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Einstürzende Neubauten-Interview: Album, Karteikarten, Spotify


Nach zwölf Jahren zurück
Wie Einstürzende Neubauten mit Karteikarten Musik machen

InterviewVon Sebastian Berning

Aktualisiert am 14.05.2020Lesedauer: 7 Min.
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Einstürzende Neubauten: Die Berliner Band hat weltweit Fans und wird von Kritikern gelobt.Vergrößern des Bildes
Einstürzende Neubauten: Die Berliner Band hat weltweit Fans und wird von Kritikern gelobt. (Quelle: Mote Sinabel)

Seit vier Jahrzehnten ist die Band Einstürzende Neubauten aktiv. Nach zwölf Jahren erscheint jetzt das erste reguläre Studioalbum. Sänger Blixa Bargeld spricht mit t-online.de über die LP, Karteikarten und Spotify.

1981 erschien das erste Album "Kollaps" der Berliner Band Einstürzende Neubauten. Für viele ist es Krach, für andere eine Soundcollage. Für Musikkritiker zeitlos wie radikal. In den folgenden Jahrzehnten, hat die 1980 gegründete Band um Sänger Blixa Bargeld viele weitere Alben veröffentlicht. Das bislang letzte war "Alles wieder offen" von 2007. Mehr als zwölf Jahre später erscheint am 15. Mai die LP "Alles in allem".

Mit t-online.de spricht der 61-jährige Klangarchitekt Blixa Bargeld über die neuen Songs; erklärt, wie man anhand von Karten Musik macht und welche Überlebenszeit er der Band bei der Gründung gab.

t-online.de: Die Aufnahmen des neuen Albums "Alles in allem" waren durch die Bezahl-Video-Plattform Patreon geprägt, worüber Sie im direkten Kontakt mit Fans standen. Wie war die sogenannte "Phase IV" für Sie?

Blixa Bargeld: Wir haben Supporter, die uns finanziell bei dem neuen Projekt unterstützt haben. Für die machen wir viele Inhalte, wie Videos oder Chats. Der Plan war, dass wir innerhalb eines Jahres 100 Tage im Studio sind. Es ging uns nicht darum, dass wir ein neues Album aufnehmen wollten, sondern wir wollten schauen, was sich währenddessen entwickelt.

Sie hatten auch einige Events dazu geplant, die wegen der Corona-Krise ausfallen mussten.

Der krönende Abschluss wäre die sogenannte chaotische Generalprobe in Potsdam am 19. April gewesen und am 20. April im Konzerthaus in Berlin aufzutreten. Dazu hätte es eine Bustour mit mir als Kommentator durch das Neubauten-spezifische Berlin gegeben. Dazu hätte es in den Hansa Studios eine Listening Session gegeben, um den Supportern das ganze Material vorzuspielen. Durch Corona wurde uns all das unter den Füßen weggezogen. Wir haben das alles durchgezogen und dann kurz vor Ende wird uns dies abgeschnitten. Es hatten sich 500 Supporter Tickets gekauft, Flüge und Hotels gebucht. So etwas kann man nicht wiederholen oder verschieben.

Was soll dann mit den Patreon-Supportern geschehen?

Wir sitzen alle im Lockdown. Wir erzeugen Content und da sind die Unterstützer sehr glücklich drüber, dass sie für eine gewisse Zeit abgelenkt werden und in Kommunikation treten können. Wir wollten zumindest die Listening Session durchziehen und hatten in den Hansa Studios einen sehr komplizierten technischen Aufbau, um das zu streamen. Der Server ist jedoch zusammengebrochen, weil sich 400 Leute angemeldet haben. Wir haben es mit kleineren Gruppen dann noch einmal versucht. Es war wunderschön, den Fans das neue Album "Alles in Allem" vorzuspielen und zu sehen, dass es sie und auch uns glücklich macht. Jetzt wissen die Leute, wofür sie ihr Geld bezahlt haben.

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Das Album erscheint wie geplant, Ihre Tour wurde dennoch auf den Herbst verschoben. Wie sehr trifft Sie das als Band?

