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"Tatort" und Co.: Was steckt hinter dem Krimi-Hype bei ARD und ZDF?


Höhenflüge im Corona-Lockdown
Beruhigungsmittel Krimi – Corona-Hype oder mehr?

  • Steven Sowa
Von Steven Sowa

31.01.2021Lesedauer: 4 Min.
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"Tatort: Tödliche Flut": 10,96 Millionen Zuschauer sahen den Konflikt zwischen Wotan Wilke Möhring und Franziska Hartmann im linearen Fernsehen.Vergrößern des Bildes
"Tatort: Tödliche Flut": 10,96 Millionen Zuschauer sahen den Konflikt zwischen Wotan Wilke Möhring und Franziska Hartmann im linearen Fernsehen. (Quelle: NDR/Christine Schroeder)

Deutschland steht still, doch die Fernseher des Landes laufen auf Hochtouren. Primetime-Krimis sorgen regelmäßig für Rekordzahlen und werfen die Frage auf: Was sagt das über unsere Zeit? Eine Annäherung.

Die wogenden Wellen des Wattenmeeres vor der Insel Norderney, eine mysteriöse Hoteldirektorin mit DDR-Vergangenheit, irre Zustände in einer Stuttgarter Baugemeinschaft: Millionen Deutsche kennen diese Versatzstücke aus den jüngsten "Tatort"-Geschichten. Nicht nur der Sonntagskrimi erfreut sich derzeit schwindelerregender Quotenhöhenflüge. Auch die "Nord bei Nordwest"-Folge "Im Namen des Vaters" verzeichnete 10,08 Millionen Zuschauer und "Nord Nord Mord", "Marie Brand", "Wilsberg", "Ein starkes Team" und "Die Toten vom Bodensee" lockten jeweils mehr als 8 Millionen Zuschauer vor die Röhre.

Es ist ein erstaunliches Fernsehphänomen, das sich derzeit beobachten lässt. Vergleicht man nur die Zuschauerzahlen der vier "Tatort"-Erstausstrahlungen im Januar 2019, 2020 und 2021 miteinander, ist der Rekordmonat dieses Jahr perfekt. Mehr als 41 Millionen "Tatort"-Fans im Januar übertrumpfen die 34 und 37 Millionen aus den Vorjahren deutlich. Ein Corona-Umstand? Mit Sicherheit spielt es eine Rolle, dass Deutschland im Lockdown verharrt und die Menschen in der Isolation häufiger zur Fernbedienung greifen.

"Kriminalfilme erzählen von Ordnungsstörungen"

Doch warum sind es ausgerechnet Krimis, die als telegene Marke eine Blütezeit erleben? Schon seit jeher ist das Genre mit den Ermittlerduos des Deutschen liebstes TV-Produkt. Es kommt also nicht von ungefähr, dass ARD und ZDF – kraft ihres Auftrags Gralshüter der deutschen Fernsehbedürfnisse – wie am Fließband Krimis produzieren. Die Suche nach dem Bösen steht vor allem für ein Grundbedürfnis: Beruhigung. Was auf den ersten Blick widersprüchlich klingen mag, wirkt bei näherer Betrachtung logisch.

"Kriminalfilme erzählen von Ordnungsstörungen und der Wiederherstellung einer Ordnung. Am Ende eines Krimis gelten Probleme in der Regel als gelöst, die moralische Schieflage als korrigiert", beschreibt Professor Dennis Gräf von der Uni Passau das Genre auf Nachfrage von t-online. Er muss es wissen, schließlich hat er mit der Arbeit "Tatort. Ein populäres Medium als kultureller Speicher" promoviert. Tatsächlich sind die Verhältnisse in deutschen Krimis klar ausdifferenziert: Der alte Kampf – Gut gegen Böse – erzählt in 90 Minuten. Die Zuschauer können sich mit den Figuren der Ermittler identifizieren und sich so in der Gewissheit wähnen, auf der richtigen Seite zu stehen.

Ein Ausnahmezustand wie die Corona-Pandemie als Katalysator einer ohnehin vorhandenen Sehnsucht? Gräf meint: "In einer Zeit der Krise, so ließe sich vermuten, könnte das Bedürfnis nach Geschichten, die zu einer Ordnung finden, höher sein als in einer nicht als krisenhaft wahrgenommenen Zeit." In eine heile Welt flüchten, oder zumindest in einen Kosmos, der Klarheit verspricht, das ist Eskapismus in Reinform und seit Jahrhunderten bekannt.

Interessant an den neuen Quotenrekorden ist eher ein anderer Aspekt. Es ist nicht lange her, da war in den Unkenrufen über das lineare Fernsehen immer das gleiche zu vernehmen: Das TV-Medium sei aus der Zeit gefallen. 20.15 Uhr, Primetime, Fernsehr als Lagerfeuer? Längst Geschichte, so der Tenor. Streamingangebote wie Netflix, Amazon und Co. versprachen den Menschen eine "schöne neue Welt", in der keine Abhängigkeiten von Sendeterminen die Tagesplanung diktieren. Einschalten wo und wann man will, das scheint aber in Corona-Zeiten nur noch bedingt in Mode zu sein.

Struktur im Alltag – und der Fernseher läuft ab 20 Uhr

Greift Deutschland wieder kollektiv ab acht Uhr zur Fernbedienung? Dafür sprechen vor allem auch die Zahlen der "Tagesschau". Pro Tag kam die Nachrichtensendung vergangenes Jahr auf durchschnittlich 11,78 Millionen Zuschauer. Laut ARD der "höchste Wert seit Beginn der Quotenmessung". Medienforscher Prof. Dr. Joachim Trebbe sagte im Gespräch mit t-online bereits im April 2020: "Es gelingt dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Krise Vertrauen zurückzugewinnen." Chaos verlange nach Einordnung und diese Chance würden ARD und ZDF nutzen, so der Wissenschaftler von der FU Berlin.

Die Krimis laufen reihenweise im Anschluss und profitieren vom Zulauf ihrer Vorgängersendung. Ein klar strukturiertes TV-Programm also, das in einer Zeit der Ungewissheiten Ordnung verleiht. War es nicht das, wovon "Tatort"-Experte Dennis Gräf im Hinblick auf die Funktionsweisen des Krimis sprach? An diesem erweiterten Zusammenhang bekundet er so seine Zweifel: "Hier wäre die Frage zu stellen, ob es wirklich wahrscheinlich ist, dass die Krise durch fiktionale Angebote zu kompensieren versucht wird, weil die gegenwärtige Krise doch zu sehr den Alltag strukturiert und omnipräsent ist."

Das Erfolgsmodell Krimi, es ist alt und es profitiert von der Krise. Kausalitäten zwischen Lockdown und Krimi-Hype, sie lassen sich nur schwer ermitteln – wie in einem vertrackten Fall, der erst kurz vor Schluss die Auflösung preisgibt. Endet das kollektive Verharren in den eigenen vier Wänden mit den ersten frühlingshaften Blüten, wird Licht ins Dunkel dieses Wohnzimmerphänomens kommen und damit vielleicht die Erkenntnis, das ein Hype so schnell wieder vergehen kann, wie er gekommen ist. Nur die Programmmacher des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sollten die Gunst der Stunde nutzen. Die Diskussion um 86 Cent mehr für den Rundfunkbeitrag, sie wird von der Frühlingssonne auch in einigen Monaten nicht ausgeblendet. Aber, um im Krimibild zu bleiben: Am Ende wird alles gut.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Prof. Dr. Dennis Gräf
  • Eigene Recherchen
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