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Twitter sperrt Tweet nach Blindtext-Begründung


"Lorem ipsum dolor sit amet"
Beschwerde per Blindtext - Twitter löscht Tweet

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

02.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Twitter: Für eine Sperrung spielte es offenbar keine Rolle, dass die Begründung ein Gaga-Text war.Vergrößern des Bildes
Twitter: Für eine Sperrung spielte es offenbar keine Rolle, dass die Begründung ein Gaga-Text war. (Quelle: Kacper Pempel/Reuters)

Wie leichtfertig sperren und löschen soziale Netzwerke fragwürdige Inhalte? Ein Fall aus Deutschland legt nun nahe, dass Twitter gar nicht liest, worüber Nutzer sich beschweren.

Um Twitter zu überzeugen, brauchte es acht Absätze, 646 Wörter, 3966 Zeichen und null Inhalt: “Lorem ipsum dolor sit amet” begann der Blindtext, der eigentlich für Layout-Tests gedacht ist und sicherstellen soll, dass Betrachter nicht durch den Inhalt abgelenkt werden.

Ein Twitter-Nutzer in Deutschland hat sich mit einem völlig sinnlosen Text per Mail darüber beschwert, dass die Plattform einen gemeldeten Tweet nicht gelöscht hat. Zu seiner Überraschung gab ihm Twitter daraufhin recht und löschte den Tweet.

Das Beispiel scheint einen Vorwurf zu untermauern, den es schon lange gibt: Twitter soll willkürlich und offenbar ungeprüft mit beanstandeten Tweets umgehen und sich nicht an die Regeln zu Beschwerdemöglichkeiten halten, die im deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vorgeschrieben sind.

Viele Beschwerden von wenigen Personen

Die Regeln des NetzDG sehen vor, dass Betreiber von sozialen Netzwerken den Nutzerinnen und Nutzern Möglichkeiten anbieten müssen, sich über rechtswidrige Inhalte zu beschweren. Diese Beschwerden müssen dann innerhalb von 24 Stunden geprüft und rechtswidrige Tweets entfernt werden. Twitter bietet die Möglichkeit direkt über das Portal an.

Häufig würden die Beanstandungen innerhalb von wenigen Minuten abgelehnt, teilweise komme gar keine Reaktion, sagt Twitternutzer Thomas Birkmann. Er heißt eigentlich anders, will im Netz aber nicht mit seinem richtigen Namen auftauchen: Denn mit seinem Kampf gegen Hass zieht er selbst Hass auf sich. Er meldet regelmäßig an das Bundesamt für Justiz (BfJ) mutmaßliche Verstöße von Twitter. Als die Aufsichtsbehörde gegenüber dem "Handelsblatt" erklärte, dass "wenige Einzelpersonen zahlreiche Einzelbeschwerden" eingelegt hätten, ist auch er gemeint. Wie viele mutmaßliche Verstöße insgesamt gemeldet werden, gab das Bundesamt nicht bekannt.

Birkmann, der auch die inhaltsleere Beschwerdemail schrieb, sagt, das Netzwerk lasse trotz Hinweisen viel zu oft unzulässige Hass-Postings stehen oder mache sie nach kurzer Sperrung wieder öffentlich. Er nutzt deswegen auch die kaum bekannte Möglichkeit, auf Ablehnungen noch einmal per E-Mail an eine Support-Adresse zu antworten.

Schon länger wird Twitter vorgeworfen, mit Beschwerden nicht entsprechend sorgfältig umzugehen. Seit der umstrittene Unternehmer Elon Musk das Portal im vergangenen Jahr gekauft hat, ist die Kritik noch lauter geworden. Nach einer Auswertung des "Center for Countering Digital Hate" nahm die Zahl von rassistischen und homophoben Beleidigungen seitdem stark zu. So stieg etwa die durchschnittliche Nutzung des für Schwarze beleidigenden, englischen N-Worts pro Tag um mehr als 200 Prozent.

Twitter setzt auf Künstliche Intelligenz

Musk hatte schon vor der Übernahme mehr "Meinungsfreiheit" auf Twitter versprochen und angekündigt, es werde künftig weniger auf der Plattform gelöscht. Seit er Chef von Twitter ist, reduzierte er verschiedenen Berichten zufolge die Zahl der Mitarbeiter von 7.500 auf unter 2.000. Unter den Entlassenen sollen auch viele derjenigen sein, die für Twitter die Beschwerden überprüfen. Twitter teilte daraufhin mit, dass künftig vermehrt Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt werde, um Inhalte zu überprüfen.

