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Jordan Peterson in Berlin: Der Rockstar der Neuen Rechten


Jordan Peterson in Berlin
Der Rockstar der Neuen Rechten

Von Yannick von Eisenhart Rothe

Aktualisiert am 30.09.2022Lesedauer: 5 Min.
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Der umstrittene Kanadische Autor Jordan Peterson (Archivbild): Gefeiert wie ein Rockstar. (Quelle: via www.imago-images.de)

Vor Tausenden Fans ist der umstrittene Autor Jordan Peterson in Berlin aufgetreten. Vor allem junge Männer verehren ihn. Aber warum?

Der Mann sieht nicht aus, wie man sich einen Rockstar vorstellt. Graue Haare, graue Krawatte, blauer Maß-Anzug. Aber schon bevor Jordan Peterson an diesem Abend die Bühne im Berliner Tempodrom betritt, können seine Fans ihre Begeisterung kaum zurückhalten. Bei der kleinsten Bewegung auf der Bühne brandet Jubel auf wie bei Konzerten von Weltstars. Und als er dann kommt, angekündigt von seiner Ehefrau Tammy Peterson, erheben sich Tausende Zuschauer im ausverkauften Saal.

Peterson ist ein Psychologie-Professor aus Kanada, Bestseller-Autor von Selbsthilfe-Ratgebern und Social-Media-Star. Auf YouTube folgen dem 60-Jährigen 5,6 Millionen Menschen. Und er ist höchst umstritten. Er gilt als Kämpfer gegen "Political Correctness" und gegen Gender-Theorien, wettert gegen Feminismus und Progressive. Vor allem in der Neuen Rechten wird er verehrt.

Im neuen Film von Olivia Wilde ("Don't Worry Darling") dient Peterson laut Regisseurin als Vorlage für den Bösewicht, der mit Hilfe von frustrierten Männern eine Gemeinschaft aufbaut, in der Frauen nichts als hübsche, willige, kochende Anhängsel ihrer Männer sind. Der Kanadier ist gerade auf Europa-Tournee, der Vortrag in Berlin ist sein einziger in Deutschland.

Jordan-Peterson-Fans in Berlin: Jung, männlich, Anzug und Krawatte

Wer sind die Menschen, die ihm hier zujubeln? Und was fasziniert sie so an ihm? Das Publikum besteht überwiegend aus jungen Männern zwischen 18 und Ende 20. Ein paar sind mit weiblicher Begleitung gekommen, viele tragen Anzug und Krawatte, wie ihr Held.

Einer davon ist Peter, grauer Anzug, rote Krawatte. Zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung steht er schon mit einem Freund vor dem Tempodrom. Der 24-jährige BWL-Student ist aus Düsseldorf angereist. Er sei Peterson-Fan, seitdem er dessen Buch "12 Rules for Life" gelesen habe. Die Lektüre habe sein Leben verändert. "Regel eins besagt zum Beispiel, dass man immer eine aufrechte Haltung haben soll, weil man sonst das falsche Mindset hat."

Peterson erkläre das an Hummern. Wenn Hummer nach verlorenem Kampf ihre aufrechte Haltung aufgäben, dann seien sie auch in weiteren Kämpfen unterlegen. "Und das Leben ist ja ein Kampf", sagt Peter. Außerdem sei Peterson ein Konservativer wie er selbst. Familie und Religion seien ihm sehr wichtig.

Fabian, 19, Abtreibungsgegner und Peterson-Fan

Der 19-jährige Fabian* ist für Peterson aus Coburg nach Berlin gekommen. Alleine, sein großer Bruder hatte kurzfristig keine Zeit. "Ich bin Fan, wer weiß, wann es nochmal so eine Gelegenheit gibt", sagt der Jura-Student. Er verfolge Peterson seit zwei Jahren, vor allem auf YouTube. "Er ist sehr wortgewandt. Und inhaltlich haben wir viele Übereinstimmungen." Auch Fabian sagt, dass Petersons Ratschläge ihm helfen würden. Er habe gelernt, dass man Verantwortung übernehmen müsse, um dem Leben Sinn zu geben. "Wir haben zum Beispiel zu Hause acht Hasen, um die ich mich kümmere. Das ist Verantwortung."

Fabian sieht die aktuelle Welt von einer "Renaissance des Sozialismus" bedroht. Peterson wehre sich stark dagegen, dass die Meinungsfreiheit an US-Unis "von Linken eingeschränkt" werde, auch das finde er gut. Er sei Mitglied bei den Jungen Liberalen. Aber bei ein paar Treffen habe er gemerkt, dass er mit den Julis vor Ort nicht so gut klarkomme. Etwa, weil er Abtreibungsgegner sei, das komme bei den anderen nicht so gut an.

Es sind aber nicht nur Fans vor das Tempodrom gekommen an diesem Abend. Matias erzählt, dass er erst bei der Gegendemo ein paar Straßen entfernt gewesen sei. Jetzt wolle er sich anschauen, wer hier herkommt. "Für mich ist Peterson ein Faschist", sagt der 34-jährige Filmemacher aus Argentinien, der in Berlin lebt. Seinen Hass verpacke er in schlau klingende Worte, das sei das Gefährliche. "Seine Transphobie ist unerträglich", sagt Matias.