Das Konzert am Gendarmenmarkt in Berlin etwa war etwas Besonderes und kein übliches Konzert. Wenn es jetzt auch verschoben wurde, dann wird es einfach Bestandteil der Tour werden. Die Verschiebung der Tour im Sommer trifft uns gewaltig. Es trifft unseren Konzertveranstalter unglaublich hart. Auch unsere Amerikatour ist davon betroffen. Da sind schon die Hotels, die Flüge und die Busse gebucht gewesen. No refund… Das ist jetzt die dritte Amerikatour, die abgesagt werden musste. Ich denke, jetzt war es das mit den USA. Aber wenn man sich das Land anschaut, war es das wohl sowieso für Amerika. (lacht)

Gegenstand der Tour wäre das neue Album "Alles in allem" gewesen. Wenn man die Veröffentlichung von "Lament" nicht einbezieht, ist das Ihr erstes Studioalbum seit über zwölf Jahren. Wie kam es dazu?

Uns war schon klar, dass es in die Richtung eines Albums gehen könnte, wenn wir das Studio betreten. Aber es ging uns nicht ausschließlich darum. Wir haben auch Singles aufgenommen und an unsere Supporter verschickt. Es gab ein sehr schönes Stück, das hieß "Europawahl". Da haben die Supporter sich beim Gang zum Wahllokal und wieder zurück aufgenommen. Manche haben die Aufnahme sogar beim Wählen laufen lassen. Wir haben das dann übereinander gelegt. Ich hatte überlegt, ob das auf das zweite Album kommen sollte.

Auf das zweite Album?

Es sind zwei Alben entstanden. Das reguläre Album und in der Deluxe-Version gibt es noch ein zweites als Bonus. In diesen 100 Tagen Arbeit ist viel entstanden. "Alles in Allem", Singles und viele andere Kleinigkeiten. Als ich im Januar 2019 aus Hongkong zurückkam, hatte ich einen Jetlag und konnte nicht schlafen. Da wurde mir klar, ich muss noch ein Album mit den Neubauten machen. Vorher habe ich das immer von mir weggeschoben, wenn die Frage kam. Es ist wie der alte Spruch von Arnold Schönberg: "Kunst kommt nicht von Können, Kunst kommt von Müssen." Vorher hatte ich nicht das Gefühl "ich muss". Ich habe dann den Rest der Band gefragt, ob wir es versuchen wollen und dann entstand dieses Konzept mit den 100 Tagen Arbeit.

Wo sehen Sie die größten Unterschiede zu "Alles wieder offen" oder "Lament"?

Besonders "Lament" war nicht unwichtig für die Entwicklung der neuen Songs. Das war eine Bühnenproduktion. Die Arbeit war davon geprägt, wie man die Lieder live umsetzen kann. Daraus ergab sich der Fakt, dass "Lament" viel offenen Raum hat. Das ging jetzt in der Phase IV genauso weiter. Wir haben alle Entscheidungen auf den Hinblick getroffen, wie wir ein Stück live umsetzen können. Vielleicht ist das altersbedingt, aber wir haben mehr Gelassenheit. Früher habe ich die Songs mit viel mehr ausgeschmückt, als heute. Wir können jedes neue Stück auch genauso auf der Bühne umsetzen.

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In einem Patreon-Video sieht man, dass Sie eine Box mit 600 Karten haben, wo Anweisungen und Anregungen draufstehen, was man spielen soll. Wie funktioniert das genau?

Das habe ich schon vor 20 Jahren gemacht. Das erste Auto, in dem ich ein Navigationssystem hatte, hieß die Stimme Dave. Deswegen wurde dieses Kartensystem Dave genannt. Es ist eine Art Navigationssystem für die Neubauten. Alle guten Ideen, die wir jemals hatten, also Personen, Instrumenten, Spielweisen, finden sich hier wieder. In der Regel spielen wir so, dass jeder ein paar Karten zieht und die für sich behält. Außer es steht vielleicht drauf "Blixa fängt an", dann wäre es nett, dass man mir das mitteilt. (lacht) Im Grunde sind diese Karten eine Frage der Interpretation. Wenn auf einer steht "Zufall" oder "Trommel", dann kann ich die auch variieren. Das hatte ich zum Beispiel und habe das kombiniert als "Was ist eine Zufallstrommel" und kam dabei auf eine Lotteriemaschine. Dann habe ich so etwas gebaut. Aber keiner weiß, was der andere vorhat.

