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Nasenspray und Nasentropfen: Die Sucht beginnt schleichend


Sucht beginnt schleichend
"Ohne Nasentropfen würde ich wohl ersticken"

Ann-Kathrin Landzettel

Aktualisiert am 19.08.2018Lesedauer: 4 Min.
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Abschwellende Nasentropfen dürfen nur wenige Tage angewendet werden. (Quelle: Thinkstock by Getty-Images-bilder)

Ein Leben ohne Nasentropfen ist für die 76-jährige Renate* undenkbar. Seit über 30 Jahren nimmt die Rentnerin die abschwellenden Präparate. Ein Arzt hatte ihr die Tropfen empfohlen, eine Apothekerin große Flaschen organisiert. Dass ihre Nase irgendwann nicht mehr ohne die Wirkstoffe auskommt, damit hat Renate nicht gerechnet.

Mehr als 30 Jahre ist es her: Renate hat zum ersten Mal Kontakt mit Nasentropfen. Ihr Mann muss das Mittel aufgrund einer Nasenoperation nehmen. Jeden zweiten Tag kommt ein Arzt zur Kontrolle – und empfiehlt die Tropfen schließlich auch ihr: "Hier, nehmen Sie das, dann fällt das Atmen gleich leichter." Ein Hinweis über die maximale Einnahmedauer bleibt er Renate schuldig. "Ich weiß noch, dass ich ziemlich stark erkältet war und kaum noch Luft bekam. Damals waren die Tropfen eine Befreiung", erinnert sie sich. "Heute sind sie eine Qual."

Nasenspray-Sucht nach sieben Tagen

Nasentropfen dürfen nur wenige Tage angewendet werden. Nicht ohne Grund. Denn die abschwellenden Wirkstoffe, darunter Xylometazolin, Oxymetazolin oder Phenylephrin, machen abhängig. Bereits nach einer Woche komme es bei täglicher Anwendung zum Gewöhnungseffekt, warnt der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte. Die Nasenschleimhaut schwelle häufiger und stärker an. Viele machen dann den Fehler, das Mittel weiterhin zu nehmen. Schätzungen des Berufsverbandes zufolge sind rund 100.000 Deutsche von Nasenspray abhängig.

Nasentropfen wirken nicht nur in der Nase

Schleimhautschäden bis hin zu starker Austrocknung mit Krustenbildung sind mögliche Folgen. Manche Patienten können nur noch schlecht riechen. Zudem steigt das Risiko, eine Stinknase zu entwickeln. Dabei zersetzt sich das Nasengewebe und wird von Bakterien befallen. Die Betroffenen verströmen einen fauligen Geruch.

Doch die abschwellenden Wirkstoffe haben nicht nur Einfluss auf die Funktion der Nase. Unter anderem kann es, abhängig von dem Wirkstoff, bei der Anwendung zu Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Herzklopfen, einem Anstieg des Blutdrucks, Hautausschlag oder Herzrhythmusstörungen kommen. Darauf weisen die Packungsbeilagen hin. Es ist generell empfehlenswert, die Nutzung von Nasentropfen mit einem Arzt abzusprechen. Das gilt auch dann, wenn man bereits andere Medikamente wie beispielsweise Antidepressiva oder blutdrucksteigernde Präparate einnimmt.

Apothekerin nimmt Folgen nicht ernst

"Ich habe die Nasentropfen mit gutem Gewissen genommen. Sie taten mir gut", erklärt die Betroffene. Eine Apothekerin merkt zwar, dass Renate ständig nachkauft und erwähnt kurz mögliche Risiken. Doch im selben Atemzug bietet sie ihr an, die großen Abfüllflaschen zu besorgen, die eigentlich nicht für den Verkauf bestimmt sind. Renate nimmt das Angebot an. "Ich wollte einfach nur frei atmen können. Über Nebenwirkungen habe ich mir keine Gedanken gemacht", versucht sie, ihre damalige Entscheidung zu erklären.

