absolut nichts zu verlieren", kündigte Siegemund an. "Da darf ich mal wieder ganz fröhlich der Underdog sein."
Dem Vorhaben gilt die volle Konzentration, so zog sie am Montagmittag aus dem geplanten Doppel-Achtelfinale mit der Brasilianerin Beatriz Haddad Maia zurück. Bereits im Mixed hatte die Spezialistin für das Spiel zu zweit auf ihre Titelchance verzichtet.
Ihre nächste Gegnerin zeigt sich gewarnt - auch weil die Schwäbin auf der Tour gefürchtet ist. "Besonders auf Gras kann ihr Spielstil sehr knifflig sein. Es ist nervig", sagte die Belarussin Sabalenka. "Ich darf es nicht überstürzen und mich von ihrem Spiel frustrieren lassen."
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Doch wie ist die Sensation zu erklären, dass Siegemund es als älteste Spielerin der Wimbledon-Geschichte erstmals unter die Top Acht geschafft hat? Zuvor hatte sie beim Rasen-Klassiker maximal die zweite Runde erreicht. "Sie hat bereits das Turnier gewonnen, indem sie im Viertelfinale steht", sagte ihr Freund und Trainer Antonio Zucca stolz der Deutschen Presse-Agentur.
Mehrfache Kontroversen
Mit fortgeschrittenem Tennisalter hat Siegemund ihr Spiel umgestellt, agiert variabler und druckvoller. In Wimbledon präsentierte die Doppelspezialistin bislang für jede Gegnerin einen passenden taktischen Plan, entnervte so auch die Australian-Open-Siegerin Madison Keys aus den USA mit zahlreichen Stopps.
Dazu lässt sich Siegemund zwischen Punkten sehr viel Zeit, was in der Vergangenheit auch schon Superstars wie Coco Gauff zur Weißglut trieb. "Ich weiß, dass ich einige kontroverse Angewohnheiten haben", gestand die ausgebuffte Schwäbin in Wimbledon. "Ich bin sehr konstant mit meinen Seltsamkeiten. Ich mache das für mich und nicht gegen andere, aber das führt manchmal zu Konfrontationen."
Damen-Trainer rät: "Rausgehen, Spaß haben"
Dies könnte auch ein Rezept gegen Sabalenka sein, die zwar die wuchtigsten Schläge bei den Damen zeigt, aber mental nicht immer ganz gefestigt wirkt. Der dreimaligen Grand-Slam-Siegerin fehlt von den größten Turnieren nur in Wimbledon immer noch eine Finalteilnahme. "Ich habe den Wagemut, um große Namen rauszunehmen", kündigte Siegemund an. "Mir ist es auf respektvolle Weise egal, wer auf der anderen Seite steht."
Die beiden einzigen Aufeinandertreffen liegen bereits sechs Jahre zurück, Siegemund verlor jeweils glatt in zwei Sätzen. "Sie kann frei aufspielen, sie hat nichts zu verlieren, sie spielt unglaublich gut zurzeit", sagte der deutsche Damen-Auswahltrainer Rainer Schüttler, "insofern: Rausgehen, Spaß haben, es genießen. Mit 37 im Viertelfinale von Wimbledon zu stehen, ist sensationell."
Siegemund zu Trainer/Freund-Beziehung: "Schwierige Geschichte"
Diesen Erfolg will Siegemund erst nach dem Turnier so "richtig aufsaugen und genießen", wenn es mit ihrem italienischen Freund für ein paar Tage ins heimische Sardinien geht. Ausführlich sprach sie nach ihrem Viertelfinaleinzug über die besondere Beziehung.
"Das weiß jeder, der mit seinem Partner auch zusammen arbeitet: Das ist eine sehr schwierige Geschichte, es ist sehr schwierig, eine Balance zu finden. Wenn es so bombig läuft wie gerade, gibt es nicht viel, wo man aneinanderkantet" beschrieb sie das Verhältnis. Es gebe aber auch Zeiten, in denen sich dies nicht immer trennen lasse. "Wenn es auf dem Platz nicht so läuft, es dann mitschleppt und auch in die Beziehung mit reinbringt."
Derzeit könnte es aber gar nicht besser laufen. Ein Erfolgsrezept ist dabei auch die Entspannung unweit der Anlage des All England Clubs, wo Siegemund bei einer Londoner Familie in einem Haus wohnt. Neben der Vorbereitung auf ihre nächste Gegnerin freute sie sich auch noch darauf, auf der Terrasse ihr Buch weiterzulesen. "Ein Krimi", erzählte sie lachend. "Es ist richtig spannend." So wie ihr Wimbledon-Märchen.
- Nachrichtenagentur dpa