Mit Folgen: EU-Industriekommissar Thierry Breton forderte am vergangenen Dienstag von Musk, dass Twitter die EU-Digitalrichtlinie Digital Service Act (DSA) besser umsetzen solle. Die DSA verpflichtet ähnlich wie das NetzDG soziale Plattformen unter anderem dazu, Nutzerinnen und Nutzer besser vor illegalen Inhalten zu schützen und Beschwerden schnell und diskriminierungsfrei zu bearbeiten.

Birkmann irritieren schon länger die Reaktionen von Twitter auf seine gemailten Beschwerden. Die Entscheidungen erscheinen ihm manchmal völlig willkürlich. Der einzige Zusammenhang, den er erkennt: Beschwerden über Tweets von Nutzern mit wenigen Followern werde öfter nachgegeben. Die ansonsten keiner Linie folgenden Reaktionen auf E-Mails brachten ihn auf den Gedanken, dass vielleicht die Länge einer Antwort-Mail ausschlaggebend sein könnte – nach dem Motto: Wenn viel drin steht, wird es schon begründet sein.

Kein Erfolg mit Fantasie-Rede von "Herr der Ringe"-Held

Also sandte er auf zurückgewiesene Beschwerden Mails mit unsinnigem Text. Er scheiterte unter anderem mit einem ins Gälische übersetzten Eminem-Song und einer von einer KI erstellten Rede der "Herr der Ringe"-Figur Bilbo Beutlin. Dafür hatte er aber Erfolg mit der Beschwerde, die nur aus einer Überschrift und dem "Lorem ipsum"-Blindtext bestand.

Die Beschwerde und die Antwort von Twitter liegen t-online vor. Der ursprünglich beanstandete Tweet ist in Deutschland nicht mehr abrufbar. Twitter hat ihn mit der Begründung gelöscht, es handle sich um Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung einer Weltanschauung ("Blasphemie-Paragraf"), Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Bedrohung. Tatsächlich hatte Birkmann ursprünglich den Tweet wegen Verleumdung beanstandet.

Für Sebastian Laoutoumai, Fachanwalt für IT-Recht, verbirgt Twitter hier "lokal einen Tweet aufgrund einer völlig substanz- bzw. inhaltslosen Beschwerde". Als Grund würden dann auch noch Straftatbestände ins Feld geführt, die nach seiner Einschätzung durch den beanstandeten Tweet keinesfalls erfüllt seien, sagte er t-online. Zudem sei die Person, die den gesperrten Tweet gepostet hat, vermutlich nicht einmal angehört worden, wie es nach deutschem Recht erforderlich ist. "Kurzum, das ist nicht nur ein Stück aus dem Tollhaus Twitter, sondern nach unserer Auffassung grob rechtswidrig."

Twitter und Anwälte antworten nicht auf Anfrage

Birkmann ist über seine Entdeckung nicht glücklich: "Ein solches Vorgehen kann dann auch zu Overblocking führen, also zu überzogenem Blockieren zulässiger Inhalte." Das wolle er nicht, sagt er: "Twitter soll einfach geltendes Recht und geltende Rechtsprechung einhalten."

Seit Musk die Führung übernahm, hat Twitter nicht einmal mehr eine Pressestelle. Auf eine t-online-Anfrage an die Support-Adresse und die zuletzt für Twitter tätigen Anwaltskanzleien von Boetticher und White & Case kam keine Antwort.

Eine Reaktion gab es aber doch: Eine Woche nach der "Lorem ipsum"-Mail antwortete das Unternehmen auf eine neue Beschwerde von Brinkmann mit dem Hinweis, es müsse das Beschwerdeformular der Plattform genutzt werden. Twitter stellt jetzt möglicherweise die für das Unternehmen lästige Möglichkeit ab, Beschwerden über Entscheidungen ausführlicher begründet per Mail zu schicken und entsprechend auch Anhänge mitsenden zu können.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telefonat und E-Mail-Austausch mit "Thomas Birkmann" (richtiger Name der Redaktion bekannt)
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