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Twitter: Bußgeldverfahren beim Bundesamt für Justiz scheitern


NetzDG greift nicht
Deutsche Bußgeldverfahren gegen Plattform X sind geplatzt

  • Lars Wienand
Von Lars Wienand

28.12.2023Lesedauer: 4 Min.
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Elon Musk: Der Twitter-Käufer gibt sich gegenüber Behörden regelmäßig trotzig. Jetzt ist er die Bußgeldverfahren in Deutschland los.Vergrößern des Bildes
Elon Musk: Der Twitter-Käufer gibt sich gegenüber Behörden regelmäßig trotzig. Jetzt ist er die Bußgeldverfahren in Deutschland los. (Quelle: IMAGO)

Die deutsche Aufsichtsbehörde muss Bußgeldverfahren gegen die Plattform X (vormals Twitter) wegen Missachtung deutscher Gesetze einstellen. Das liegt am Sitz des Unternehmens.

Der laxe Umgang der Plattform X (vormals Twitter) mit deutschen Gesetzen wird für Elon Musk keine teuren Folgen haben: Das Bundesamt für Justiz hat insgesamt drei laufende Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen eingestellt – weil X von der Behörde gar nicht verfolgt werden darf. Hintergrund sind der Firmensitz und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Eine Sprecherin des Bundesamts bestätigte t-online den Schritt. Wie ist es dazu gekommen? Und was bedeutet das?

Im April hatte die Ankündigung große Wellen geschlagen, dass das Bundesamt sich die Twitter International Unlimited Company vorknöpft, Betreiber des heute X heißenden Netzwerks. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) selbst hatte öffentlich gemacht, dass ein Bußgeldverfahren eingeleitet worden sei, weil "hinreichend Anhaltspunkte dafür vor[liegen], dass Twitter gegen die gesetzliche Pflicht zum Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte verstoßen hat".

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Zwei private Nutzer hatten zuvor über Monate hinweg mit Hunderten Fällen dokumentiert: Twitter scherte sich zu wenig darum, wenn deutsche Nutzer Inhalte meldeten, die beispielsweise volksverhetzend sind, drohend, beleidigend oder verleumderisch. Das Amt sprach angesichts der Sammlung von "systemischem Versagen im Beschwerdemanagement".

Die Pflicht für Netzwerke, Beschwerdemöglichkeit zu bieten und auch entsprechend zu reagieren, war eingeführt worden mit dem seit 2017 geltenden Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Doch jetzt ist klar: Nach diesem Gesetz darf X gar nicht verfolgt werden, ebenso wenig Google oder der Facebook-Konzern Meta. Meta war das erste Unternehmen, das 2021 ein verhängtes Bußgeld tatsächlich gezahlt hat, Zuckerbergs Internetriese überwies zwei Bußgelder in Höhe von insgesamt fünf Millionen Euro an die Staatskasse. Das ist fast die komplette Summe, die das Bundesamt an Bußgeldern kassiert hat: Nur drei Verfahren sind rechtskräftig abgeschlossen.

Es ging um mögliche Millionenzahlungen

Im Raum stehende Zahlungen in zweistelliger Millionenhöhe von X werden nun nicht mehr hinzukommen. Auslöser ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Google Ireland Limited, Meta Platforms Ireland Limited und TikTok Technology Limited haben gegen die Kommunikationsbehörde Austria gewonnen. Diese Behörde ist das österreichische Gegenstück zum deutschen Bundesamt für Justiz und wacht darüber, dass inländische und ausländische Kommunikationsplattformen funktionsfähige Melde- und Prüfverfahren für rechtswidrige Inhalte anbieten.

Der Gerichtshof entschied aber, dass Österreichs Gegenstück zum deutschen NetzDG, das Kommunikationsplattformgesetz, gegen EU-Recht verstößt: Die E-Commerce-Richtlinie soll sicherstellen, dass es Onlinediensten durch eine einfache Regel nicht erschwert werden soll, in den Mitgliedsstaaten der EU tätig zu sein. Aufsicht hat das Land, in dem ein Unternehmen sitzt. Bei den klagenden Unternehmen ist das Irland. Also muss Irland Regeln setzen und überwachen – und Österreich darf nicht mit eigenen Gesetzen eingreifen.

