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"Die Passion" bei RTL: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"


"Die Passion" bei RTL
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"

MeinungEine Rezension von Verena Maria Dittrich

Aktualisiert am 14.04.2022Lesedauer: 3 Min.
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"Die Passion": Jesus (Alexander Klaws) wird nach dem Verrat von Judas von den Römern abgeführt.Vergrößern des Bildes
"Die Passion": Jesus (Alexander Klaws) wird nach dem Verrat von Judas von den Römern abgeführt. (Quelle: dpa)

Jesus sitzt im Polizeiauto mit Jo Gerner, Gil Ofarim ist ein furchtloser Jünger und für die Ostergeschichte müssen wir "durch den Monsun" von Tokio Hotel. Wie aber – um Himmels willen – kommt man auf die Idee, Jesus wäre heute ein Influencer?

Einige der letzten Worte, die Jesus am Kreuz gesagt haben soll, lauten: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!" Das möchte man auch den Verantwortlichen entgegenrufen, die allen Ernstes geglaubt zu haben scheinen, mit der Kreuzigung Christi als Musik-Live-Event ein großes TV-Spektakel auf die Bildschirme dieser Republik zu zaubern.

Lieber Gott, denkt indes der Zuschauer und kann nicht glauben, was er sieht: Findet das Geschehen wirklich live auf einem Marktplatz und in einer Fußgängerzone in Essen statt? Tatsächlich wird er an diesem Abend Zeuge einer an Dilettantismus und Fremdscham kaum zu überbietenden Show. Man kann all die Ereignisse gar nicht so schnell verarbeiten. Ist das alles ernst gemeint oder eine neue Form des Trash-TV?

Mit jeder neuen Szene erleidet die Festplatte im Hirn zig kleine Kurzschlüsse. Irgendwann, wenn der Verstand sich vollends verabschiedet hat und die Synapsen sich zu Tausenden in den Freitod gestürzt haben, sitzt man nur noch vor dem Fernseher und – lacht! Weil man es anders gar nicht ertragen kann!

Jesus wäre heute Influencer

Da ist Thomas Gottschalk auf einer großen Bühne und gibt den Erzähler eines "TV-Events, das es so noch nie gegeben hat". Der Gedanke hinter der Neuinterpretation der Ostergeschichte: Er mag gewiss ein guter gewesen sein. Auch Alexander Klaws gibt als neumodischer, schnittiger Jesus sein Bestes. Unterm Strich jedoch ist die gesamte Umsetzung dieses Projektes ein Tiefpunkt deutscher TV-Unterhaltung, wenn nicht sogar DER Tiefpunkt.

Man möchte die Geschichte von Jesus erzählen, von Nächstenliebe und Respekt. Modern soll sie sein und ins Jahr 2022 passen. Und weil die Spritpreise aktuell durch die Decke knallen, kommt Jesus mit seinen Jüngern auch im Bus in Essen an. Zu diesen gehören unter anderem Gil Ofarim, Mark Keller als Judas und Laith Al-Deen als Petrus. Henning Baum mimt Pontius Pilatus, Ella Endlich Jesus' Mutter Maria.

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Alles wirkt ziemlich konfus und überladen. Man kommt kaum mit, wenn der Trompeter Stefan Mross, der Sänger Prince Damien oder die Ex-"GZSZ"-Mimin Sila Sahin durch ein Kaufhaus flanieren. Und Jesus, der heutzutage – und das sagen sie tatsächlich – wohl "Influencer wäre", macht fleißig Selfies. Dazu werden ein paar deutsche Pop-Lieder gesungen, die meist überhaupt nicht zur Passionsgeschichte passen. Ella Endlich müht sich sogar an einem wundervollen Song von Andreas Gabalier ab, den er einst für seinen verstorbenen Vater geschrieben hat.

Jesus mit "Jo Gerner" und "Walter" im Polizeiauto

Dabei möchte man wirklich versuchen, diesem vermeintlichen TV-Spektakel eine Chance zu geben. Aber die Fremdscham ist zu groß. Und sie endet auch nicht, als Jesus von Judas verraten und in ein Polizeiauto verfrachtet wird, indem "GZSZ"-Bösewicht Jo Gerner (Wolfgang Bahro) und Katy Karrenbauer alias "Walter" sitzen.

Zwischendurch interviewt die Moderatorin Annett Möller Menschen, die ein großes weiß glühendes Kreuz durch die Innenstadt von Essen tragen, nach ihrer Beziehung zu Jesus. Wir lauschen einer Dame, die von einem Wunder erzählt. Ihr Mann, erst sterbenskrank, sei plötzlich wieder gesund gewesen, weil sie "sehr viel gebetet" habe.

Dieser Versuch, die Geschichte Jesu in ein neues Gewand zu verpacken, scheitert kläglich auf ganzer Linie. Und es ist nicht übertrieben, wenn man ihn auch als eine Bagatellisierung all dessen sieht, wofür die Leiden Christi stehen. Einziger Lichtblick: Alexander Klaws' Darbietung in seiner Interpretation der Getsemani-Sequenz.

Eine Currywurst für "Calli"

Inszenierung, Kamera, Ausstattung, Licht – alles wirkt wie ein Schulprojekt der Klasse 7a der Martin-Luther-Gesamtschule aus Sodom. Auf der anderen Seite hat man technisch keine Mühen gescheut. Derlei Peter-Prinzip-Projekte sind das Resultat grenzenloser Selbstüberschätzung und Talentlosigkeit. Und vielleicht, so hat man sich wohl gedacht, kommt es beim Zuschauer gut an, wenn Reiner "Calli" Calmund sich eine Currywurst schmecken lässt und Judas (Mark Keller) "durch den Monsun" von Tokio Hotel muss.

Diese schräge Reizüberflutung, sie wird in den kommenden Tagen wohl noch für Gesprächsstoff sorgen. Fragen werden zu klären sein. Hat diese unchristliche Wurstigkeit wirklich jemand frei von Ironie ertragen? Hatte Stefan Mross heimlich seine Trompete dabei? Gibt's das bald auch als "Weihnachtsgeschichte" und wenn ja, welche Stadt wird dann Betlehem sein?

Vielleicht ist dieses TV-Event nur ein weiteres Sinnbild unserer heutigen Gesellschaft. Vielleicht haben wir es nicht anders verdient, dass "der größte Verrat der Kulturgeschichte" durch eine Einkaufsmeile in Essen führt. Eines aber ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Die deutsche Fernsehunterhaltung ist an diesem Abend unter der Bürde des Kreuzes ein Stückchen mehr zusammengebrochen.

Verwendete Quellen
  • RTL-Live-Event "Die Passion" vom 13. April 2022
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