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Regierung will Staatstrojaner vor Straftaten einsetzen


Gesetz in Arbeit
Regierung will Staatstrojaner bereits vor Straftaten einsetzen

Von Ali Vahid Roodsari

Aktualisiert am 09.06.2021Lesedauer: 4 Min.
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Symbolische Darstellung des Staatstrojaners: Die Regierung will Geheimdiensten mehr Befugnisse geben.Vergrößern des Bildes
Symbolische Darstellung des Staatstrojaners: Die Regierung will Geheimdiensten mehr Befugnisse geben. (Quelle: Christian Ohde/imago-images-bilder)

Behörden nutzen den Staatstrojaner seit Jahren, allerdings dürfen sie das nur eingeschränkt. Die Regierung will das ändern – und will den Einsatz der Software auch erlauben, bevor jemand etwas getan hat.

Die Bundespolizei soll in Zukunft den Staatstrojaner gegen Menschen einsetzen können, die noch keine Straftaten begangen haben. SPD und Union haben sich am Dienstag zu einem Kompromiss im Rahmen des Bundespolizeigesetzes geeinigt. Das berichtet die Nachrichtenseite "Netzpolitik.org", die zudem den entsprechenden Änderungsantrag veröffentlicht hat.

Die Novelle besagt, dass die Bundespolizei den Staatstrojaner auch gegen Personen einsetzen dürfen, "gegen die noch kein Tatverdacht begründet ist und daher noch keine strafprozessuale Maßnahme nach § 100a StPO angeordnet werden kann". Paragraph 100a der Strafprozessordnung sieht vor, dass Behörden unter bestimmten Voraussetzungen Menschen ohne ihr Wissen überwachen dürfen.

Was ist der Staatstrojaner?

Der Staatstrojaner ist eine Überwachungssoftware, die Behörden etwa auf Smartphones von Nutzern installieren können. Hierbei wird zwischen der "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" (Quellen-TKÜ) und der "Online-Durchsuchung" unterschieden.

Bei der Online-Durchsuchung dürfen Behörden alle Daten auf einem Gerät durchsuchen. Bei der Quellen-TKÜ darf nur die laufende Kommunikation überwacht werden. Beispielsweise der aktuelle Chatverlauf in WhatsApp oder anderen Messengerdiensten.

Ende Dezember wurde bekannt, dass Behörden den Staatstrojaner beinahe täglich einsetzen. Hauptsächlich ging es dabei um Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz – also Drogenhandel. Mehr dazu lesen Sie hier. Befürworter wie das Innenministerium geben gerne als Gründe für den Staatstrojaner Gefahren wie (Rechts)Extremismus und Terrorismus an.

Behörden können Sicherheitslücken verschweigen

Um den Staatstrojaner auf das Gerät eines Nutzers zu laden, müssen Ermittler entweder persönlich darauf zugreifen oder diesen aus der Ferne auf dem Gerät installieren. Dazu können Ermittler beispielsweise mithilfe von Methoden wie Phishing Nutzer dazu bringen, infizierte Seiten anzusurfen.

Auch können Behörden Sicherheitslücken ausnutzen, um Geräte zu infizieren. Der Punkt wird von Experten immer wieder kritisiert, da Behörden entdeckte Sicherheitslücken verschweigen könnten, um sie weiter verwenden zu können.

Provider sollen bei der Installation helfen

Die Regierung will die Befugnisse rund um den Staatstrojaner in Zukunft erweitern. Mit der sogenannten "Anpassung des Verfassungsschutzrechts" soll unter anderem auch der Verfassungsschutz und weitere Nachrichtendienste wie der BND, das MAD beziehungsweise die Nachrichtendienste der einzelnen Bundesländer den Staatstrojaner einsetzen dürfen.

Auch sollen Internet-Provider in Zukunft Behörden helfen, den Staatstrojaner zu verbreiten. Bei der sogenannten Mitwirkungspflicht sollen die Anbieter "dem Bundesamt für Verfassungsschutz oder anderen berechtigten Behörden während der Geschäftszeiten Zugang zu den Räumlichkeiten gewähren sowie die Aufstellung und den Betrieb von Geräten für die Durchführung der Quellen-TKÜ zu ermöglichen."

