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Kommentar: Facebook und die Mutter aller "Fake News"


Antisemitismus
Facebook und die Mutter aller "Fake News"

MeinungVon Laura Stresing

21.07.2018Lesedauer: 5 Min.
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Mark Zuckerberg: Der Facebook-Gründer fühle sich zwar "zutiefst beleidigt" von Beiträgen, die den Holocaust leugnen. Verbieten will er solche Inhalte dennoch nicht.Vergrößern des Bildes
Mark Zuckerberg: Der Facebook-Gründer fühle sich zwar "zutiefst beleidigt" von Beiträgen, die den Holocaust leugnen. Verbieten will er solche Inhalte dennoch nicht. (Quelle: Marcio Jose Sanchez/ap-bilder)

Facebook-Chef Mark Zuckerberg will Beiträge, Seiten und Gruppen von Holocaust-Leugnern nicht von der Plattform verbannen. Das zeigt, wie wenig der Konzern fähig oder willens ist, etwas gegen Hass und Hetze auf seinen Seiten zu unternehmen.

In einem bemerkenswerten Interview mit dem Tech-Magazin "Recode" hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg erklärt, dass er sich zwar durchaus persönlich angegriffen fühle, wenn Menschen auf seiner Plattform den Holocaust leugnen (Zuckerberg ist selbst jüdisch). Dennoch halte er es für falsch, entsprechende Beiträge zu löschen oder die Autoren zu sperren. Stattdessen schlägt er vor, die Reichweite der Postings zu beschränken.

Bemerkenswert ist das Interview aus mehreren Gründen:

  • Erstens hätte der Facebook-Gründer jedes andere Beispiel aus dem Handbuch für Facebook-Moderatoren wählen können, um seine Strategie im Kampf gegen Hasskommentare und Falschmeldungen zu erläutern – und wäre damit besser gefahren.
  • Zweitens drückte sich der junge CEO auch noch so unglücklich aus, dass er sich hinterher zu einer weiteren Stellungnahme genötigt sah und seinen Kritikern erklären musste, dass er Holocaustleugner keinesfalls verteidigen wolle.
  • Drittens – und das ist der wichtigste Punkt – bleibt vor allem eines hängen: Das weltweit größte soziale Netzwerk hat nicht vor, sich dem Hass auf seinen Seiten entgegen zu stellen. Denn wie soll man eine Plattform ernst nehmen, die vorgibt, "Fake News" zu bekämpfen, aber eine der größten politisch motivierten Lügen unserer Zeit toleriert?

"Aus Versehen" den Holocaust leugnen – das geht nicht

Man könnte sagen: Die Holocaustverleugnung ist die Mutter aller "Fake News". Diese Menschen irren sich nicht einfach, wie es der Facebook-Chef suggeriert. Sie führen in die Irre. Was sie bezwecken, ist die Erschaffung eines Feinbilds und die Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten. Was sie antreibt, ist Antisemitismus und/oder Bewunderung für ein faschistisches System.

Doch der Facebook-Chef tut so, als sei dies mit einem einfachen "denn sie wissen nicht, was sie tun" zu entschuldigen. "Sie liegen nicht absichtlich falsch", sagt er. Das lässt Holocaustleugner aussehen wie x-beliebige Verschwörungstheoretiker: Als seien sie ein bisschen mitleiderregend, ungebildet und ahnungslos, aber eigentlich harmlos.

Nun geht es aber in der Debatte nicht um Ufos, Chemtrails oder Echsenmenschen, sondern um den Holocaust. Zu behaupten, es habe nie stattgefunden, ist mehr als nur ein Schlag ins Gesicht der Opfer und der Angehörigen. Es ist der Versuch, die Geschichte umzudeuten und ein Kapitel aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. So wird der Boden bereitet für weitere Gewalttaten.

Es gibt einen Grund für die strengen Gesetze in Deutschland

Facebooks lascher Umgang mit Judenhass sorgt schon lange für Kritik. Den Holocaust zu leugnen, ist in mehr als einem Dutzend Ländern strafbar. Doch nur in vier davon lässt Facebook auch tatsächlich Beiträge löschen, in denen die Naziverbrechen bestritten oder verharmlost werden. Das geht aus internen Dokumenten hervor, die der britische "Guardian" im letzten Jahr veröffentlichte. In Deutschland erhöhte zuletzt das Netzwerkdurchsetzungsgesetz den Druck auf Facebook, die hiesigen Gesetze zu respektieren.

Es gibt einen Grund, warum wir beschlossen haben, dass der Völkermord nicht angezweifelt oder verharmlost werden darf. In diesem Land sind vor nicht allzu langer Zeit schier unfassbare Gräueltaten geschehen. Schon der geringste Zweifel daran, dass sie tatsächlich passiert sein könnten, fällt deshalb schnell auf fruchtbaren Boden. Darum ist es so wichtig, dem Zweifel keinen Raum zu geben und die Verdrehung von historischen Tatsachen nicht als "Ansichtssache" anzuerkennen.

