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Deutschland: Windkraft – eine Stromquelle in der Krise


Bürgerproteste gegen Windräder
Deutsche Windkraft – eine Stromquelle in der Krise

dpa, Andreas Hoenig

Aktualisiert am 10.08.2019Lesedauer: 6 Min.
Windenergieanlagen stehen auf einem Feld in Brandenburg: Der Ausbau der Windkraft geht zögerlich voran.Vergrößern des BildesWindenergieanlagen stehen auf einem Feld in Brandenburg: Der Ausbau der Windkraft geht zögerlich voran. (Quelle: Patrick Pleul/dpa-bilder)
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Deutschland geht raus aus der Atomenergie und soll raus aus der Kohle. Stattdessen sollen Anlagen mehr Strom aus Wind und Sonne generieren. Doch die Energiewende ist ins Stocken geraten. Ein Lagebericht.

Eigentlich ist es eine Idylle. Ein freundliches Haus in einem kleinen Dorf, ein großer Garten mit freiem Blick auf die Felder. Wenn da nicht die Windräder wären. "Von den Dingern gehen viele gesundheitliche Gefahren aus – abgesehen davon, dass sie die Landschaft verschandeln", schimpft Stefan Hellert. Von den Problemen für Artenschutz und Vogelflug ganz zu schweigen. "Die machen uns den Frieden und die Ruhe kaputt. Und die Gesundheit", sagt seine Frau Katrin Stoll-Hellert.

"Die" – das ist die Windbranche mit einem aus Sicht der Gegner hoch subventionierten und rentablen Geschäft. Das ist die Politik, die den Ausbau der Windkraft vorantreibe, koste es was es wolle. Und keine große Rücksicht auf die Anwohner nehme.

Einwohner protestieren gegen den weiteren Ausbau der Windkraft

Stefan Hellert (45) ist Sprecher einer Bürgerinitiative in Carzig, einem Ortsteil der Gemeinde Fichtenhof im Brandenburger Landkreis Märkisch-Oderland. Mehr als 1.000 solcher Initiativen gibt es bundesweit. Als Familie Hellert vor drei Jahren nach Carzig zog, standen in der Nähe einige kleinere Windräder, 166 Meter hoch, die nächsten sind 800 Meter entfernt von ihrem Haus. Doch inzwischen sind einige bereits ersetzt worden – gegen Anlagen mit einer Höhe von 229 Metern. Und es seien bereits Baugenehmigungen beantragt für neue Anlagen, 250 Meter hoch, sagt Hellert.

"Unsere Grundstücke werden von Windrädern entwertet, das ist eine schleichende Enteignung. Landeigentümer bekommen horrende Pachten. Uns entschädigt kein Mensch", sagt Katrin Stoll-Hellert. Sie fordert einen sofortigen Ausbaustopp. "Es kommt selten vor, dass es hier eine stille Nacht gibt", kommentiert die 54-Jährige: "Bei bestimmten Wetterlagen scheppert hier alles."

Knapp 85 Kilometer entfernt von Carzig steht Rainer Ebeling auf einem Feld vor Windrädern. Der 58-Jährige ist Sprecher der Bürgerinitiative in Crussow, einem Ortsteil von Angermünde in der Uckermark. "Es hat so richtig angefangen mit dem Protest, als wir den neuen Regionalplan mit den Windeignungsgebieten gesehen haben. Angermünde ist schon mit Windkraftanlagen umzingelt, auf einer Fläche von 160 Hektar im Umkreis von fünf Kilometern. Und nun sollen noch mal 200 Hektar draufgepackt werden." Angermünde sei ein staatlich anerkannter Erholungsort: "Wir liegen an einem Nationalpark und dem Biosphärenreservat. Und dazwischen werden die Windräder hingeknallt."

"Ökologisch, ökonomisch und sozial unsinnig"

Nach Zahlen der Marktberatungsfirma Deutsche Windguard stehen in Brandenburg nach Niedersachsen die meisten Windräder in Deutschland. Insgesamt gibt es derzeit rund 30.000 Windenergieanlagen, in Brandenburg sind es rund 3.800. Viel zu viele, finden die Bürgerinitiativen. "Windkraftanlagen sind ökologisch, ökonomisch und sozial unsinnig", sagt Stefan Hellert. "Man kann überhaupt nicht von "grüner Energie" sprechen."