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Wie erfolgreich ist so ein Songwriting nach Zufallskarten?

Aus den meisten Ideen wurde etwas. Etwa unsere erste Single "Ten Grand Goldie" ist so entstanden. Es geht darum Routinen zu unterwandern und Logik zu sabotieren. So entstand auch das Bonusalbum von "Alles wieder offen", "The Jewels". Das besteht nur aus solchen Stücken. Nach 20, 30 Jahren entstehen natürlich Routinen, so kommen wir da heraus. Wenn man eine Karte hat, die man neu interpretieren muss, unterwandert man alte Prozesse.

Dieses Prinzip verfolgen Sie seit 20 Jahren, die Band gibt es nun seit 40 Jahren. Hätten Sie gedacht, dass aus einer Soundcollage wie "Kollaps" so eine lange Karriere entstehen könnte?

Ganz am Anfang hatten wir sogar sehr viele konventionelle Instrumente. Der Anfang war 1980. In den ersten beiden Jahren dachte ich eigentlich immer, dass die Band nie länger als eine Woche zusammenbleiben wird. (lacht) Da war die Besetzung oft eine andere. Aber als wir bei einem Anwalt in London saßen und einen Plattenvertrag unterzeichneten und verpflichtet waren, Alben aufzunehmen, wurde es offensichtlich, dass wir weitermachen. Leider haben wir für diese Alben bei Some Bizzare Records bis heute keinen Pfennig gesehen. Die Rechte der Platten liegen noch bei dem Label.

Trotzdem sind viele der frühen Neubauten-Alben jetzt auch bei Spotify und Apple Music zu hören. Wie kam es dazu, dass Sie ihren Katalog zum Streamen bereitgestellt haben?

Wir haben uns früher dagegen gewehrt bei diesen Streaminganbietern mitzuwirken, weil bekannterweise die Bezahlung schlecht ist. Aber wir haben verloren und können es nicht mehr ignorieren. Streaming macht den Großteil des Musikkonsums aus. Es gibt sozusagen eine Übergangsphase, da hat die Musikindustrie Platten auf Vinyl veröffentlicht und da einen Downloadcode beigelegt, dass man sich die Musik auch digital anhören kann. Die hat aber eigentlich kaum jemand benutzt. Man bezahlt für diese Codes und nur ein geringer Prozentsatz nutzt die überhaupt. Die normale Konstellation scheint zu sein, dass man sich eine LP kauft und die vielleicht auch daheim auflegt, aber sonst nutzt man Spotify.

Wie finden Sie diese Entwicklung? Heute reichen ein paar 100 verkaufte CDs oder LPs für Platz 1 der Charts, weil der Rest durch Streams erzeugt wird. Ist das schade oder einfach der Lauf der Dinge?

Es ist jetzt halt so. Ich finde es aber erstaunlich, dass Vinyl so ein Comeback feiert. Das ist erstaunlich. Ich kann mich noch an die bekloppte CD-Hysterie erinnern, als sie aufkam. Ich glaube, ich habe gewartet bis fünf meiner Titel auf CD erhältlich waren, bevor ich mir überhaupt einen CD-Player gekauft habe. Dann durfte ich mir alles, was ich auf Vinyl hatte noch einmal auf CD kaufen.

Mittlerweile werden die Einstürzenden Neubauten auch als Kultband verehrt. Ist das Prädikat "Kultband" ein Kompliment?
Einfach die Tatsache, dass wir das 40 Jahre durchgehalten, macht uns vielleicht nicht zum Kult, aber vielleicht "legendär". Ich würde sagen, die Einstürzenden Neubauten sind legendär. Bei Google Allerts kriege ich oft die Mitteilung, wenn Bands in Kritiken beschrieben werden mit "klingt wie Einstürzende Neubauten". Wir haben uns also als Beschreibungsfloskel etabliert, ähnlich wie "Das klingt wie The Velvet Underground".

Verwendete Quellen
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