Facebook stellt sich auf die Seite der Relativierer. Was denkt sich der Konzern dabei? Ist es wirtschaftliches Kalkül? Wilde Verschwörungstheorien, antisemitische oder rassistische Hetze produzieren Klicks, erhöhen das Engagement und generieren Einnahmen.

Zuckerbergs Weigerung, Stellung zu beziehen, könnte auch daher rühren, dass er sich nicht angreifbar machen möchte. Als Jude, Milliardär und womöglich einer der mächtigsten Männer der Welt verkörpert er das Feindbild der Antisemiten. Hinzu kommt: Die Meinungsfreiheit ist in den USA heilig und wird nur selten eingeschränkt. Auch Holocaustleugnung stellt dort kein Verbrechen dar. Eine Grenze zieht Facebook erst beim unmittelbaren Aufruf zur Gewalt.

Facebook steht so oder so unter Zensur-Verdacht

Zuckerberg selbst beteuert immer wieder, er wolle nicht derjenige sein, der darüber entscheidet, was gesagt werden darf und was nicht. Faktisch tut das Facebook aber längst. Die Plattform hat das Hausrecht auf ihren Seiten – und übt das auch aus, zum Beispiel, wenn es freizügige Bilder zensiert. Fehler in der Filter-Software und fragwürdige Arbeitsweisen in den Löschzentren sorgen dabei immer wieder für Diskussionen.

Im politisch aufgeheizten Klima im Heimatland ist das für den Online-Riesen nicht ganz unproblematisch: Vor allem im konservativen Lager wittern US-Nutzer und -Politiker immer gleich Zensur, wenn Facebook bestimmte Quellen als unglaubwürdig einstuft – oder mit Verweis auf seine Communityregeln Beiträge löscht und Nutzer sperrt.

Wieso will Zuckerberg ausgerechnet die Holocaustverleugner von solchen Maßnahmen verschonen? Alleine mit der Gesetzeslage im Heimatland ist Facebooks Zurückhaltung kaum zu erklären. Denn dass es die Judenvernichtung gegeben hat, gilt auch dort längst nicht mehr als reine Ansichtssache, sondern wurde 1985 gerichtlich festgestellt.

Zuckerberg hofft offenbar, die Holocaustverleugner zusammen mit den anderen "Fake News"-Verbreitern heimlich, still und leise ins Abseits drängen zu können. Sein Vorschlag: Statt irreführende Beiträge zu löschen, soll ihre Reichweite begrenzt werden. Es darf also weiterhin jeder sagen, was er möchte. Doch er kann sich nicht mehr darauf verlassen, auf Facebook auch ein Publikum dafür zu finden.

Naive Hoffnung auf die Selbstheilungskräfte der Gesellschaft

Dazu arbeitet Facebook mit Faktenprüfern zusammen, die fragwürdige Quellen markieren. Auch andere Nutzer sollen in den Kommentaren Gegenrede leisten – und so zur Interaktion beitragen. Für Facebook wäre das eine bequeme Lösung: Die Gesellschaft heilt sich selbst vom Hass auf Andere und lässt sich von Facebook dabei helfen. So will sich der Konzern gerne selbst sehen: als Förderer von Demokratie und Völkerverständigung. Die Realität sieht anders aus.

In Ländern wie Myanmar und Sri Lanka enden Gerüchte und Falschmeldungen oft tödlich, nachdem sie sich über Facebook viral verbreitet haben. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen sind damit überfordert, wieder Frieden herzustellen: Auch Facebook ist inzwischen dazu übergegangen, Hassbotschaften und Falschinformationen gleich zu löschen, statt sich mit Aufklärungskampagnen aufzuhalten, weil das viel zu lange dauern würde.

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Der italienische Programmierer Alberto Brandolini hat das Problem mit Fehlinformationen im Netz schon 2013 – noch bevor die ganze Welt von "Fake News" sprach – auf eine knackige Formel gebracht. Brandolini nennt es die "Bullshit-Asymmetrie": Die Menge an Energie, die man aufbringen muss, um den Bullshit zu wiederlegen, ist um eine Zehnerpotenz höher, als ihn zu produzieren.

Der Holocaust ist eines der besten und ältesten Beispiele dafür. Viele Jahre wurden darauf verwendet, die Naziverbrechen aufzuklären. Nach Jahrzehnten der akribischen Forschung handelt es sich um den am gründlichsten dokumentierten Völkermord der Geschichte. Doch das hält selbst mehrfach verurteilte und bestrafte Geschichtsfälscher wie den bekennenden Hitler-Fan David Irving immer noch nicht davon ab, Lügen zu verbreiten.

In Deutschland fordert zwar regelmäßig jemand, irgendwann "müsse doch mal Schluss sein". Doch gemeint ist damit nicht etwa: Schluss mit den infamen Lügen, sondern mit der Aufarbeitung. Manche sehnen sich offenbar nach dem Vergessen.

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