Die Windkraft sei unstetig, weil der Wind nicht immer wehe, und sie sei nicht "grundlastfähig" – sprich: könne keine dauerhafte und zuverlässige Versorgung gewährleisten. "Wir müssen endlich nach wirksamen Alternativen suchen – zum Beispiel Energiegewinnung aus Kernfusion." Der Ausbau aber sei politisch gewollt. "Deswegen wird gebaut."

Es ist eine Grundsatzkritik. Die große Koalition aus CDU, CSU und SPD hat zwar eigens eine Arbeitsgruppe zur Akzeptanz der Energiewende eingerichtet – bisher jedoch ohne Ergebnis. Das umstrittenste Thema: Wie weit weg sollen Windräder von Häusern stehen? In den Ländern gelten bisher unterschiedliche Vorgaben.

So groß ist der Abstand von Windrädern zu Häusern derzeit

In Brandenburg gilt eine Empfehlung von 1.000 Metern zur Wohnbebauung. In Bayern dagegen gibt es die sogenannte 10-H-Regelung – demnach muss der Abstand eines Windrades von Wohnsiedlungen mindestens zehn Mal so weit sein wie die Anlage hoch ist. Bei einer Höhe der Anlage von 200 Metern zum Beispiel wären das 2 Kilometer. Die Folge: In Bayern gibt es deutlich weniger Windräder. Unionspolitiker fordern nun bundesweit einheitliche Standards. Die Windbranche aber befürchtet, dass dann viele Flächen für die Windenergie wegfallen würden.

Das politische Ziel ist klar: weg von fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas, hin zu erneuerbaren Energien aus Wind, Sonne und Biomasse. Bis Ende 2022 soll das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet werden, bis 2038 will die Bundesregierung schrittweise raus aus dem Kohlestrom, weil dies klimaschädlich ist.

Doch der teure Großumbau ist ins Stocken geraten. Vor Ort gibt es viele Proteste und Klagen. Die Strompreise sind hoch. Der Ausbau der Stromnetze verzögert sich. Im ersten Halbjahr kam der Ausbau der Windkraft an Land fast zum Erliegen. Dazu kamen unterm Strich nur 35 Anlagen mit einer Leistung von 231 Megawatt.

Windenergiebranche ist in Alarmstimmung

Bei der Windkraftlobby herrscht Alarmstimmung. Es gebe zu wenig genehmigte Flächen, Genehmigungsverfahren dauerten oft Jahre, klagt der Präsident des Bundesverbands Windenergie (BWE), Hermann Albers. Nach einer Analyse der Fachagentur Wind an Land werden derzeit in Deutschland mehr als 300 Windenergieanlagen mit 1.000 Megawatt Leistung beklagt. Hauptgrund: Natur- und Artenschutz.

Die Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien scheinen in Gefahr. Bis 2030 soll der Ökostromanteil auf 65 Prozent steigen – im ersten Halbjahr lag der Beitrag zur Deckung des Stromverbrauchs nach Zahlen des Energieverbandes BDEW bei 44 Prozent des Stromverbrauchs. Der Anteil der Windräder an Land lag bei 19 Prozent.

Aus Sicht des Bundesverbands Windenergie (BWE) ist ein jährlicher Ausbau von 4.700 Megawatt nötig, um die Ziele zu erreichen. Dies wird in diesem Jahr bei weitem nicht gelingen. Die reine Zahl der Windräder werde nicht so stark steigen, heißt es. Denn alte würden durch neue Anlagen ersetzt, die viel leistungsfähiger seien.

Vorwürfe der Windkraftgegner werden zurückgewiesen

Auch bei Vestas ist man beunruhigt. Zwar bewertet der weltgrößte Windanlagenhersteller die Energiewende in Deutschland weiterhin als positiv, wie Vestas-Manager Alex Robertson sagt. Bei den unterzeichneten Ausschreibungen gebe es aber "akuten Handlungsbedarf". Robertson fordert konkrete Maßnahmen bei Planungsrecht, Genehmigungsverfahren und Artenschutz.

