Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Du willst es doch auch Jérôme Boatengs Sonnenbrille

Ein Mann macht blau: Jérôme Boateng, der gestern auf der Tribüne ein desolates Fußballspiel anschauen musste, tat das immerhin durch bunte Gläser. Für seine gelegentlichen Geck-Auftritte kann man ihm nicht genug danken.
"Du setzt die Sonnenbrille auf, niemand soll seh’n, dass du weinst", singt die sehr empfehlenswerte Band Locas in Love in ihrem traurigschönen Lied "High Pain Drifter". Man muss leider sehr stark davon ausgehen, dass Jérôme Boateng dieses Lied nicht kennt, weil stylemäßig zu schnuffig, oder es dann eventuell doch nur heimlich im Schein der Marienkäfertaschenlampe unter der Bettdecke hört, wer weiß das schon.
Genauso kann man nur darüber spekulieren, ob der für das Südkoreaspiel gesperrte Abwehrspieler seine spektakuläre Sonnenbrille vor seinem Tribünenbesuch nur aus Sonnenstrahlen-Abblockungsgründen (und natürlich für das Swag-Grundrauschen) aufsetzte – oder tatsächlich damit rechnete, die weißgefassten Blaulinsen möglicherweise als Pokerface-Accessoire gebrauchen zu können. "Weinst du etwa, Jerome?" "Nö, das ist nur überschüssige Bügelwartungsflüssigkeit, die da unter meiner Sonnenbrille hervortröpfelt - DU weinst!"
Wer Boatengs Instagram Account folgt – was sich durchaus lohnt –, konnte gestern nur müde lächeln, als bei der Spielübertragung nach den ersten Einblendungen des bebrillten Boatengs bei Twitter sogleich die Schweißerbrillenwitzchen anfingen. Er trug das Modell schon zu diversen Gelegenheiten und scheint es wirklich zu mögen, denn man darf davon ausgehen, dass sich neben Boatengs rapportierterweise etwa 30.000 Paar Sneakern auch ein etwas großzügiges Sonnenbrillensortiment in seinem Besitz befinden dürfte. Es rührt das kalte Herz, wenn nach jedem Fotoauftritt der Blauglasbrille in den Kommentaren irgendwer Boateng direkt nach der Bezugsquelle fragt – auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer persönlichen Antwort ins Schrumpfprozentige geht, ist doch die Vorstellung sehr putzig, dass der Befragte beim Spaghettieis-Essen mit Buddy Jay-Z irgendwann kurz den Löffel zurück in den Becher steckt und kurz den genauen Modellnamen zurückkommentiert. Oder zumindest die Idee, dass Boatengs Fans glauben, so etwas könnte passieren. Aww.
Wahrscheinlich stammt die Brille aus Boatengs eigener Sehhilfen-Kollektion, die er vor ein paar Jahren auf den Markt brachte, Bügel- und Glasform entsprechen dem Modell "Visionary", nur die leicht geckige Farbkombination aus goldweiß und blau scheint ein persönliche Sonderausgabe zu sein (nur kurz zur Sicherheit: Sie sehen die Brille doch auch in diesen Farben, oder? Nicht, dass das wieder so eine Hirnnarretei wie die Sache mit dem goldenen/blauen Kleid ist). Und es gibt freilich keinerlei Grund dafür, ihren Träger für diesen kleinen Exzentriktupfer auszulachen – es sind ja genau diese kleinen Wunderlichkeiten neben dem Spielfeld, die eine Weltmeisterschaft erst amüsant machen.
Kaum etwas hat so viel humoristisches Potenzial wie knalleitle Menschen, die dann auch genügend Geld haben, ihre pfauenmäßige Prunkliege auch ohne natürliche finanzielle Schranken auszuleben. Es ist doch auch ein bisschen süß, dass sich Cristiano Ronaldo in seinem Privatjet stets in eine Hermès-Kuscheldecke schnuckelt. Es macht doch Spaß, sich den Dialog zwischen Neymar und seinem Frisör vorzustellen und zu überlegen, wer wohl wem diese extrem exaltierte Spaghettifrisur als wirklich gute Idee unterjubelte. Den Fans der deutschen Nationalmannschaft bleibt gerade ja nicht mehr viel andere Freunde. Was haben wir denn jetzt noch? Hoffentlich hat Jérôme Boateng noch ein paar schöne Modelle in seiner Brillenschatulle für schlechte Zeiten zurückgehalten.
Sonnenbrille aus der Boateng-Kollektion, 149 Euro.
Günstigeres Modell mit blauen Gläsern, 14,95 Euro