"Bin ich deswegen homophob?" – "Ja, schon"

Ein Beistehender lauscht dem Gespräch minutenlang. Er wolle mal die Argumente hören, sagt der Mann, der sich als René, 29, aus Hannover vorstellt. Auch er sei Peterson-Fan. "Weil der Sachen sagt, die heute nicht mehr erwünscht sind." Meinungsfreiheit sei ihm wichtig. Als Matias ihn auf Petersons Transphobie anspricht, antwortet René, dass das eben dessen Meinung sei.

Die beiden kommen auf Homosexualität zu sprechen. Er habe nichts gegen Schwule, sagt René. "Aber wenn zwei Männer sich küssen, fühlt sich das für mich komisch an, ich schaue weg. Bin ich deswegen homophob?", fragt René. "Ja, schon", antwortet Matias. Trotz der gegensätzlichen Ansichten bleibt das Gespräch ruhig.

Während die beiden sich unterhalten, kommt die Demonstration am Tempodrom an, zu der das Bündnis "Keine Bühne für Täter" aufgerufen hatte. Etwa 300 Menschen protestieren gegen den Auftritt, etliche Polizeikräfte trennen sie von den Peterson-Fans. Matias jubelt lautstark, stimmt in die Sprechchöre ein und schließt sich der Demonstration an. "Das finde ich jetzt nicht gut. Die sind mir zu radikal", sagt Renè.

Wenige Fragen, minutenlange Monologe

Auch Peterson selbst hat die Demonstration mitbekommen. "Der Antifa-Mob hat euch ganz schön angeheizt, oder?", ruft er dem jubelnden Publikum zu, nachdem er die Bühne betreten hat. Das Johlen wird noch lauter.

Auf der Bühne stehen zwei braune Ledersessel, Peterson nimmt neben seiner Frau Tammy Platz. Sie stellt ihm Fragen, die Fans vorher online einreichen durften. Er antwortet darauf mit minutenlang mäandernden Monologen, die nur in Bruchstücken etwas mit der Ausgangsfrage zu tun haben. Während er spricht, sitzt sie lächelnd daneben, aufrechte Haltung, gefaltete Hände, und starrt ihn an.

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Peterson spricht über Ziele und Selbstoptimierung, empfiehlt jungen, verunsicherten Männern seinen kostenpflichtigen Online-Schreibkurs, der mehr Glück, körperliche Gesundheit und Produktivität verspricht. Was er auch sagt, der Saal ist begeistert, klatscht, lacht. Ein junger Mann mit kahlrasiertem Kopf und dichtem Schnauzer nickt fast bei jedem Peterson-Satz.

"Euer Land zerreißt sich selbst aufgrund dieser Schuld"

Besonders laut wird der Jubel aber, wenn Peterson Seitenhiebe an seine linken Gegner austeilt. "Progressive Intellektuelle, das ist ein Widerspruch in sich." Oder: "Identität ist nichts, was man fühlt."

Peterson berichtet von einem Besuch des Holocaust-Mahnmals am Brandenburger Tor vor seinem Auftritt. Deutschland trage die Last der Schrecken des 20. Jahrhunderts. "Euer Land zerreißt sich selbst aufgrund dieser Schuld." Seine Heimat Kanada zerreiße sich auf ähnliche Art und Weise, weil die Regierung die Geschehnisse rund um die Besiedlung durch Europäer als Genozid bezeichne.

"Dieser Begriff sollte nicht leichtfertig verwendet werden", sagt Peterson. In Kanada wurden in den vergangenen Jahren die Knochen Tausender Menschen im Umkreis ehemaliger Internate gefunden. Diese mussten indigene Kinder, die dort umerzogen werden sollten, zwangsweise besuchen.

Die Anti-Baby-Pille "könnte die Menschheit zerstören"

Auf die Frage, wie schlimm er das deutsche Schulsystem und die dort gelehrte, liberale Sicht auf Geschlecht finde, taucht Peterson in sein Lieblingsthema ein: die Unterschiede von Männern und Frauen. Es gebe zwar femininere Männer und maskulinere Frauen, aber keine "Menschen, die im falschen Körper geboren sind". Schallender Applaus.

Dann spricht Peterson über die Erfindung der Anti-Baby-Pille. Diese könnte "die Menschheit zerstören", behauptet er. Erstmals in der Geschichte hätten Frauen die Macht über die Reproduktion. Die Auswirkungen davon könne man noch nicht abschätzen. Applaus.

Nach gut anderthalb Stunden und etwa fünf gestellten Fragen steht Peterson plötzlich auf und verabschiedet sich unter stehenden Ovationen. Der eifrige Nicker springt auf und mahnt seinen Nebensitzer zur Eile. "Wir müssen zum Meet and Greet". Karten dafür konnte man vor dem Auftritt am Merchandise-Stand kaufen.

Was sie dafür bezahlt haben? "200 Euro pro Person", sagt der Mann und eilt davon.

*Der Name des Protagonisten wurde nach Veröffentlichung auf seinen Wunsch geändert.

Verwendete Quellen
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