Immer Angst, keine Luft mehr zu bekommen

Auf die Frage, ob sie nie versucht habe, die Tropfen wegzulassen, sagt Renate: "Ich habe zu Beginn der Abhängigkeit mehrmals den Versuch gestartet, mit Ärzten über meine häufige Anwendung zu sprechen. Entweder wurde ich nicht ernst genommen oder die Ärzte wussten nicht so recht, was sie mit mir anfangen sollen. Der Rat, die Tropfen einfach wegzulassen oder zu reduzieren, hat mir auch nicht geholfen. Wenn es so einfach wäre, würde ich ja keine mehr nehmen."

Sie habe mehrmals versucht, aufzuhören, es aber nie durchgehalten. "Wenn meine Nase verstopft, macht mich das verrückt", sagt sie. Zudem habe sie große Angst vor dem Gefühl der Atemnot, das komme, wenn sie die Tropfen nicht nehme. "Dann kriege ich nur schwer Luft und gerate in Panik", gibt sie zu.

"Solange ich keine Nebenwirkungen habe, mache ich weiter"

Renate hat irgendwann aufgehört, sich über ihren Konsum Gedanken zu machen. Sie weiß, dass sie abhängig ist. Aber die Nasentropfen verschaffen ihr eben auch immer wieder Erleichterung. Also nimmt sie diese weiter. Das Thema sei für sie abgehakt, gibt sie zu. Solange sie keine starken Nebenwirkungen verspüre, mache sie weiter.

Jede Nacht mehrmals wach

Und das, obwohl auch ihre Nachtruhe unter der Abhängigkeit leidet. Jede Nacht wacht sie zwei bis drei Mal auf, weil die Nasenschleimhäute wieder zugeschwollen sind und sie nicht mehr richtig atmen kann. Renate trägt immer ein Fläschchen bei sich und hat auch zu Hause einen ausreichenden Vorrat zur Hand.

Abhängigkeit kostet fast 300 Euro im Jahr

Damit die Nase durch den Gebrauch nicht zu stark austrocknet, benutzt sie Nasenöle und Meerwassersprays zur Befeuchtung. Trotzdem ist ihre Nase wund und empfindlich. Fast 300 Euro gibt sie im Jahr für die Produkte aus. Auch Warnungen hat sie keine mehr gehört. Weder von ihrem Arzt noch von der Versandapotheke, über die sie die Nasentropfen mittlerweile bestellt. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Alternativen zu abschwellenden Wirkstoffen

Damit es gar nicht erst so weit kommt, solle man sich bei einer Erkältung nicht allein auf Nasentropfen verlassen, rät der Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte und empfiehlt neben der Inhalation von Kamillendampf auch Rotlichtbehandlungen sowie Nasentropfen mit Meersalz. Wichtig sei es zudem, ausreichend zu trinken und nach sieben Tagen die Tropfen abzusetzen.

Wer bereits abhängig ist, braucht Geduld. Der Entzug kann mehrere Wochen dauern. Wer es alleine nicht schafft, sollte seinen Arzt um Hilfe bitten. Dieser wird es vermutlich mit einer langsamen Reduzierung der Dosis versuchen. Gegen die Schwellungen kommen kurzfristig immer wieder auch kortisonhaltige Medikamente zum Einsatz.

"Ein-Loch-Methode" für zu Hause

Eine weitere Methode, die Hilfe verspricht, ist die sogenannte "Ein-Loch-Therapie". Hierbei erhält nur ein Nasenloch die abschwellenden Wirkstoffe. Hat sich das unbehandelte Nasenloch regeneriert, werden die Tropfen auch beim anderen weggelassen. So ist immer nur ein Nasenloch verstopft. "Das ist eine Methode, die ich vielleicht doch mal versuchen werde", sagt Renate.

*Name von der Redaktion geändert

Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.
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