Vermutlich wird die Große Koalition die Anpassung des Verfassungsschutzrechts und das Bundespolizeigesetz am Donnerstag beschließen.

Staatstrojaner: Kritik von Opposition und Datenschützern

Gegen die Vorhaben der Regierung gab es bereits im Voraus und auch aktuell Kritik von vielen Seiten. Ulrich Kelber, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, hatte Anfang März zum Bundespolizeigesetz bereits erklärt: "Die Befugnisse der Bundespolizei sollen erweitert und den Möglichkeiten des Bundeskriminalamtes angeglichen werden. Dabei wird verkannt, dass es sich bei der Bundespolizei um eine Sonderpolizei mit begrenztem Aufgabenspektrum handelt. Sie soll Bahnhöfe, Flughäfen und die Landesgrenze schützen."

Google, Facebook, verschiedene Sicherheitsunternehmen, weitere Tech-Firmen sowie NGOs hatten sich Anfang Juni in einem offenen Brief gegen die geplanten Änderungen der Regierung ausgesprochen. Auch der Chaos Computer Club gehört zu einem der Unterzeichner des Briefes. "Es gibt nur wenige Gesetzesvorschläge, bei denen sich einfach alle einig sind, dass sie ganz schlechte Ideen sind", so der CCC auf seiner Website.

Tom Jennissen von der Bürgerrechtsorganisation Digitale Gesellschaft sagt unter anderem: "Wenn die Geheimdienste künftig ausgerechnet Sicherheitsupdates dazu nutzen wollen Schadsoftware zu installieren, untergräbt dies alle Bemühungen sichere und bewusste Kommunikation im Internet zu etablieren."

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Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP bezeichnet die Vorhaben auf Twitter als "schwarzen Tag für Bürgerrechte und IT-Sicherheit". Auf Anfrage von t-online ergänzt Kuhle: "Das Aufweichen der unterschiedlichen Befugnisse von Nachrichtendiensten, Polizei und Strafverfolgung, der ungeklärte Umgang mit Sicherheitslücken und die praktischen Schwierigkeiten im Umgang mit dem sogenannten Staatstrojaner macht die Einigung von Union und SPD zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung zu einer schlechten Nachricht für alle Bürger im digitalen Raum." Der Politker fordert: "Statt immer mehr Überwachungsbefugnisse einzuführen, muss eine Föderalismusreform III im Bereich der Inneren Sicherheit auf den Weg gebracht werden, um unsere Sicherheitsarchitektur effektiver zu gestalten."

Mario Brandeburg, der technologiepolitische Sprecher der FDP im Bundestag – schreibt in einer Pressemitteilung: "SPD und Union haben ein Überwachungsgesetz in Stein gemeißelt, welches vielmehr Ausdruck der Überwachungsphantasien des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) ist."

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Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linken, kritisiert die geplanten Änderungen in einem Twitter-Thread und führt unter anderem aus, dass absichtlich offen gehaltene Sicherheitslücken von Kriminellen ausgenutzt werden können. "Die Folgen des Staatstrojaner sind nicht nur für die IT-Sicherheit gravierend, sondern bedeuten eine Ausweitung der Überwachungsinfrastruktur", so Domscheit-Berg. "Und wo es eine solche erstmal gibt, wird sie sofort von Einzelnen missbraucht und potentiell systematisch gegen Missliebige eingesetzt."

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) befürchtet, dass auch Journalisten von den Änderungen des Verfassungsschutzrechts betroffen sein könnten. "Wird das Gesetz so verabschiedet, können Journalisten nicht länger ausschließen, dass ihre Nachrichten und Telefongespräche mitgelesen und abgehört werden“, sagt DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall. "Das führt den Informantenschutz ad absurdum. Allein die Möglichkeit einer solchen Überwachung hält potentielle Informanten davon ab, sich Journalisten anzuvertrauen. Dass kriminelle Machenschaften ans Tageslicht geraten, wird so immer unwahrscheinlicher."

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