Das Urteil hat weitreichende Folgen: Das Bonner Bundesamt für Justiz ist zu dem Schluss gekommen, dass es sich auf Deutschland übertragen lässt. "Damit können die Vorschriften des NetzDG nicht mehr gegenüber Anbietern mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedsland durchgesetzt werden", heißt es in einem Schreiben aus der Bonner Behörde. Und X (vormals Twitter) mit Sitz in Dublin, Irland, kann Deutschland ein Näschen drehen.

Telegram ist nicht aus dem Schneider

Eine Sprecherin teilte t-online aber mit, dass das Urteil sich nicht auf Unternehmen erstreckt, die gar keinen Sitz in der EU haben. Damit zumindest kann ein Bußgeldverfahren gegen den Messengerdienst Telegram weitergehen: Im Oktober 2022 hatte das Bundesamt zwei Bescheide mit einer Gesamthöhe von 5,1 Millionen Euro wegen Verstößen erlassen. Telegram habe kein geeignetes Beschwerdeverfahren für rechtswidrige Inhalte angeboten (4,25 Millionen Euro Geldbuße) und keinen sogenannten Zustellungsbevollmächtigten benannt (875.000 Euro). Nach Einsprüchen von Telegram muss das Amtsgericht Bonn noch darüber entscheiden.

Die fehlende Benennung einer Person, an die in Deutschland rechtsverbindlich Behörden schreiben können, ist auch der Vorwurf bei vier weiteren noch strittigen Bußgeldbescheiden: Sie sind gegen Netzwerke mit Sitz außerhalb der EU und mit weniger als zwei Millionen Nutzern in Deutschland ergangen. Die Unternehmen sollen Bußgelder zwischen 30.000 und 50.000 Euro zahlen. Bekannt geworden war, dass darunter "gab.com" ist, ein als "Twitter für Rassisten" bekannt gewordenes Netzwerk. Insgesamt waren zwölf Beschwerdeverfahren noch nicht abgeschlossen, darunter drei gegen X.

Die Plattformen mit Sitz in der EU haben jetzt wegen des deutschen NetzDG eine Sorge weniger. Nutzer sollten aber nicht fürchten oder hoffen, dass alle alten Entscheidungen der Netzwerke nun rückgängig gemacht werden. Musk hat zwar viele gesperrte Accounts wieder zugelassen. Inzwischen schaut aber die EU-Kommission sehr genau hin.

Musks neuer Gegenspieler ist die EU

Mit dem Digital Services Act (DSA) gibt es ein potenziell mächtiges Instrument für einheitliche Standards und deren Überwachung auf EU-Ebene. Wenn X etwa alle Inhalte wieder freischalten sollte, die unter dem NetzDG bereits als rechtswidrig eingestuft worden sind, dürfte das ein Verstoß gegen die Pflicht zur Risikominderung sein. Sie besteht für sehr große Netzwerke, sogenannte VLOPs, mit dem DSA.

X hat schon zu spüren bekommen, dass die EU nicht mit sich spaßen lässt. Am 18. Dezember hat der zuständige Kommissar Thierry Breton die Einleitung eines förmlichen Vertragsverletzungsverfahrens verkündet. Breton hat sich bereits mehrfach als bissiger Gegenspieler von Elon Musk präsentiert.

Bei den Ermittlungen seiner Leute gegen X geht es auch um den Vorwurf, dass das Netzwerk gegen die Verpflichtungen zur Bekämpfung von illegalem Content und Desinformation verstößt. Genau das war auch Gegenstand des Verfahrens beim deutschen Bundesjustizamt. Die Arbeit dort haben die Beamten dennoch nun vergebens gemacht: Sie dürfen ihre Unterlagen nicht an die EU weitergeben. Die Hinweisgeber dürfen das aber sehr wohl – und haben nach t-online-Informationen auch bereits nach Brüssel geschickt, was Bonn einstampft.

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