Die Vorwürfe der Windkraftgegner werden von der Branche zurückgewiesen. "Moderne hohe Windenergieanlagen erzeugen weit mehr und gleichmäßiger Strom auf weit weniger Fläche, sind leiser und auch artengerechter als kleinere Windenergieanlagen", sagt Robertson. Ein BWE-Sprecher sagt, Windenergie sei in diesem Jahr der größte Stromproduzent in Deutschland: "Allen Unkenrufen um die Systemstabilität und die fehlenden Netze oder die fehlende Grundlastfähigkeit der Erneuerbaren zum Trotz haben wir nicht jede Woche Blackouts, sondern eines der sichersten Stromnetze der Welt."

Und für jede Windanlage würden Schallmessungen "gewissenhaft" durchgeführt und seien Grundlage für die Genehmigung einer Anlage. Der von Windenergieanlagen erzeugte Infraschall – Gegner warnen vor Gesundheitsgefahren – liege in der Umgebung deutlich unter den Wahrnehmungsgrenzen des Menschen: "Nach heutigem Stand der Wissenschaft sind schädliche Wirkungen nicht zu erwarten."

Altmaier beruft Krisengipfel ein

Ausbauziele, Genehmigungsstau, Gesundheitsfragen – all das sind Themen, die bei einem Krisentreffen zur Windkraft auf den Tisch kommen dürften. Ein solches hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angekündigt. Er will sich voraussichtlich im September mit Vertretern der Branche, von Ländern und Bürgerinitiativen zusammensetzen, um zu schauen, wie es weitergehen kann.

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Das fragt sich auch Frederik Bewer. Der 43-Jährige sitzt im Rathaus von Angermünde, seit drei Jahren ist der parteilose Jurist dort Bürgermeister. Die Proteste gegen Windräder sind auch für ihn ein großes Thema. Viel machen kann er nicht. Zwar gebe es den B-Plan, den Bebauungsplan, sagt Bewer. Aber: "Wir können Windräder nicht generell verhindern, wenn die Landesbehörden entschieden haben. Wenn Gebiete ausgewiesen sind und die Genehmigung vorliegt, dann kann gebaut werden. Das ist schon frustrierend. Die Kommunen sind schon ein wenig hilflos und haben zu wenig Mitspracherecht." Die Menschen seien eigentlich nicht grundsätzlich gegen Windkraft: "Aber sie stört die Art und Weise, wie das umgesetzt wird."

Ökostrom sollte dort, wo er produziert wird, genutzt werden

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke will das ändern. Der SPD-Politiker steht vor einer schwierigen Landtagswahl am 1. September. Natürlich seien die Anlagen eine Belastung für Bürger und Kommunen, sagt Woidke. "Deshalb müssen sie Nutzen daraus ziehen können, zum Beispiel durch Einnahmen. Es darf nicht sein, dass Kapitalinvestoren eine große Rendite zu Lasten der ländlichen Bevölkerung beziehen."

Woidke sagt, er setze sich seit langem dafür ein, dass die Kommunen mehr Mitsprache durch eine Streichung des Windkraft-Privilegs im Baugesetzbuch bekämen. "Sie sollen mitentscheiden können und mit Genehmigungen Zahlungen des Betreibers an die Kommune erreichen", sagt Woidke. Und Ökostrom sollte dort, wo er produziert werde, in viel stärkerem Maße genutzt werden. In Brandenburg gebe es sehr gute Ansätze, auch zur Speicherung der Windkraft.

Was dabei herauskommt, ist offen. Die Bürgerinitiativen jedenfalls dürften weiterkämpfen gegen neue Windräder. Und Rainer Ebeling wird weiter seinen "Kopfschmerzkalender" füllen, den er seit Jahren führt: "Die Kopfschmerzen haben zugenommen. Wenn das so weitergeht mit den Windrädern, überlegen wir hier wegzuziehen."

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa
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